PresseKat - Nach Stuttgarter Richterspruch zu Diesel-Fahrverboten: Deutsche Umwelthilfe fordert Umsetzung eines

Nach Stuttgarter Richterspruch zu Diesel-Fahrverboten: Deutsche Umwelthilfe fordert Umsetzung eines "Acht-Punkte-Sofortprogramms für saubere Luft"

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(ots) - Deutsche Umwelthilfe bewertet die von den
Autokonzernen geplanten Software-Veränderungen als technisch
weitgehend unwirksam und als klar EU-rechtswidrig - Stuttgarter
Gericht fordert ab dem 1.1.2018 verbindliche Einhaltung der
EU-Luftqualitätsgrenzwerte und erklärt die von den Autokonzernen
angebotenen Software-Updates für Diesel-Pkw als ungeeignete Maßnahme
- Verwaltungsgericht: "Behörde ist nicht befugt, das zur Einhaltung
der überschrittenen Immissionsgrenz¬werte sofort (1.1.2018)
erforderliche Verkehrsverbot wegen der "Nachrüstlösung" auf einen
späteren Zeitpunkt zu verschieben" - Dieselkonzerne wollen ohne
vorherige Prüfung und Genehmigung durch die Behörden
Motorsteuersoftware verändern - Unter plus 10 Grad Celsius will die
Politik die faktische Abschaltung der Abgasrei¬nigung und damit
tausende unnötige Todesfälle akzeptieren - DUH kündigt an, "alle
rechtlichen Möglichkeiten" auszuschöpfen, um die erneute
rechtswidrige Kungelei zu stoppen

Nachdem durch Gerichtsentscheidungen Diesel-Fahrverbote in
Düsseldorf, München und Stuttgart als erforderlich bestätigt wurden,
fordert die Deutsche Umwelthilfe (DUH), dass sich die Politik endlich
von den in Hinterzimmern verabredeten unzureichenden Software-Updates
verabschiedet und wirklich wirksame Maßnahmen ergreift. Angesichts
der anstehenden Verhandlungen beim "Nationalen Forum Diesel" am
2.8.2017 legt die DUH ein "Acht-Punkte-Sofortprogramm für saubere
Luft" vor.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann
ist vor Gericht krachend mit seinem Versuch gescheitert, eine
freiwillige Software-Änderung anstelle der für den 1.1.2018 bereits
angekündigten Diesel-Fahrverbote durchzusetzen. Vernichtende Kritik
erntete die Landesregierung Baden-Württemberg für ihre zuletzt als
vorzugswürdig erachteten sogenannte "Software-Änderung". Selbst unter




der (unrealistischen) Annahme, dass 100 Prozent der betroffenen
Autohalter bis 2020 daran teilnehmen und eine Reduzierung der
Emissionen im Straßenverkehr um mindestens 50 Prozent einträte (beide
Zahlen sind deutlich zu hoch), wäre nach Einschätzung der Gutachter
der Landesregierung nur mit einer Reduzierung der
Stickstoffdioxidwerte (NO2) um 9 Prozent zu rechnen. Da die Belastung
der Stuttgarter Atemluft um bis zu 100 Prozent über dem gesetzlichen
Grenzwert liegt, ist die Software-Änderung aus Sicht des Gerichts
ungeeignet.

"Tatsächlich ist die maximal mögliche Gesamtreduktion der
Emissionen noch weitaus kleiner als vom Gericht als Maximalwert
dargestellt, da die Industrie weniger als die Hälfte der
Bestands-Diesel-Pkw in diese Maßnahme einbezieht, die aktuelle
versprochene Minderung der Emission bei durchschnittlich 25 und nicht
50 Prozent liegen soll und schließlich nur ein kleiner Teil der
Autohalter an dieser "freiwilligen" Maßnahme teilnehmen wird. Wir
gehen von deutlich weniger als 5 Prozent Verbesserungspotential der
NO2-Belastung in unseren durch Dieselabgase vergifteten Städte aus",
so Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.

Die realen Stickoxid-Abgasemissionen von Euro 5 + 6 Diesel-Pkw
liegen um das 5- bis 8-fache höher als erlaubt. Einen kürzlich
untersuchten Audi A8, Abgasnorm Euro 6 hat die DUH im Rahmen ihres
Emissions-Kontroll-Instituts (EKI) mit knapp 2.000 mg NOx/km
gemessen; das Fahrzeug war damit 24-mal schmutziger als bei der
Zulassung erlaubt. Aus Sicht der DUH ist es nicht akzeptabel, dass
nun "freiwillige Software-Updates" mit nur 25 Prozent Reduktion der
NOx-Emissionen akzeptiert werden sollen. Bei Temperaturen unter plus
10 Grad Celsius und damit insbesondere im gesundheitlich besonders
sensiblen Winterhalbjahr dürfen die Diesel-Pkw zudem so schmutzig
bleiben wie bisher. Zudem sind die geplanten Software-Veränderungen
ohne behördliche Genehmigung eindeutig EU-rechtswidrig und werden
durch die Freiwilligkeit der Maßnahme nur von einer Minderheit der
Fahrzeughalter akzeptiert.

"Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die
illegalen Placebo-Software-Updates zu stoppen. Als gäbe es kein
Dieselgate und kein seit zwanzig Jahren bestehendes Betrugs-Kartell,
gibt sich die Bundesregierung mit freiwilligen Angeboten zufrieden.
Spätestens mit dem Stuttgarter Richterspruch müsste der
Bundesregierung klargeworden sein, dass Placebo-Lösungen die Luft
nicht sauber machen und die von uns gerichtlich durchgesetzten
Diesel-Fahrverbote das einzig wirksame Mittel sind, die Industrie zu
verpflichten, die betroffenen Fahrzeuge technisch so nachzurüsten,
dass sie im realen Betrieb auf der Straße die Euro 6 Abgaswerte
einhalten. Anstatt die Industrie unterwürfig um "freiwillige
Angebote" zu bitten, müssen die Autokonzerne zur vollständigen
Behebung des durch ihren Betrug entstandenen Schadens und zur
Einhaltung von Recht und Gesetz gezwungen werden", so Jürgen Resch.
"Jegliche Kaufanreize ausgerechnet für Diesel-Fahrzeuge, wie vom
bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer am Wochenende gefordert,
lehnen wir ab, da selbst die saubersten Euro 6 Diesel-Pkw deutlich
höhere NOx-Emissionen haben als Euro 6 Benzin-Pkw."

Weder das Bundesverkehrs- noch das Bundesumweltministerium waren
bisher zu Arbeitsgesprächen mit der DUH bereit. Umwelt- und
Verbraucherverbände sind auch für die Teilnahme am Nationalen
Diesel-Forum trotz aller Bemühungen bisher nicht eingeladen. So
bleibt der DUH nur der Weg über die Öffentlichkeit, ihr mit Experten
entwickeltes "Acht-Punkte-Sofortprogramm für saubere Luft" als neue
Verhandlungsgrundlage für den Dieselgipfel am Mittwoch, 2.8.2017 zu
präsentieren, mit denen sowohl die Luftqualitätswerte ab dem 1.1.2018
eingehalten als auch die die Mobilität der Menschen sichergestellt
werden kann.

Die notwendigen Maßnahmen des "Acht-Punkte-Sofortprogramm für
saubere Luft":

1. Verbindliche Zusage der Autokonzerne, ab 1.1.2018 nur noch
Diesel-Neuwagen zu verkaufen, die den Euro 6-Grenzwert für NOx
von 80 mg/km auf der Straße einhalten (gemäß RDE-Abgasmessung
und dies bei Temperaturen bis minus 15 Grad Celsius).
2. Verstärkung des Angebots sauberer und effizienter
Antriebstechnologien bei Neufahrzeugen noch im Jahr 2018
(Erdgas-, effiziente Benzin-Hybrid- und Elektroantriebe).
3. Verpflichtender Rückruf sämtlicher Euro 5 + 6 Diesel-Fahrzeuge
zur Hardware-Nachbesserung der Abgasreinigungsanlage und
Einhaltung des Euro 6-Grenzwerts für NOx von 80 mg/km auf der
Straße (gemäß RDE-Abgasmessung).
4. Nachrüstprogramm für alle Euro 5/V + 6/VI leichte Nutzfahrzeuge
(Liefer- und Handwerkerfahrzeuge) auf aktuelle Euro 6/VI
SCR-Technologie.
5. Sonderinfrastrukturprogramm für einen "Sauberen ÖPNV":
Verpflichtung und Ertüchtigung der Kommunen, dass bis
spätestens 1.7.2018 alle ÖPNV-Busse entweder über
SCR-Katalysator und Partikelfilter verfügen und die Euro 6
Abgaswerte einhalten oder durch Neufahrzeuge mit Erdgas- oder
Elektroantrieb ersetzt werden. Ausbau des Angebots an
Nachverkehrsleistungen wie Streckenausweitung, Taktverdichtung
und Ausdehnung der Betriebszeiten.
6. Einführung der Sammelklage ins deutsche Recht, um dem
Verbraucher verbesserte Rechte gegenüber betrügerischen
Unternehmen zu geben.
7. Transparenzzusage der Industrie: Verpflichtung zur
Veröffentlichung der RDE-Messwerte aller Fahrzeugmodelle für
CO2 und NOx (für den Temperaturbereich minus 15 Grad Celsius
bis plus 35 Grad Celsius) und des fahrzeugspezifischen
Temperaturbereichs mit von der Software gesteuerter,
ordnungsgemäßer Abgasreinigung.
8. Transparenz der Behörden: Offenlegung aller CO2- und
emissionsbezogener Daten durch das Kraftfahrt-Bundesamt: Die
Automobilindustrie stimmt der Veröffentlichung aller für die
Nachprüfung von CO2- und Abgaswerten notwendigen Fahrzeugdaten
sowie der gefundenen illegalen sowie der für "legal" erklärten
Abschalteinrichtungen ausdrücklich zu.

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Stuttgarter
Verfahren und 15 anderen Auseinandersetzungen zur Einhaltung der
NO2-Grenzwerte vertritt, bewertet die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts Stuttgart wie folgt: "Das Stuttgarter Urteil war
ein letzter Weckruf für Politik und Industrie. Alle, die denken, es
sei eine Einzelentscheidung eines besonders kritischen Gerichts,
werden sich täuschen: Die Entscheidung liegt vielmehr ganz auf der
Linie der seit zehn Jahren gefestigten Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts. Das
Verwaltungsgericht Stuttgart hat sich daran orientiert und in
tatsächlicher Hinsicht nur die Gutachten der Landesregierung
ausgewertet. Das durch die Umweltverbände einklagbare Recht auf
saubere Luft wird sich, da bin ich sicher, daher auch in einer
höheren Instanz durchsetzen. Bei massiven Gesundheitsschäden bis hin
zu den 10.600 jährlichen vorzeitigen Todesfällen in Deutschland
aufgrund von Stickstoffdioxid sollte die Politik früher zur Vernunft
kommen und die seit vielen Jahren ausstehenden Maßnahmen
schnellstmöglich verabschieden."

Hintergrund:

Nach dem Grundsatzurteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart von
Freitag, 28.7.2017 (siehe Pressemitteilung des VG Stuttgart), sind
Diesel-Fahrverbote die "effektivste und derzeit einzige
Luftreinhalteplanmaßnahme zur Einhaltung der überschrittenen
Immissionsgrenzwerte und zugleich auch zur schnellstmöglichen
Einhaltung, wenn dieses bereits zum 01.01.2018 in Kraft gesetzt
wird". Entgegen der Aussagen von Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt am Tage des Urteils erteilt das Gericht auch eine Absage für
"alle anderen von der Planungsbehörde in Betracht gezogenen Maßnahmen
(Geschwindigkeitsbeschränkungen, Verkehrsverbote nach
Kfz-Kennzeichen, City-Maut, Nahverkehrsabgabe und sog.
"Nachrüstlösung")", diese "sind von ihrem Wirkungsgrad nicht
gleichwertig".

Das Stuttgarter Verwaltungsgericht äußerte sich auch zur
Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit der Diesel-Fahrverbote: "Das
Verkehrsverbot verstößt insbesondere unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil -
wovon auch die Planbehörde ausgeht und was zwischen den Beteiligten
deshalb unstreitig ist - der Schutz der Rechtsgüter Leben und
Gesundheit der von den Immissionen betroffenen Wohnbevölkerung in der
Umweltzone Stuttgart höher zu gewichten ist, als die dagegen
abzuwägenden Rechtsgüter (Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit)
der von dem Verkehrsverbot betroffenen Kraftfahrzeugeigentümer. Die
Planbehörde ist auch nicht befugt, das zur Einhaltung der
überschrittenen Immissionsgrenzwerte sofort (01.01.2018)
erforderliche Verkehrsverbot wegen der von ihr zuletzt bevorzugten
sog. "Nachrüstlösung" auf einen erheblich späteren Zeitpunkt (hier
01.01.2020) zu verschieben. Soweit die Planbehörde dieser
"Nachrüstlösung" trotzdem den Vorzug geben will, würde sie damit
zudem einen Handlungsspielraum zu Lasten des zur Einhaltung der
überschrittenen Immissionsgrenzwerte sofort gebotenen Verkehrsverbots
in Anspruch nehmen, der ihr gemäß § 47 Abs. 1 BImSchG ebenfalls nicht
zusteht, wenn die Stickstoffdioxid-Immissionsgrenzwerte bereits seit
so langer Zeit wie in der Umweltzone Stuttgart überschritten sind."

Das Gericht widerspricht in seinem Urteil auch den von
Autokonzernen und Regierungspolitikern behauptetem Problem, auf Basis
der aktuellen Rechtslage seien Verkehrsverbote für Diesel-Fahrzeuge
nicht möglich. Dazu urteilte das Gericht: "In Anbetracht der
Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Einhaltung der
unionsrechtlich vorgegebenen Umweltschutzstandards und des aus Art. 2
Abs. 2 GG resultierenden Schutzauftrags für das Leben und die
Gesundheit von Menschen kann dieses vom Bundesverordnungsgeber ohne
sachlichen Grund bislang nicht behobene Regelungsdefizit jedoch nicht
dazu führen, dass das vorliegend zum Schutz der menschlichen
Gesundheit gebotene Verkehrsverbot unterbleibt. Da die Aufzählung der
Zusatzzeichen in der StVO zudem nicht abschließend ist, ist der
Beklagte deshalb rechtlich befugt und verpflichtet, das im
vorliegenden Fall notwendige Zusatzzeichen selbst zu gestalten. Auch
in Bezug auf den hier notwendigen Textumfang, mit dem eine
Freistellung vom Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge Euro 6 und
sonstige Kraftfahrzeuge (Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren) ab Euro 3
geregelt werden müsste, bestehen keine rechtlichen Bedenken."

Zu den gesundheitlichen Auswirkungen der derzeitigen massiven
Überschreitung der NO2-Luftqualitätswerte: Neben den laut Studie der
Europäischen Umweltagentur 10.610 jährlichen vorzeitigen Todesfällen,
gibt es mehrere Hunderttausend durch Stickoxid bedingte
Krankenhauseinweisungen, Arztbesuche, Fehltage in der Schule, Tage
mit Arbeitsunfähigkeit und Asthmaanfälle.

Links:

Pressemitteilung des VG Stuttgart zur Entscheidung in der Klage VG
Stuttgart vom 28.7.2017: http://l.duh.de/c18kt

Pressemitteilung der DUH vom 28.7.2017: Verwaltungsgericht
Stuttgart: Diesel-Fahrverbote in Stuttgart ab 1. Januar 2018 zulässig
und erforderlich http://l.duh.de/p170728b

Pressemitteilung der DUH vom 16.6.2017: Der schmutzigste Diesel
ist ein Audi A8 der Abgasstufe Euro 6: Deutsche Umwelthilfe misst bei
Straßenmessungen höchste je gemessene NOx-Werte eines Diesel-Pkw:
http://l.duh.de/p170616b



Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch(at)duh.de

Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger, Geulen & Klinger Rechtsanwälte
Tel.: 0171 2435458, klinger(at)geulen.com

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Datum: 31.07.2017 - 10:45 Uhr
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