(ots) - Wieder haben die Konservativen in
Großbritannien hoch gepokert, wieder haben sie sich verzockt. Vor
einem Jahr hielt David Cameron ohne Not das Brexit-Referendum ab - in
der Hoffnung, seinen parteinternen Kritikern den Wind aus den Segeln
zu nehmen. Dann setzte Theresa May ohne Not ihre stabile Mehrheit
aufs Spiel - in der Hoffnung, ein Mandat für einen harten Brexit zu
bekommen. Beide Male ging das Kalkül nicht auf. Mayday auf der Insel.
Politisch hat Großbritannien sich geschadet. Die neue Regierung tritt
mit einem schwächeren Mandat in Brüssel an, das bringt neue
Unsicherheiten. Seit May den Scheidungsantrag in Brüssel eingereicht
hat, tickt zudem die Uhr. Nun vergeht wertvolle Zeit mit einer
vermeidbaren Regierungsbildung, die die Briten besser für ihre
wichtigste Verhandlung seit dem Zweiten Weltkrieg nutzen könnten.
Nicht allen scheint die Komplexität bewusst: Die Briten geben ein
Regelwerk auf, das für sie 46 Jahre Frieden und Wohlstand mit
gesichert hat. Über 17.000 EU-Verordnungen müssen in britisches Recht
umgewandelt werden. Die Partei Churchills muss sich auch Gedanken
darüber machen, wen sie eigentlich an ihre Spitze wählte, wenn selbst
die britische Jugend einen Sozialisten im Senioralter vorzieht.
Doch das Votum hat auch ein Gutes: Die Briten haben den harten
Brexit abgewählt. Um die ungeliebten Migranten fernzuhalten, wollte
May sogar den EU-Binnenmarkt aufgeben - zum Nachteil der Wirtschaft
auf beiden Seiten des Kanals. Nun steigen die Chancen auf einen
Kompromiss bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Waren. Auch
muss May ihre Position aufgeben, dass kein Deal mit der EU besser sei
als ein schlechter. Gerade das Gegenteil ist richtig: Das Schlimmste,
was den Briten und Europa passieren kann, ist, dass es 2019 einen
"wilden Brexit" gibt, weil man sich nicht rechtzeitig auf
Anschlussregeln einigt. Entsprechend erleichtert reagierten die
Anleger: Sie hoffen, dass die Briten nun pragmatischer an die
Verhandlungen herangehen. Zugleich haben die Briten klar gemacht,
dass sie keine politischen Extreme wollen. Sie haben weder Mays
Isolationismus eine Mehrheit gegeben noch dem scharfen Linksprogramm
der Labour-Partei. Damit ist Großbritannien nach Frankreich das
zweite Land, das sich mehrheitlich weder von Nationalismus noch
Sozialismus verführen lässt, sondern auf die Mitte setzt. Nun ist es
an der EU, ihrerseits auf Triumphgeheul zu verzichten und das Beste
aus dem Schlechten zu machen.
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