(ots) - Volkswagen hat sich offenbar in der Zeit der
brasilianischen Militärdiktatur aktiv an politischer Verfolgung und
Unterdrückung von Regime-Gegnern beteiligt. Das haben Recherchen von
NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung ergeben. Die brasilianische
VW-Tochter Volkswagen do Brasil hat demnach die eigenen Mitarbeiter
und deren politische Gesinnung ausgespäht. Die Informationen über
Oppositionelle gelangten dann an die Politische Polizei der
Militärmachthaber. Zudem wurden VW-Mitarbeiter durch die Politische
Polizei auf dem Firmengelände verhaftet. Betroffene berichten, sie
seien im Anschluss monatelang gefoltert worden.
Die Konzernzentrale in Wolfsburg will sich bislang nicht
inhaltlich zu den Vorwürfen äußern und verweist auf ein Gutachten,
das beim Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Christopher Kopper von der
Universität Bielefeld in Auftrag gegeben wurde. "Wenn wir es
aufgearbeitet haben, dann kommen wir möglicherweise auch zu
Erkenntnissen", so Konzernsprecher Hans-Gerd Bode. Professor Kopper
hat bis Ende des Jahres Zeit, seine Ergebnisse vorzulegen. Im
Interview mit den drei Medien nahm er jedoch bereits Stellung und
bestätigte die Vorwürfe: "Ich kann sagen, dass es eine regelmäßige
Zusammenarbeit zwischen dem Werkschutz von VW do Brasil und dem
Polizeiorgan des Regimes gab." Auch für Festnahmen auf dem
Werksgelände sieht Kopper die Volkswagen AG in der Verantwortung:
"Ja, sie hat die Verhaftungen zugelassen."
Ermittlungen der Bundesstaatsanwaltschaft in Brasilien
Volkswagen Brasilien war das erste Tochterunternehmen des
Wolfsburger Konzerns im Ausland überhaupt. Die konservative
Militärregierung (1964 bis 1985) setzte auf Wirtschaftswachstum und
innere Ordnung - Ziele, die sie mit dem Unternehmen teilte. "Wir
fanden Verhältnisse, mit denen man als Unternehmer schaffen konnte",
so der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Carl Hahn. Jetzt ermittelt
die Bundesstaatsanwaltschaft in Brasilien. Ein Team von
Staatsanwälten und Gutachtern untersucht, welche Verantwortung
Volkswagen do Brasil für "Menschenrechtsverletzungen innerhalb des
Werksgeländes zur Zeit der Militärdiktatur" trägt.
NDR, SWR und Süddeutsche Zeitung konnten umfangreiche Unterlagen
auswerten: die Akten aus dem aktuell laufenden brasilianischen
Ermittlungsverfahren, interne Unternehmenspapiere von Volkswagen,
Berichte des Auswärtigen Amts und als geheim eingestufte Papiere der
Politischen Polizei aus der Diktaturzeit. Aus den Dokumenten der
Politischen Polizei, der sogenannten "Abteilung für politische und
soziale Ordnung", geht hervor, dass allein im Sommer 1972 mindestens
sechs VW-Mitarbeiter aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verhaftet
wurden. Nach Aussagen von Zeugen waren es viele mehr. Unter ihnen
sind ein in Hannover aufgewachsener Werkzeugmacher, ein spanischer
Staatsbürger und eine Sekretärin bei Volkswagen Brasilien mit
deutschen Wurzeln.
Volkswagen Brasilien lieferte offenbar eigene Mitarbeiter der
Folter aus
Ãœbereinstimmend berichten mehrere ehemalige Mitarbeiter, dass die
Verhaftungen jeweils am Arbeitsplatz stattgefunden hätten. Nach ihren
Aussagen wurden die Festnahmen vom VW-Werkschutz ermöglicht, der
Sicherheitsabteilung des Konzerns: "Plötzlich spürte ich eine
Maschinenpistole in meinem Rücken, mir wurden Handschellen angelegt",
schildert der ehemalige VW-Werkzeugmacher Lúcio Bellentani seine
Verhaftung.
Die ersten Schläge und Tritte hätten ihm die Polizisten demnach
noch in den Räumen der Personalabteilung von VW versetzt. "Und die
Leute vom VW-Werkschutz schauten zu", erinnert sich der heute
72-Jährige. Der Vorwurf: Er hatte Flugblätter für die Kommunistische
Partei am Arbeitsplatz verteilt. Auf die Verhaftung folgte für ihn,
wie auch für die anderen ehemaligen VW-Mitarbeiter, monatelange
Folterhaft. Bei Befragungen wurden unter anderem Elektroschocks
eingesetzt, außerdem wurden ihm gewaltsam Zähne aus dem Kiefer
gebrochen. Bellentani fordert jetzt von VW, zur Vergangenheit zu
stehen: "Indirekt war VW verantwortlich für zahlreiche Fälle von
Folter und Verfolgung. Man darf solche Dinge nicht unter den Teppich
kehren. Volkswagen sollte die Würde haben, seine Verantwortung für
diese Taten anzuerkennen."
Der VW-Werkschutz als "verlängerter Arm der politischen Polizei"
Volkswagen Brasilien hatte bereits im Jahr 1959 - fünf Jahre vor
dem Putsch der Militärs in Brasilien - einen Werkschutz als Teil der
Personalabteilung gegründet. Die Recherchen von NDR, SWR und
Süddeutscher Zeitung zeigen, dass sich eine Unterabteilung des
Werkschutzes faktisch zum werkseigenen Geheimdienst entwickelte.
Diese Abteilung arbeitete zweigleisig: Zum einen übernahm sie
typische Sicherungsaufgaben wie den Schutz des Werksgeländes. Zum
anderen bespitzelte sie die eigenen Mitarbeiter.
Das zeigen Hunderte so genannter Vorkommnisberichte, erstellt vom
VW-Werkschutz, die in den geheimen Unterlagen der Politischen Polizei
gefunden wurden und von Reportern der drei Medien ausgewertet werden
konnten. "Erhalten von Volkswagen", steht auf den Deckblättern
vermerkt. Die Berichte identifizieren Oppositionelle, berichten von
Streiks und über Streik-Anstifter und zeigen sogar Fotografien von
Mitarbeitern, die auch außerhalb des Werksgeländes gemacht wurden.
"Der Werkschutz hat agiert, als wäre er ein verlängerter Arm der
brasilianischen Politischen Polizei innerhalb des VW-Werkes", sagt
der Gutachter der Bundesstaatsanwaltschaft, Guaracy Mingardi. Auch
ehemalige Mitarbeiter der Politischen Polizei bestätigten nun die
enge Zusammenarbeit mit Volkswagen: "Alles, was wir von Volkswagen
haben wollten, haben sie sofort gemacht. Wir waren uns sehr nah", so
der ehemalige Dienststellenleiter der Politischen Polizei, José
Bonchristiano.
Die ehemaligen VW-Mitarbeiter berichten von einem polizeiähnlichen
Kontroll- und Bestrafungssystem des Werkschutzes. Wer negativ
auffiel, sei oft mehrere Tage in einem werkseigenen Verhörraum
festgehalten worden, der sich im Keller des Werksgebäudes befunden
habe.
Was wusste VW in Wolfsburg?
Wie aus VW-internen Unterlagen hervorgeht, tauschten sich die
Unternehmensführung in Wolfsburg und Brasilien bereits 1972 über
Verhaftungen von Mitarbeitern aus. Außerdem soll der VW-Vorstand in
Wolfsburg nach den Recherchen spätestens im Jahr 1979 von den
Vorwürfen erfahren haben. Damals reisten brasilianische
VW-Mitarbeiter persönlich nach Wolfsburg, um den damaligen
VW-Vorstandsvorsitzenden Toni Schmücker auf Verstrickungen von VW in
die Machenschaften der Militärdiktatur in Brasilien anzusprechen.
Einer von ihnen war der Gewerkschaftsführer Devanir Ribeiro: "Ich
habe zu ihm gesagt: Sie leiten doch diese Firma. Warum nimmt man
Arbeiter in der Firma fest?" Eine Antwort habe er nie bekommen.
Die Dokumentation "Komplizen? VW und die brasilianische
Militärdiktatur" von Stefanie Dodt und Thomas Aders ist am Montag,
24. Juli, um 23.25 Uhr im Ersten zu sehen. Im Radio sendet NDR Info
eine gleichnamige Podcast-Serie - von Montag, 24. Juli, bis
Donnerstag, 27. Juli, jeweils um 20.30 Uhr. Sie wurde von Stefanie
Dodt und Thilo Guschas erarbeitet. Unter www.NDR.de/info steht die
Podcast-Serie ab Sonntag, 23. Juli, 19.00 Uhr, zum Download bereit.
NDR Info sendet zudem am Sonntag, 30. Juli, um 11.05 Uhr das Feature
"Die Tortur. Lúcio Bellentani und VW in Brasilien" von Stefanie Dodt
und Thilo Guschas.
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