(ots) - Reporter ohne Grenzen ist bestürzt über die
Entführung des aserbaidschanischen Journalisten Afgan Muchtarli. Er
war am Montagabend (29. Mai) in der georgischen Hauptstadt Tiflis
verschwunden und einen Tag später in Baku wieder aufgetaucht, wo er
von der Polizei festgehalten wird. Aserbaidschanische Regimegegner
stehen auch im georgischen Exil zunehmend unter Druck. Reporter ohne
Grenzen hat darauf wiederholt aufmerksam gemacht. Dennoch verweigern
deutsche Behörden in Georgien lebenden Exil-Journalisten aus
Aserbaidschan immer wieder die Einreise.
"Dieser schreckliche Vorfall zeigt einmal mehr, dass sich Gegner
des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew auch in Georgien nicht
sicher fühlen können", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in
Berlin. "Die deutsche Botschaft in Tiflis muss die Situation endlich
ernstnehmen und darf Schutzsuchende, die sich an die Bundesrepublik
wenden, nicht durch eine restriktive Visapolitik großer Gefahr
aussetzen."
VERGEBLICHE HILFERUFE
Muchtarli, der seit zwei Jahren im georgischen Exil lebte, war als
scharfer Kritiker des herrschenden Regimes bekannt. Seinem Anwalt
Elchin Sadigov zufolge wurde er am Abend des 29. Mai in der Nähe
seines Wohnhauses in ein Auto gezwungen, wo ihn Unbekannte fesselten
und schlugen. Sie platzierten mehrere tausend Euro in seiner Tasche,
bevor er sich in den Händen des aserbaidschanischen Grenzschutzes
widerfand. Muchtarli wird des illegalen Grenzübertritts und
Schmuggels beschuldigt (http://t1p.de/byja, http://t1p.de/ps34). Ob
georgische oder aserbaidschanische Stellen für seine Entführung
verantwortlich sind, ist bisher unklar.
Muchtarli hatte sich im Herbst 2016 an ROG gewandt und um Hilfe
für seine Familie gebeten, die unter den immer schwierigeren
Bedingungen für aserbaidschanische Regimegegner in Georgien litt. Die
Behörden in Tiflis hatten seiner Ehefrau Lejla Mustafajewa, die
ebenfalls als Journalistin arbeitet, im September 2016 eine
Aufenthaltsgenehmigung mit der Begründung verweigert, sie gefährde
die Sicherheit des Landes. Ein Stipendium des Europäischen Zentrums
für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig konnte Mustafajewa
nicht antreten konnte, weil die deutschen Behörden ihr kein Visum
erteilten.
HETZARTIKEL AUF REGIERUNGSFREUNDLICHER WEBSEITE
Anfang Mai war auf der regierungsfreundlichen Webseite haqqin.az
ein Artikel über eine angebliche anti-aserbaidschanische
Untergrundbewegung in Georgien erschienen, die versuche, die
Regierung in Baku zu stürzen (http://t1p.de/2ogf). Verfasser ist der
Gründer und Chefredakteur der Seite, Ejnulla Fatullajew - ein
einstiger Regimegegner, der sich nach seiner vorzeitigen Entlassung
aus dem Gefängnis 2011 in einen treuen Anhänger der herrschenden
Präsidentenfamilie verwandelte und seither mit seiner Webseite gegen
deren Kritiker zu Felde zieht.
Haqqin.az wird Beobachtern zufolge in der Bakuer Elite gelesen, um
zu erkennen, "wer der nächste ist", also welche Beamten, Journalisten
oder Personen des öffentlichen Lebens in Ungnade gefallen sind und
denen eine Entlassung oder Festnahme droht (http://t1p.de/anzf). In
dem Artikel, den er am 4. Mai veröffentlichte, erwähnt Fatullajew
neben dem nun entführten Journalisten Muchtarli unter anderem den
Arzt Farman Dschejranow und die stellvertretende Vorsitzende der
Oppositionspartei "Volksfront", Gosel Bajramli. Beide wurden kurze
Zeit später festgenommen.
KEINE SICHERHEIT MEHR IN GEORGIEN
Georgien war in den vergangenen Jahren zum Zufluchtsort
aserbaidschanischer Oppositioneller geworden, als das Regime in Baku
immer härter gegen seine Kritiker vorging und bürgerliche Freiheiten
beschnitt. Sowohl nach den Protesten gegen den konzertierten
Machtwechsel von Hejdar Alijew auf seinen Sohn Ilcham im Oktober 2003
als auch nach Straßenprotesten gegen das autoritäre Regime im März
2013 flüchteten zahlreiche Aserbaidschaner ins politisch liberalere
Nachbarland.
Doch seit die beiden südkaukasischen Länder in den letzten Jahren
wirtschaftlich und politisch enger zusammengerückt sind, wächst der
Druck auf Exil-Aserbaidschaner in Georgien. Georgien hängt in hohem
Maße von Energielieferungen seines rohstoffreichen Nachbarn ab,
während Aserbaidschan Georgien wiederum als Transitland für Öl und
Gas auf europäische Märkte braucht. Erst April unterzeichneten beide
Länder einen neuen Vertrag, demzufolge Georgien künftig fast 90
Prozent seiner Gasimporte aus Aserbaidschan bezieht
(http://t1p.de/kytv).
Im April wurde Jamal Ali, Musiker und Produzent für den
aserbaidschanischen Exil-Sender Meydan TV in Berlin, am Flughafen in
Tiflis vom Grenzschutz aufgehalten und an der Einreise nach Georgien
gehindert. Möglicherweise hing dies mit einem jüngsten Berichte
zusammen, in denen er kostenlose Gaslieferungen Aserbaidschans an
Kirchen in Georgien kritisiert. (http://t1p.de/kytv)
Aserbaischan steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von
Reporter ohne Grenzen am unteren Ende auf Platz 162 von 180 Staaten
(http://t1p.de/ut5a). Mindestens 14 Journalisten und Blogger sitzen
dort derzeit wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Den aserbaidschanischen
Präsidenten Ilcham Alijew zu den größten Feinden der Pressefreiheit
weltweit (http://t1p.de/kd9g).
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29
Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell