(ots) - Der Medienmarkt in Serbien ist sehr stark
konzentriert und die Staatsspitze unter Präsident Vucic übt als
größter Geldgeber und Werbekunde erheblichen Einfluss auf die
Berichterstattung aus. Daran hat die Privatisierung der vergangenen
Jahre nichts geändert - im Gegenteil: In manchen Regionen sind
monopolartige Strukturen entstanden, in denen regierungsfreundliche
Unternehmer die Medien kontrollieren. Das zeigen die Ergebnisse
dreimonatiger Recherchen im Rahmen des weltweiten Projekts Media
Ownership Monitor, die Reporter ohne Grenzen und das Balkan
Investigative Reporting Network (BIRN) heute (21. Juni) in Belgrad
vorstellen.
Die detaillierten Ergebnisse sind auf der Projektwebseite
www.serbia.mom-rsf.org abrufbar. Für das Projekt haben ROG und BIRN
die 48 einflussreichsten Medien in Serbien untersucht, darunter elf
Fernseh- und zehn Radiosender, 15 Zeitungen und zwölf Online-Medien.
Der von ROG initiierte Media Ownership Monitor (MOM)
(www.reporter-ohne-grenzen.de/mom) untersucht Besitzstrukturen und
rechtliche Rahmenbedingungen der Medienbranche in ausgewählten
Ländern Amerikas, Asiens, Afrikas und Europas. Die Ergebnisse aller
bisherigen Projektländer finden Sie unter www.mom-rsf.org.
"Der Media Ownership Monitor zeigt, wie stark Präsident Vucic und
ihm nahe stehende Unternehmer die politische Berichterstattung
kontrollieren. Dass ein Staatsoberhaupt investigative Journalisten
als Lügner beschimpft, die mithilfe von EU-Geld seine Regierung
stürzen wollen, ist ungeheuerlich. Uns wundert nicht, dass die
EU-Kommission Serbien in ihrem letzten Fortschrittsbericht keinerlei
Fortschritte im Bereich Meinungsfreiheit attestiert hat", sagte
Nafisa Hasanova, ROG-Projektleiterin in Serbien.
Tanja Maksic, die Koordinatorin des Projekts bei der
ROG-Partnerorganisation BIRN ergänzte: "Unsere Untersuchung zeigt
eine deutliche Diskrepanz zwischen dem nationalen und dem lokalen
Medienmarkt: Während Medien mit landesweiter Reichweite im Zentrum
der Aufmerksamkeit von Investoren und Politikern stehen, existieren
auf regionaler Ebene kaum eigene Werbemärkte und staatliche
Regulierungsmechanismen greifen nur selten. In vielen Regionen sind
monopolartige Strukturen entstanden, deren Besitzer den herrschenden
Parteien nahe stehen und unabhängige Berichterstattung verhindern."
SEHR STARKE MEDIENKONZENTRATION
Der serbische Medienmarkt ist in allen drei Mediengattungen sehr
stark konzentriert. Auf dem Fernsehmarkt erreichen die vier größten
Mediengruppen - eine davon der staatlich kontrollierte Öffentliche
Rundfunk (PBS) - fast zwei Drittel der Zuschauer (62 Prozent).
Ähnlich sieht es auf dem Printmarkt aus, wo die vier wichtigsten
Verlagshäuser 63 Prozent aller Leser erreichen. Marktführer ist die
deutsch-schweizerische Ringier Axel Springer Media AG, die mit drei
ihrer Zeitungen (Blic, Alo!, Nin) fast ein Viertel der Leser
erreicht. Darauf folgen die Adria Mediengruppe, Insajder Tim und
Kompanija Novosti. Beim Radio ist mehr als die Hälfte der Hörerschaft
auf die vier Marktführer S Media Team, Maxim Mediengruppe, PBS und
die Antenna Gruppe Serbien vereint. Diese starke Konzentration
bedeutet ein großes Risiko für den Medienpluralismus im Land.
(http://t1p.de/69q6)
Auch über verschiedene Mediengattungen hinweg sind
Konzentrationsprozesse zu beobachten, wobei der audio-visuelle sowie
der Print- und Online-Sektor eher getrennt bleiben. Als Marktführer
erreicht der Öffentliche Rundfunk (PBS) ein Fünftel aller
Mediennutzer. Dahinter folgen die Pink Mediengruppe, die Antenna
Gruppe Serbien, S Media Team und Maxim Media als stärkste private
Rundfunkunternehmen. Den Print- und Onlinemarkt führen die Ringier
Axel Springer Media AG, die Adria Mediengruppe und Insaijder Tim mit
der Tageszeitung Informer und deren Onlineausgabe an.
(http://t1p.de/dwuj)
DER STAAT ALS GRÖSSTER GELDGEBER UND WERBEKUNDE
Für kaum mehr als sieben Millionen Einwohner in Serbien sind beim
Serbischen Unternehmensregister mehr als 1.600 Medien registriert,
wobei sich die genaue Zahl der tatsächlich existierenden Medien
aufgrund unklarer Bestimmungen schwer ermitteln lässt. Auf diesem
kleinen und übersättigten Markt sind die meisten Redaktionen
chronisch unterfinanziert und stehen unter hohem wirtschaftlichen
Druck.
Die beiden öffentlichen Fernsehanstalten RTS (landesweit) und RTV
(in der nordserbischen Provinz Vojvodina) werden fast ausschließlich
aus dem Staatshaushalt finanziert und konkurrieren außerdem mit
anderen Medien um die seit Beginn der Wirtschaftskrise 2009 stark
geschrumpften Werbeeinnahmen. 2016 machte der serbische Werbemarkt
dem Marktforschungsunternehmen Nielsen zufolge insgesamt nur noch
etwa 174 Millionen Euro aus - zu wenig, um das wirtschaftliche
Ãœberleben aller in Serbien aktiven Medienunternehmen zu sichern. Zu
den zahlungskräftigsten Werbekunden gehören Ministerien, Behörden und
staatseigene Unternehmen.
WILLKÃœRLICHE MEDIENFINANZIERUNG UND UNFAIRE STEUERPOLITIK
Wegen des permanenten Geldmangels spielt der Staat auf dem
Medienmarkt nach wie vor eine große Rolle und kann die
journalistische Berichterstattung so entscheidend beeinflussen.
Staatliche Stellen halten nicht nur direkte Anteile an zahlreichen
Medienunternehmen, sondern kontrollieren deren Arbeit auch über
diverse andere Finanzierungsmodelle aus dem Staatshaushalt. Die
Medienreformgesetze von 2014 haben daran wenig geändert.
Transparente und nachvollziehbare Kriterien für die Vergabe
öffentlicher Gelder fehlen nach wie vor, genau wie gesellschaftliche
Kontrolle und die Evaluation der finanzierten Medienprojekte.
Projektgelder werden oft willkürlich und ohne Ausschreibung vergeben,
Nutznießer sind fast ausschließlich regierungsfreundliche Medien. Die
Gesamtsumme des staatlichen Budgets für die Medienfinanzierung und
für Werbung ist öffentlich nicht dokumentiert. Untersuchungen von
BIRN haben gezeigt, dass nur 20 Prozent der staatlichen Gelder auf
dem Medienmarkt über öffentlich ausgeschriebene Wettbewerbe vergeben
werden.
Darüber hinaus übt der Staat über selektive Steuerforderungen
erheblichen Druck auf unabhängige Redaktionen aus. So wurden Ende
2014 die Konten der für ihre kritische Berichterstattung bekannten
Wochenzeitung Kikindske novine wegen angeblich nicht gezahlter
Einkommenssteuern gesperrt, während der regierungsfreundliche
Boulevardsender Pink TV trotz Steuerschulden in Millionenhöhe
unbehelligt weiterarbeiten konnte. Selbst die Anti-Korruptionsbehörde
der serbischen Regierung kam zu dem Schluss, dass Medien umso
privilegierter behandelt werden, je näher sie der Regierung stehen.
(http://t1p.de/i3su)
HOFBERICHTERSTATTUNG STATT INVESTIGATIVER RECHERCHE
Aufgrund der starken Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung
dominiert in vielen serbischen Medien heute eine Art
Hofberichterstattung für die jeweilige Regierung, ausgewogene
Informationen oder gar investigative Recherchen sind selten. Vor der
Präsidentschaftswahl im April etwa widmete der öffentliche Rundfunk
Aleksander Vucic - damals sowohl Premierminister als auch Kandidat
für das Präsidentenamt - zehnmal mehr Zeit als allen anderen
Kandidaten zusammen (http://t1p.de/mfpq).
Kritik an der Staatsspitze veröffentlichen vor allem Kollektive
investigativer Journalisten wie das Serbische Zentrum für
Investigativen Journalismus (CINS), das Netzwerk für Kriminalitäts-
und Korruptionsberichterstattung (KRIK) oder BIRN und Seiten wie
istinomer.rs, insajder.net, cenzolovka.rs, juznevesti.com,
voice.org.rs, pescanik.net oder die Whistleblower-Plattform
pistaljka.rs. In regierungsfreundlichen Boulevardzeitungen mit
enormer Reichweite werden insbesondere die investigativen
Journalisten von BIRN oder CINS immer wieder mit Schmutzkampagnen
überzogen und als ausländische Söldner diffamiert, die - finanziert
von der Europäischen Union - die Regierung stürzen wollten.
PRIVATISIERUNG FÜHRT ZU UNKLAREN BESITZVERHÄLTNISSEN
Mit dem Ziel, den staatlichen Einfluss auf dem Medienmarkt zu
begrenzen, begann 2015 ein Privatisierungsprozess, der aufgrund der
Medienreformgesetze von 2014 eingeleitet wurde und inzwischen formell
als abgeschlossen gilt. Allerdings haben von den 75 Medien, die der
Staat im Zuge dessen verkaufen sollte, bisher weniger als die Hälfte
(34) tatsächlich den Besitzer gewechselt. Zahlreiche andere wurden
geschlossen, mehr als 1.000 Journalisten verloren ihre Stelle.
Transparent sind die neuen Besitzverhältnisse auch nach der
Privatisierung nicht immer. Bei sieben der insgesamt 48 von ROG und
BIRN untersuchten Medien liegen die genauen Eigentumsverhältnisse im
Dunkeln. Das gilt insbesondere für die beiden führenden
Tageszeitungen Wetschernije Nowosti und Politika, die der Staat
faktisch noch immer kontrolliert. Informationen zur Besitzstruktur
der meisten Medienunternehmen sind unter anderem im Serbischen
Unternehmensregister öffentlich zugänglich, viele der Daten sind
jedoch unvollständig oder nicht auf dem aktuellsten Stand.
MEDIENKONZENTRATION IN DEN REGIONEN OFT UNENTDECKT
Auch hat die Privatisierung nicht zwangsläufig zu mehr
Medienvielfalt und weniger Abhängigkeit vom Staat geführt. Im
Gegenteil: In manchen Regionen ist die Konzentration sogar gestiegen,
weil Geschäftsleute oder Unternehmen auf einen Schlag mehrere Medien
zu günstigen Paketpreisen kauften - etwa der Unternehmer Radoica
Milosavljevic oder das Kabelnetzwerk Kopernikus, die beide der
Regierung nahe stehen. (http://t1p.de/euwc)
Regionale Konzentrationsprozesse werden dabei oft nicht erkannt
und öffentlich diskutiert, weil das Gesetz die Schwelle für eine
gefährlich hohe Medienkonzentration erst bei 35 Prozent Reichweite
ansetzt. Lokale und regionale Medien erreichen aber oft nicht einmal
ein Prozent der Mediennutzer im Land. Ein Unternehmer überschreitet
also selbst, wenn er mehrere lokale Zeitungen oder Rundfunksender in
seiner Hand vereint, damit kaum die gesetzlich erlaubte Grenze. Die
regionale Medienlandschaft kann dies allerdings sehr wohl empfindlich
verändern und Meinungsvielfalt sowie einen fairen Wettbewerb
einschränken.
DER MEDIA OWNERSHIP MONITOR - EIN GLOBALES RECHERCHEINSTRUMENT
Der Media Ownership Monitor ist ein internationales Projekt von
Reporter ohne Grenzen, das mit Mitteln des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird.
Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen wurde er seit 2015 in
Kolumbien, Kambodscha, Tunesien und Peru, auf den Philippinen, in der
Mongolei, der Ukraine und der Türkei durchgeführt. Neben Serbien
werden in diesem Jahr die Medienbesitzstrukturen in Ghana, Brasilien,
Pakistan und Marokko untersucht.
Die ROG-Partnerorganisation Balkan Investigative Reporting Network
(BIRN) ist ein Netzwerk lokaler NGOs, das sich für Meinungsfreiheit
und Menschenrechte einsetzt. BIRN organisiert Trainings für
Journalisten, um durch ausgewogene Berichte und investigative
Recherchen politischen Wandel zu begleiten, gesellschaftliche
Debatten anzustoßen und für die Transparenz öffentlicher
Institutionen zu kämpfen. Das Netzwerk ist in Bosnien-Herzegowina,
Bulgarien, Kosovo, Mazedonien, Rumänien und Serbien aktiv und gibt
das Online-Nachrichtenseite balkaninsight heraus.
Weitere Informationen finden Sie hier:
- Ergebnisse des Media Ownership Monitors Serbien:
www.serbia.mom-rsf.org
- Ergebnisse aller bisherigen Projektländer: www.mom-rsf.org.
- Hintergründe zum Projekt Media Ownership Monitor:
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mom/
- Mehr zur Lage von Medien und Journalisten in Serbien:
www.reporter-ohne-grenzen.de/serbien
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
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