(firmenpresse) - 11.07.2017 (Forum Vietnam 21) - Eine prominente Bloggerin ist in einem eintägigen Prozess am vergangenen 29. Juni wegen Propaganda gegen den Staat zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte die 37-jährige Bloggerin, bekannt unter ihrem Pseudonym Me Nam (Mutter Pilz), nach Paragraf 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuches angeklagt. An dem Prozess konnten weder internationale Beobachter noch ihre Familienangehörige teilnehmen. Acht Monate lang war Nguyen Ngoc Nhu Quynh in Isolationshaft. Es wurde berichtet, dass sie erst neun Tage vor dem Prozess zum ersten Mal einen Besuch von ihrem Anwalt erhielt. Mit der Verurteilung zu zehn Jahren Gefängnis hat das Volksgericht der Provinz Khanh Hoa fast das Höchstmaß verhängt.
Wer ist "Mutter Pilz"?
Nguyen Ngoc Nhu Quynh, Jahrgang 1979, ist Mutter von zwei Kindern, „Gau“ 4 und „Nam“ 10 Jahre alt, sie lebt zusammen mit ihrer Mutter, Nguyen Thi Tuyet Lan, in der Küstenstadt Nha Trang, Provinz Khanh Hoa in Zentralvietnam. Die Leidenschaft für Fremdsprachen hat dazu geführt, dass sie das begonnene Studium im Fach Journalismus an der Uni in Saigon abbrach und in die Heimat Stadt Nha Trang zurückkehrte, um an der dortigen Pädagogischen Hochschule das Englischstudium aufzunehmen. Mit dem Diplom in Englisch ausgerüstet, wollte sie die Welt näher kennenlernen, sie eröffnete gemeinsam mit einer Freundin ein Reisebüro und arbeitete als Reiseführerin. Der Beruf als Tourguide ermöglicht ihr, Kontakte mit Touristen aus der ganzen Welt herzustellen und somit ihren Traum zu verwirklichen: Wissen und Kenntnisse über die Welt zu erwerben und es zu erweitern, was ihr vorher nicht möglich war, weil in Vietnam seit eh und je alles zensiert und verboten ist. Sie begann die Welt durch das Internet kennenzulernen und konnte sich einen Blick auf das reale Geschehen der Gesellschaft, in der sie lebt, im Zusammenhang mit sozialer Ungerechtigkeit, mit Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Umweltzerstörung verschaffen, die Probleme, die sie bis dahin so nicht erkennen konnte.
Im Jahre 2006 begann sie einen Blog mit dem Nicknamen „Me Nam“ (Mutter Pilz / Mother Mushroom) zu schreiben, um mit dem Mittel sozialer Medien gegen die Ungerechtigkeiten, gegen die grenzenlose Korruption und die brutale Unterdrückung bzw. Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung in Vietnam zu protestieren. Sie zeigte offen ihre Solidarität mit den Opfern von sozialer Ungerechtigkeit und setzte sich energisch für die kleinen Leute ein. Diese Aktivitäten haben dazu geführt, dass sie von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen wurde, sie und ihre Familie wurden ständig bedroht, schikaniert und terrorisiert. Das erste Mal festgenommen wurde sie im September 2009, für 10 Tage, wegen Verteilens von bedruckten T-Shirts mit Inhalten gegen die chinesische Besetzung der Inselarchipel Paracel und Spratly, und gegen die Umweltzerstörung durch den Abbau von Bauxit im Zentralhochland Vietnams. Im Mai 2013 wurde sie für mehrere Stunden von der Polizei in Khanh Hoa festgehalten und verhört, wegen Verteilens der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Im Dezember 2013 wurde sie am Flughafen festgehalten, man hat ihr die Ausreise nach Bangkok, Thailand, verweigert, als sie mit dem Hohen Menschenrechtskommissar der UN dort treffen wollte.
Im April 2014 wurde sie in Nha Trang, Provinz Khanh Hoa, bei der Vorbereitung eines Seminars über das Thema „UN-Antifolterkonvention und die Probleme der Todesfälle im Polizeigewahrsam von Vietnam“ festgenommen. Im März 2015 wurde sie von der Polizei in Nha Trang festgehalten, weil sie nach Hanoi fahren wollte, um sich mit den Vertretern der Interparlamentarischen Union (IPU) zu treffen. Im Juli 2015 wurde sie bei einem „Hungerstreik für politische Gefangene“ am Strand von Nha Trang festgenommen und misshandelt. Im Mai 2016 wurde sie bei der Teilnahme an einer Demonstration in Saigon, wegen der Umweltkatastrophe mit Massenfischsterben an der Küste im Zentralvietnam durch die taiwanesische Stahlfabrik „Formosa“ in Ha Tinh, vorläufig festgenommen. Im August 2016 wurde sie von maskierten Polizeikräften angehalten und brutal misshandelt, als sie von einem Treffen mit den Opfern der Umweltkatastrophe zurück nach Hause fuhr.
Festnahme und Anklage
Am 10. Oktober 2016 wurde Nguyen Ngoc Nhu Quynh von der Polizei in Khanh Hoa, mit dem Vorwand mit ihr ein Gespräch führen zu wollen, in das Haftlager Song Lo gelockt und dort festgenommen - Proteste und öffentliche Aufregung wegen der Verhaftung sollten dadurch vermieden werden – sie war zuvor mit der Mutter von dem Facebooker Nguyen Huu Quoc Duy gekommen, um sie bei der Forderung eines Besuchserlaubnisses zu unterstützen, weil die Mutter ihren Sohn dort nicht besuchen durfte, der zu 3 Jahren Haftstrafe wegen „Propaganda gegen den Staat“ verurteilt wurde. Mit demselben Vorwurf: „Propaganda gegen die Sozialistische Republik Vietnam“ nach dem Artikel 88 des Strafgesetzbuches Vietnams erhob die Staatsanwaltschaft in Khanh Hoa Anklage gegen Nguyen Ngoc Nhu Quynh.
Unterstützung aus Berlin
Am 22. Oktober 2016 forderte die SPD-Bundestagsfraktion die sofortige und bedingungslose Freilassung von Frau Nguyen Ngoc Nhu Quynh. In einer Pressemitteilung der Arbeitsgruppe Menschenrechte, vertretend durch Herrn Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe, heißt es:
„Die SPD-Bundestagsfraktion ist über die Haftbedingungen der Bloggerin Nguyen Ngoc Nhu Quynh äußerst besorgt. Sie erhält kein Besuchsrecht für ihre zwei minderjährigen Kinder und andere Familienmitglieder. Eine Rechtsbeihilfe wird ihr verweigert. Nguyen Ngoc Nhu Quynh hat kein Verbrechen begangen, sondern nur von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Wir fordern die sofortige Freilassung von Nguyen Ngoc Nhu Quynh. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte, Dr. Bärbel Kofler, setzen sich ebenfalls für sie ein. Außerdem wurde Nguyen Ngoc Nhu Quynh in das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ aufgenommen. Hier setzen sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages für bedrohte Parlamentarier, Politiker und Menschenrechtsverteidiger ein.“
Auszeichnungen für ihren Mut
Nguyen Ngoc Nhu Quynh ist Mitbegründerin des "Netzwerks vietnamesischer Blogger", in dem sich unabhängige Autoren organisieren. Als die schwedische Organisation "Civil Rights Defenders" Nguyen Ngoc Nhu Quynh den Titel "Bürgerrechtsverteidiger des Jahres 2015" (Civil Rights Defender of the Year 2015) verlieh, konnte sie den Preis nicht persönlich entgegennehmen, da sie in Haft saß.
Das amerikanische Außenministerium hat am 29.03.2017 in Washington insgesamt 13 Frauen aus der ganzen Welt mit dem "Internationalen Preis für Frauen mit Mut" (International Women of Courage Award) für das Jahr 2017 verliehen. Bei der Vergabe hielt die First Lady Melania Trump ein Plädoyer für die Menschenrechte und die weltweite Gleichstellung der Frauen. 13 Frauen wurden mit dem "Internationalen Preis für Frauen mit Mut" ausgezeichnet, zwölf waren bei der Zeremonie anwesend, die Einzige, die dabei nicht anwesend sein konnte, war Nguyen Ngoc Nhu Quynh, weil sie inhaftiert wurde.
Schwere Zeiten für Regimekritiker
Juristische Inszenierungen bringen in Vietnam immer wieder Menschenrechtsaktivisten hinter Gitter. Unter dem Vorwurf, gegen Artikel 88 („Propaganda gegen den Staat“) oder Artikel 258 („Missbrauch demokratischer Freiheiten gegen das Staatsinteresse“) des vietnamesischen Strafgesetzbuchs verstoßen zu haben, werden Kritiker zum Schweigen gebracht. Die Pressefreiheit ist massiv eingeschränkt, auf dem Index zur Pressefreiheit 2017 von "Reporter ohne Grenzen" belegt das Land Platz 175 von 180. Beobachter und Menschenrechtsgruppen werten den Prozess gegen Nguyen Ngoc Nhu Quynh auch als eine Warnung des Regimes an andere Blogger und Aktivisten in Vietnam.
Der Zeitpunkt des Prozesses gegen Nguyen Ngoc Nhu Quynh nährt aber Spekulationen über Machtkämpfe in der Führung der Kommunistischen Partei Vietnams: der Armee-Polizei-Flügel ließe den Prozess kurz vor dem Hamburger G20-Gipfel stattfinden, um Auftreten des Premierministers Nguyen Xuan Phuc auf internationaler Bühne dadurch zu stören, dass er in Deutschland mit Fragen von Rechtsstaat und Menschenrechten in Vietnam konfrontieren müsste. (Hai Tran & Thach Duong)
Dr. Hong An Duong
Koordinator des Forums Vietnam 21
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