(ots) - Für Björn Engholm (77) bedeutet die Agenda 2010
einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Sozialdemokratie. Der
frühere SPD-Parteichef sagte der "Heilbronner Stimme" (Freitag): "Man
kann für die Agenda 2010 sicher das ein oder andere ökonomische
Argument geltend machen. Aber die Agenda hat für die SPD einen tiefen
Einschnitt bedeutet. Ich denke, sechs bis neun Prozent unserer
Stammwähler sind in das Lager der Nichtwähler und zur Linken
abgewandert. Diese Enttäuschten zurückzuholen ist außerordentlich
schwer. Ich habe das erlebt, als wir im Norden die letzten Werften
schließen mussten. Stolze Werftarbeiter zahlen ihr Leben lang ein und
stehen plötzlich mit 56 Jahren als Sozialhilfeempfänger im Abseits.
Das haben sie uns auch nicht verziehen."
Seiner Partei rät er, auf das Thema Gerechtigkeit zu setzen.
Engholm: "Ich glaube an das Thema Gerechtigkeit. Auch wenn wir ein
starkes Wirtschaftswachstum im Land haben und eine ausgesprochen gute
Beschäftigungslage, so sind doch 75 Prozent der Deutschen der
Meinung, dass es in dieser Gesellschaft nicht wirklich gerecht
zugeht. Wenn ich Chemikerin wie die Kanzlerin wäre würde ich sagen:
Es geht um die Verringerung der Ungleichverteilung. Das ist nämlich
das Hauptproblem. Einkommen und Vermögen, Bildungs- und
Aufstiegschancen sind so ungleich verteilt, dass es nach neuen
Antworten schreit. Auch wenn die Konjunktur läuft und die Gemüter
beruhigt: das Thema Gerechtigkeit ist und bleibt richtig und wichtig.
Man muss es auch um den Preis, nicht sofort den ersten Platz bei
einer Wahl zu erringen, konsequent verfolgen."
Dass dem Hype um Kanzlerkandidat Martin Schulz die Ernüchterung in
den Umfragen gefolgt sei, hat aus seiner Sicht zwei Konsequenzen:
"Als Schulz die SPD übernommen hat, lagen wir bei 20, 21 Prozent. Die
Partei ist lange durch ein schier endloses Tal marschiert. Und
plötzlich gibt es einen neuen Hoffnungsträger, der Erwartungen
auslöst, die sich zu einem Hype, einem Rausch auswachsen. Aber ein
solcher Hype bricht, wenn er bei der nächsten Umfrage enttäuscht
wird, in sich zusammen. Das führt zu einem doppelt negativen Effekt:
Demobilisierung der eigenen Leute und Mobilisierung des politischen
Gegners."
Zu den Chancen seiner Partei bei der Bundestagswahl sagte er: "Ich
denke, die SPD kann noch die 30-Prozent-Marke erreichen. Die CDU hat
aber den Vorteil, dass sie vier Koalitionsoptionen hat. Die SPD hat
nur zwei, ein Bündnis mit Union oder mit den Grünen. Andere Optionen
sehe ich für meine Partei derzeit nicht."
Das komplette Interview unter: http://www.stimme.de/themen/wahlen/
btw17/texte/Heute-fehlt-es-an-Visionaeren;art140673,3895167
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