PresseKat - Ukraine: Einreiseverbote und Internetsperren keine Lösung

Ukraine: Einreiseverbote und Internetsperren keine Lösung

ID: 1526975

(ots) - Reporter ohne Grenzen ruft die Konfliktparteien in
der Ukraine auf, Journalisten frei berichten zu lassen und nicht bei
ihrer Arbeit zu behindern. In den vergangenen zwei Monaten hat die
ukrainische Regierung mindestens fünf ausländische Reporter des
Landes verwiesen und mehrjährige Einreiseverbote verhängt. Im Osten
des Landes halten pro-russische Separatisten mehrere Journalisten
gefangen, einer von ihnen wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die
ukrainische Regierung versucht, die Bevölkerung mit Internetsperren
und Sendeverboten davon abzuhalten, Medienangebote aus Russland zu
nutzen.

"Wie beide Seiten in diesem Konflikt mit Journalisten umgehen, ist
absolut unverhältnismäßig", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr
in Berlin. "Uns ist klar, dass der Krieg in der Ukraine auch mit
Worten geführt und angeheizt wird, aber das rechtfertigt nicht,
Journalisten zu verfolgen, nur weil sie für bestimmte Medien arbeiten
oder eine politisch unbequeme Meinung vertreten. Reporter auszuweisen
oder ins Gefängnis zu werfen und Medien oder Webseiten einfach zu
verbieten, kann in einer offenen, demokratischen Gesellschaft keine
Lösung sein."

RUSSISCHE JOURNALISTEN ALS PROPAGANDISTEN GEBRANDMARKT

Am 30. August wurde in Kiew die 29-jährige Journalistin Anna
Kurbatowa festgenommen, die für den Ersten Kanal des staatlichen
russischen Fernsehens erst seit einigen Tagen aus der Ukraine
berichtet hatte (http://t1p.de/u5dr). Eine Sprecherin des
ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU erklärte wenige Stunden später
auf Facebook, Kurbatowa sei ausgewiesen worden und dürfe drei Jahre
lang nicht mehr in die Ukraine einreisen, weil sie "nationale
Interessen verletze" (http://t1p.de/fm2r). Dem vorausgegangen war die
Drohung des SBU, mit jedem, der die Ukraine verunglimpfe, werde
ebenso verfahren. (http://t1p.de/rdxt)





Die umstrittene Webseite Mirotworez bezichtigte Kurbatowa
"antiukrainischer Propaganda" und veröffentlichte ihre persönlichen
Daten inklusive Fotos, Geburtsdatum und Profilen in sozialen Medien.
Die Journalistin, heißt es, manipuliere gesellschaftlich wichtige
Informationen und lege Ereignisse tendenziös aus.
(http://t1p.de/y21g) Die Webseite war im Mai 2016 in die Schlagzeilen
geraten, als sie persönliche Daten wie Handynummern und
E-Mail-Adressen von mehreren tausend ukrainischen und ausländischen
Journalisten veröffentlichte, die in den selbst ernannten
"Volksrepubliken" von Luhansk und Donezk akkreditiert waren und
deshalb als "Helfer von Terroristen" diffamiert wurden. Während sich
einige ukrainische Regierungsbeamte hinter diesen Schritt stellten,
protestierten internationale Organisationen scharf
(http://t1p.de/3kcw).

REPORTER WEGEN IHRER BERICHTE AUSGEWIESEN ODER INHAFTIERT

Am 25. August wurde den spanischen Journalisten Antonio Pampliega
und Manuel Angel Sastre die Einreise verweigert, nachdem Grenzbeamte
sie 20 Stunden lang am Kiewer Flughafen festgehalten hatten. Der
Geheimdienst SBU begründete dies mit den Reportagen der Journalisten
über den Krieg im Osten des Landes. Sie hatten unter anderem über den
Beschuss von Zivilisten durch ukrainische Kämpfer berichtet
(http://t1p.de/yga1). Pampliega und Sastre standen bereits auf einer
Liste von etwa 40 Journalisten, denen Präsident Poroschenko im
September 2015 per Dekret die Einreise in die Ukraine verbieten
wollte. Nach internationalen Protesten wurden die beiden Spanier
genau wie drei Mitarbeiter der BBC wieder von der Liste gestrichen
(http://t1p.de/pk2s).

Ebenfalls ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot für drei Jahre
belegt wurde am 15. August Tamara Nersesjan, Korrespondentin für den
staatlichen russischen Fernsehkanal Rossija 1 - nach Angaben des SBU
, weil sie eine Gefahr für die Sicherheit des Landes darstelle
(http://t1p.de/ebzv). Aus dem gleichen Grund musste Ende Juli Maria
Knjasjewa die Ukraine verlassen. Sie hatte unter dem Pseudonym Maria
Sauschkina ebenfalls für die staatlichen Sender Rossija 1 und Rossija
24 gearbeitet (http://t1p.de/dy6l).

Auch innerhalb des Landes gehen die Behörden gegen Journalisten
vor, die nicht die Position der ukrainischen Regierung vertreten.
Seit dem 3. August sitzt der Blogger Wassili Murawizki in der Stadt
Schitomir 150 Kilometer westlich von Kiew in Untersuchungshaft -
vermutlich wegen seiner Tätigkeit für russische Staatsmedien
(http://t1p.de/ugvf). Staatsanwaltschaft und Geheimdienst bezeichnen
ihn als "Informationssöldner", der im Auftrag Russlands "subversiv"
agiere und mittels seiner Veröffentlichungen Hass schüre
(http://t1p.de/84kt). Sie werfen ihm Hochverrat, die Gefährdung der
territorialen Integrität der Ukraine und die Unterstützung
terroristischer Organisationen vor. Unter den Beweismaterialien
findet sich ein Vertrag mit dem russischen Medienunternehmen Rossija
Sewodnja, zu dem unter anderem das Nachrichtenportal Sputnik und der
Fernsehsender RT gehören. Dem 32-jährigen Journalisten drohen 15
Jahre Haft (http://t1p.de/uezs).

GERICHTSPROZESSE UND LANGE HAFTSTRAFEN IN DEN BESETZTEN GEBIETEN

Ebenso rigoros verfolgen die Separatisten im Osten der Ukraine und
auf der Krim vermeintlich feindliche Journalisten. Am 28. Juli wurde
der Blogger Eduard Nedeljajew in der selbsternannten "Volksrepublik
Luhansk" nach acht Monaten Untersuchungshaft zu 14 Jahren Gefängnis
verurteilt. Als "Edward Ned" hatte er über den Alltag in Luhansk
gebloggt, das seit drei Jahren von pro-russischen Separatisten
kontrolliert wird. Die Behörden werfen ihm vor, er habe Hass gegen
das russische Volk geschürt und ausländische Agenten mit
Informationen versorgt (http://t1p.de/uezs).

In der so genannten "Volksrepublik Donezk" wird seit dem 2. Juni
Stanislaw Asejew gefangen gehalten und der Spionage beschuldigt. Der
27-Jährige berichtete unter dem Pseudonym Stanislaw Wasin unter
anderem für ukrainische Medien wie die Tageszeitung Ukrainska Prawda,
die Wochenzeitung Dserkalo Tischnja und das Nachrichtenmagazin
Ukrainski Tischden sowie für Radio Free Europe/Radio Liberty
(http://t1p.de/1s3z).

Auf der Krim steht seit dem 20. März der 66-jährige Nikolaj Semena
vor Gericht (http://t1p.de/awv7). Ihm drohen fünf Jahre Haft wegen
eines Kommentars auf der von Radio Free Europe/Radio Liberty
betriebenen Seite Krym.Realii, in dem er im September 2015 die
Annexion der Krim durch Russland kritisiert und eine Blockade der
Halbinsel durch die Ukraine befürwortet hatte. Im April 2016 nahm ihn
der russische Inlandsgeheimdienst FSB kurzzeitig fest, seither darf
er die Region nicht verlassen (http://t1p.de/q3r5). Organisationen
wie Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und die russische
Menschenrechtsgruppe Memorial unterstützen Semena und forderten die
Behörden auf, alle Anschuldigungen gegen den Journalisten fallen zu
lassen.

INTERNETSEITEN UND RUSSISCHE SENDER VERBOTEN

Im Kampf um die mediale Deutungshoheit versuchen die ukrainischen
Behörden zudem, den Zugang der Bevölkerung zu Medienangeboten aus
Russland systematisch zu beschränken. Im Mai ließ Präsident
Poroschenko per Dekret die Seiten russischer sozialer Netzwerke wie
Vkontakte und Odnoklassniki und zahlreicher russischer Medien
sperren. Auch der russische E-Mail-Dienst mail.ru und die
Suchmaschine yandex.ru sind seither offiziell nicht mehr zugänglich
(http://t1p.de/kjh8).

Im Januar schloss der Nationale Rundfunkrat den russischen
Oppositionssender TV Doschd aus dem ukrainischen Kabelnetz aus - eine
der wenigen russischsprachigen Quellen für alternative Informationen
neben vom Kreml gesteuerten Nachrichten. Russischsprachige Bücher
dürfen aufgrund eines Gesetzes vom Dezember 2016 nur noch nach
vorheriger Genehmigung importiert werden. (http://t1p.de/r68f).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz
102 von 180 Staaten (http://t1p.de/lwj9). Wie stark ukrainische
Medien an Korruption und mangelnder Transparenz über ihre
Eigentumsverhältnisse leiden, zeigen die Ergebnisse des Media
Ownership Monitor (MOM), die ROG im Oktober 2016 vorgestellt hat
(http://t1p.de/j1q3). Der Länderbericht "Ernüchterung nach dem
Euromaidan" vom Juni 2016 beleuchtet die schwierige Situation von
Journalisten in einem Land, in dem die wichtigsten Fernsehsender
Oligarchen gehören und als Mittel im Kampf um wirtschaftliche und
politische Macht missbraucht werden (http://t1p.de/6djd). Die von den
Separatisten besetzten Gebiete im Osten der Ukraine und die von
Russland annektierte Halbinsel Krim sind für unabhängige Beobachter
und ausländische Journalisten immer schwerer zugänglich und werden zu
weißen Flecken in der Berichterstattung.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer /Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

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Datum: 06.09.2017 - 11:44 Uhr
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