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Neue Westfälische (Bielefeld): Ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei
Scheinriese Erdogan
Susanne Güsten, Istanbul

ID: 1511181

(ots) - Ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei
sieht auf den ersten Blick alles nach einer dauerhaften Zementierung
der Macht von Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen
Regierungspartei AKP aus. Doch der Eindruck täuscht. Erdogans Türkei
gleicht immer mehr einer nahöstlichen Despotie, die ohne den Mann an
der Spitze nicht existieren kann. Sein Land und er sind isoliert. Die
Kernbestandteile jeder Demokratie - der freie Wettstreit der Ideen
und die wirksame Kontrolle der Macht - sind in der Türkei außer Kraft
gesetzt. Seit dem Umsturzversuch vom 15. Juli 2016 werden alle
Befugnisse auf die Person Erdogans konzentriert. Der Staatschef ist
Oberbefehlshaber der Armee, Chef der Regierung, Vorsitzender der
Regierungspartei und gebärdet sich als oberster Richter. Niemand
innerhalb und außerhalb der Türkei wunderte sich, als Erdogan im
Interview betonte, der Protestmarsch der Opposition von Ankara nach
Istanbul könne nur stattfinden, weil die Regierung die Demonstranten
gewähren lasse: Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hängt in der
Türkei von Erdogans Gnaden ab. In Istanbul wurde eine Gruppe von
Menschenrechtlern festgenommen. Erdogan wirft ihnen - ohne Beweise -
die Vorbereitung eines neuen Putschversuches vor. Kritik an der
zunehmenden Willkür wehren der Staatschef und seine Anhänger mit dem
Hinweis auf das demokratische Mandat des ersten direkt gewählten
Präsidenten des Landes ab. Doch in Wirklichkeit geht es nur um die
Macht des Präsidenten. So ist im System Erdogan keine geordnete
Machtübergabe auf eine andere Person vorgesehen: Die AKP hat das
Präsidialsystem mit den starken Machtbefugnissen für Erdogan nur
deshalb durchgesetzt, weil sie sicher ist, dass Erdogan die
Präsidentenwahl in zwei Jahren gewinnen wird. Erdogan kann nicht mehr
zurück. Ein Kurswechsel hin zu Reform und Rechtsstaat würde seine




persönliche Macht untergraben. So muss er die Rechte seiner Bürger
immer weiter einschränken, bei jedem Rückschlag neue innere und
äußere Feinde als Sündenböcke nennen und die Staatsgeschäfte immer
stärker an sich ziehen. Das kann für ihn eine ganze Weile gutgehen,
doch auf Dauer ist der Präsident zum Scheitern verurteilt: Sein
ganzes Streben gilt ausschließlich der Erhaltung der eigenen Macht.
Ein Zukunftsmodell für die Türkei ist das System Erdogan nicht.



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Datum: 14.07.2017 - 20:00 Uhr
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