(ots) - Die Briten haben ihre konservative Regierung
abgestraft. Deutlich geschwächt wird Premierministerin Theresa May in
der übernächsten Woche zu den Brexit-Verhandlungen nach Brüssel
reisen müssen. Falls deren Start nicht ohnehin verschoben werden
muss, wie es aus dem EU-Parlament heißt. Für die Gespräche über den
Austritt Großbritanniens aus der EU fehlt May jedenfalls die erhoffte
Mehrheit des Volkes im Rücken. Vielmehr werden ihr die
Brexit-Hardliner in der Partei noch massiver als zuvor im Nacken
sitzen. Streng werden sie kontrollieren, ob May bei ihrem harten Kurs
bleibt, auf den sie sich als ehemalige Brexit-Gegnerin festgelegt
hat, um den rechten Flügel der Tories zufriedenzustellen. Labour-Chef
Jeremy Corbyn dagegen wird jetzt als Lichtgestalt gefeiert. Auch
Sozialdemokraten und Linke in Deutschland gratulieren zu dem guten
Ergebnis, ganz, wie es unter Kollegen aus demselben politischen Lager
über nationale Grenzen hinweg üblich ist. Leider belassen sie es
nicht dabei. Stattdessen spüren SPD-Politiker allen Ernstes durch den
Triumph der Arbeiterpartei in Großbritannien Rückenwind für ihre
Politik. Labour habe in Großbritannien bewiesen, dass man mit
sozialdemokratischen, linken Inhalten auch Wähler gewinnen könne,
verlautet es sinngemäß aus mehreren Ecken. Eine befremdliche Aussage,
unterstellt sie doch, dass die Sozialdemokraten daran zweifeln
könnten. Denn statt selbstbewusst vorzupreschen, wirken die Genossen
verunsichert und blutleer. Tatsächlich könnte man sich in der SPD
angesichts von drei verlorenen Landtagswahlen gedacht haben: "Huch,
mit sozialdemokratischen Inhalten kann man ja sogar Wahlen gewinnen?"
Natürlich kann man auch mit sozialdemokratischen, mit linken Ideen
punkten. In erster Linie müssen diese Ideen allerdings gut und
praktikabel sein. Sie müssen verständlich kommuniziert werden, dann
ist es egal, welche demokratisch legitimierte Partei sie vorlegt.
Aber man muss solche Ideen eben auch glaubwürdig vertreten und
leidenschaftlich dafür kämpfen. Den Eindruck, dies zu tun, vermitteln
die Sozialdemokraten in Deutschland derzeit leider nicht. Ja zur
Autobahnprivatisierung, Nein zur Vermögensteuer. Stattdessen die vage
Ankündigung einer umfassenden Steuerreform, die dann irgendwann
demnächst vielleicht präsentiert wird. Wenn Martin Schulz erklärt,
Labour habe im Wahlkampf auf das Thema gesetzt, "das die Menschen
überall in Europa bewegt: Gerechtigkeit", dann sind das schöne Worte.
Vielleicht sind sie auch wahr, obwohl es verschiedene Ansichten dazu
gibt, was gerecht ist. Jeremy Corbyn hat diesen Begriff überzeugend
mit Inhalten gefüllt. Seine Themen: Wohnungsnot, Mängel im
Gesundheitssystem, bei Bildung und Renten. Er hat aber auch enorm
davon profitiert, dass sich seine Gegnerin im Laufe des Wahlkampfs
nahezu mit jedem Schritt unbeliebter gemacht hat. Schulz dagegen
bleibt - abgesehen von seinem Vorstoß zu älteren Arbeitslosen und
kostenlosen Kitas - nach wie vor merkwürdig vage. Auch das
Rentenkonzept ist kein großer Wurf. Wann schalten die
Sozialdemokraten endlich inhaltlich auf Attacke? Anders als Corbyn
wird Schulz nämlich sicherlich nicht von einer Gegnerin profitieren
können, die sich selbst ungeschickt öffentlich demontiert.
Pressekontakt:
Aachener Nachrichten
Redaktion Aachener Nachrichten
Telefon: 0241 5101-388
an-blattmacher(at)zeitungsverlag-aachen.de
Original-Content von: Aachener Nachrichten, übermittelt durch news aktuell