Dolmetscherkosten für Mandantengespräche mit den neben dem Pflichtverteidiger gewählten Verteidigern (Wahlverteidiger) sind in der nach § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO höchstzulässigen Anzahl von der Staatskasse zu tragen.
(firmenpresse) - 1 Ws 580/11
603 Js 24249/10 7 KLs
Landgericht Erfurt Verkündet am:
THÃœRINGER OBERLANDESGERICHT
Beschluss
gegen pp.,
geboren am in H (Türkei),
zuletzt wohnhaft: E,
in Untersuchungshaft in der
Justizvollzugsanstalt G,
getrennt lebend, türkischer Staatsangehöriger
Verteidiger: Rechtsanwalt G
Rechtsanwältin P
-Beschwerdeführerin -
w e g e n Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
hier: Kostenfestsetzung
hat auf die sofortige Beschwerde der Verteidigerin Rechtsanwältin P gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts vom 02.09.2011
der des Thüringer Oberlandesgerichts durch ,
am 16. Februar 2012
beschlossen:
Der Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Erfurt vom 02.09.2011 wird aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über den Kostenerstattungsantrag der Beschwerdeführerin vom 30.06.2011 an die zuständige Strafkammer des Landgerichts Erfurt verwiesen.
G r ü n d e:
I.
Die Beschwerdeführerin ist seit dem 28.03.2011 Wahlverteidigerin des Angeklagten. Dieser hat darüber hinaus bereits seit dem 06.01.2011 einen Pflichtverteidiger, nämlich Rechtsanwalt G.
Mit Schreiben vom 30.06.2011 hat die Beschwerdeführerin die Erstattung von ihr verauslagter Dolmetscherkosten in Höhe von insgesamt 792,77 € brutto verlangt. Diese waren bei zwei Gesprächen der Beschwerdeführerin mit dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt G entstanden, zu denen sie einmal eine Dolmetscherin für die türkische und ein anderes Mal einen Dolmetscher für die arabische und kurdische Sprache hinzugezogen hatte.
Mit Beschluss vom 02.09.2011 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Erfurt den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erstattung der Dolmetscherkosten zurückgewiesen.
Gegen diesen ihr am 08.09.2011 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit am selben Tage beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz Erinnerung eingelegt. Mit Beschluss vom 03.11.2011 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Erfurt der Erinnerung nicht abgeholfen, sondern die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 13.11.2011 hat die Beschwerdeführerin abschließend Stellung genommen.
II.
Das statthafte und jedenfalls rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist nach § 311 Abs. 2 Satz 1 StPO eingelegte Rechtsmittel der Beschwerdeführerin ist begründet.
Der angefochtene Beschluss ist bereits deswegen aufzuheben, weil die Rechtspflegerin zur Entscheidung über den Antrag nicht befugt war. Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Erstattungsanspruch für verauslagte Dolmetscherkosten für die Hinzuziehung eines Übersetzers bei Verteidigermandatsgesprächen ist durch das mit der Hauptsache befasste bzw. befasst gewesene Gericht, d.h. durch den Richter, festzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 13.01.2012, 1 Ws 581/11; OLG Dresden, Beschluss vom 08.07.2011, 3 Ws 074/11).
1. Der gegen die Staatskasse gerichtete Anspruch auf Erstattung von Dolmetscherkosten findet in Ermangelung einer entsprechenden einfachgesetzlichen Vorschrift seine Grundlage in Art. 6 Abs. 3 e) MRK. Danach hat jede angeklagte Person das Recht, unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. Zweck der Norm ist es, Ausländern, die vor inländischen Gerichten angeklagt und der Gerichtssprache nicht mächtig sind, ein ebenso faires Verfahren zu ermöglichen wie inländischen Angeklagten. Denn erst der Ausgleich sämtlicher sprachbedingter Nachteile versetzt einen sprachunkundigen ausländischen Angeklagten in die Lage, dieselben prozessualen (Grund-)Rechte vor Gericht geltend machen zu können wie ein inländischer Angeklagter. Dabei stellt Art. 6 Abs. 3 e) MRK durch das Merkmal der Unentgeltlichkeit klar, dass dem sprachunkundigen Angeklagten die Kosten für diesen Nachteilsausgleich nicht auferlegt werden können, da sie auf einen der Gerichtssprache mächtigen Angeklagten nicht zukommen würden. In Ausfüllung dieser Maßstäbe ist anerkannt, dass der fremdsprachige Angeklagte zum Ausgleich sprachbedingter Nachteile in jedem Verfahrensstadium, also auch im Ermittlungsverfahren, einen Dolmetscher hinzuziehen kann und Dolmetscherkosten für Gespräche des Angeklagten nicht nur mit seinem Pflichtverteidiger, sondern auch mit seinem Wahlverteidiger von der Staatskasse zu tragen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.08.2003, 2 BvR 2032/01, bei juris; BGHSt 46, 178).
Dabei kommt es nicht darauf an – wie die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 26.10.2011 ausgeführt hat –, dass dem Angeklagten im vorliegenden Fall bereits ein Pflichtverteidiger bestellt worden war und dies zur Gewährleistung eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens genügt. Für den Geltungsbereich des Grundgesetzes ist durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgesprochen worden, dass Art. 6 Abs. 3 e) MRK auch einer Diskriminierung fremdsprachiger Angeklagter im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG entgegen wirken soll (vgl. BVerfG, a.a.O.). Daraus folgt, dass die Norm diesen nicht nur einen prozessualen Mindeststandard für ein faires Verfahren garantiert, sondern die vollständige verfahrensrechtliche Gleichbehandlung fremd- und muttersprachiger Angeklagter bezweckt. Letztere sind aber bezüglich der Anzahl der von ihnen neben einem Pflichtverteidiger gewählten Verteidiger nur durch die Vorschrift des § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO beschränkt, wonach die Zahl der gewählten Verteidiger drei nicht übersteigen darf. Da auch insoweit eine Gleichbehandlung fremdsprachiger Angeklagten vor deutschen Gerichten angezeigt ist, sind grundsätzlich die Dolmetscherkosten für Mandantengespräche mit neben dem Pflichtverteidiger gewählten Verteidigern in der nach § 137 Abs. 1 Satz 2 StPO höchstzulässigen Anzahl von der Staatskasse zu tragen.
2. Nach der an Art. 6 Abs. 3 e) MRK anknüpfenden Vorschrift des § 464c StPO sind einem sprachunkundigen Angeklagten Dolmetscher- oder Übersetzerkosten nur aufzuerlegen, soweit er diese durch schuldhafte Säumnis oder in sonstiger Weise schuldhaft unnötig verursacht hat, wobei dies – außer bei Auferlegung der Säumniskosten nach § 467 Abs. 2 StPO auf den freigesprochenen Angeklagten – ausdrücklich auszusprechen ist. Auch hieraus folgt, dass dem Angeklagten grundsätzlich die Kosten für Dolmetscherdienste nicht auferlegt werden dürfen (vgl. OLG Dresden a.a.O.). Ob die Dolmetscherkosten ganz oder teilweise ausnahmsweise nach § 464c StPO vom Angeklagten selbst zu tragen sind, hat das Gericht ggf. mit der das Verfahren abschließenden Kostenentscheidung auszusprechen.
3. Da die Kostenentscheidung des im vorliegenden Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteils vom 22.06.2011 keinen Ausspruch nach § 464c StPO enthält, bleibt es bei dem Grundsatz, dass sämtliche angefallenen Dolmetscherkosten –auch für Mandantengespräche mit der Wahlverteidigerin – der Staatskasse zur Last fallen, soweit sie aufgrund der mangelhaften Sprachkenntnisse des Angeklagten tatsächlich erforderlich waren. Da eine eigene einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage für die Erstattung derartiger vom Angeklagten oder dem Verteidiger verauslagter Dolmetscherkosten derzeit nicht besteht, muss das Verfahrensgericht feststellen, ob die geltend gemachten Dolmetscherkosten erforderlich waren. Ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum kommt dabei dem Gericht nicht zu, vielmehr muss es, sofern die Voraussetzung für eine Hinzuziehung (mangelnde Sprachkenntnis und Verteidigungszweck) vorliegen, feststellen, dass die Kosten zu ersetzen sind (vgl. OLG Dresden a.a.O.). Die Entscheidung, ob die Kosten überhaupt zu erstatten sind, obliegt daher dem mit der Hauptsache befassten Gericht und nicht dem Rechtspfleger (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.05.2007, III-1 Ws 500/06, bei juris; OLG Dresden a.a.O.).
Die Sache war daher zur Entscheidung über den Kostenerstattungsantrag an das dazu berufene Gericht, hier das Landgericht Erfurt, zu verweisen. Da bislang eine sachliche Entscheidung des zuständigen Gerichts fehlt, war es dem Beschwerdegericht verwehrt, im Sinne von § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung selbst zu erlassen.