(ots) - Würden Sie Ihr schönstes Kleid zum Kürzen in eine
schmuddelige Änderungsschneiderei geben? Ihre IWC dem Reparaturdesk
im Supermarkt anvertrauen? Ihren geliebten MG zum Motorcheck dem
nächsten Schrauber hinstellen? Ihr Kind zur schrulligen Frau von
nebenan schicken, damit die auf das Kleine aufpasst? - Und wieso
versorgen Sie sich dann bei 20Minuten, Facebook und Twitter mit den
«wichtigsten Nachrichten des Tages»? Wer den Fachmann umgeht, um Geld
oder Zeit zu sparen - um nicht von Naivität oder Dummheit zu sprechen
-, muss sich über schiefe Nähte, misslungene Reparaturen oder
Schlimmeres nicht wundern. Schon gar nicht über unvollständige
Informationen, Enten und ihre laut quakenden Artgenossen, die Fake
News.
Von zu vielen und immer mehr Informationskonsumenten werden
Soziale Medien mit Nachrichtendiensten verwechselt. Natürlich
verbreiten Twitter, Facebook und Co. Informationen, man kann sich
über Debatten auf dem Laufenden halten, Katzenvideos schauen (wers
braucht), selten den Hinweis auf einen möglichen Primeur abgreifen;
doch wie gross der Unterschied zwischen einer von Journalisten
geprüften und fesselnd aufbereiteten Information und einer sonst
woher kopierten und geposteten Meldung ist, kann nur einschätzen, wer
neben dem täglichen Ticker-Geschwurbel auch echte journalistische
Produkte konsumiert.
Die Schwierigkeit ist heute nicht, an Informationen zu gelangen,
sondern diese richtig einzuordnen, Blödsinn und Lügen von der
Wahrheit zu scheiden, Daten auf ihre Richtigkeit zu prüfen,
Geschichten mit einem rotem Faden zusammenzuschnüren. Journalisten
haben das gelernt; sie erleichtern Ihnen die Orientierung im
News-Chaos und tragen dazu bei, Gehetze und Geschwafel in Schach zu
halten. Das funktioniert aber nur, wenn Sie mitmachen - und auf
validierte Informationen in etablierten Medien vertrauen, von
Absendern, die sich Wissen und Renommee erworben haben und für Sie
fundierte, gut erzählte Geschichten und Berichte erarbeiten.
Dabei geht es nicht um die einzig richtige Sichtweise, «die
korrekte» Einordnung von Ereignissen, denn die gibt es selten. Es
geht um die Bereitstellung verschiedener, gut begründeter Meinungen,
die Ihnen ein Spektrum eröffnen, in dem Sie sich selbst Ihre Meinung
bilden können. Journalismus stösst zum Denken an, zum inneren oder
realen Mitdiskutieren, zum Sich-Einordnen in das Weltgeschehen. Wer
seine Haltung zur Welt auf wackeligen oder falschen News aufbaut,
läuft Gefahr, über informative Bodenwellen zu straucheln.
Doch welchen Medien können Leser noch vertrauen? Der Fall Tom
Kummer hat gezeigt, dass auch Leitmedien Falsches verbreiten. Dennoch
sind Sie bei Bezahlmedien auf der sichereren Seite. Denn die können
es sich nicht leisten, Sie zu verlieren - und investieren das Geld,
das sie noch verdienen, in journalistische Qualität. Aber wie lange
noch? Zwar verzeichnen z.B. britische Zeitungen ein deutliches
Nutzerwachstum, allerdings nur online. Und nur ein Bruchteil der
online gelesenen Inhalte wird bezahlt. Gleichzeitig schrumpfen
Anzeigenerlöse und Abonnentenzahlen wie Butter in der Sonne.
Auch im Schweizer Blätterwald raschelt es gewaltig. Ringier und
Tamedia machen wohl nur den Anfang beim spätsommerlichen
Grossreinemachen der Schweizer Medienbranche. Wir diskutieren über
Fake News und ziehen sogar neue Gesetze in Erwägung, die eine
Handhabe gegen Falschmeldungen bieten. Dabei hätten Fake News den
News-Status gar nicht erreicht, wenn es nicht irgendwann beim
Medienkonsum zur Verwechslung zwischen Tweets, bezahltem
Marketing-Content und Qualitätsberichterstattung gekommen wäre.
Inhalte heissen heute Content und gelten als wichtiger denn je.
Trotzdem scheinen gedruckte Medien ein Auslaufmodell zu sein. Dabei
wird Gedrucktes heute immer noch deutlich sorgfältiger geprüft als
Online-Mitteilungen, zudem lektoriert, aufwendiger gestaltet und
produziert. Weil Papier und Druck Geld kosten und der Platz auf einer
Seite beschränkt ist. Da werden Gedanken gefeilt, bis sie richtig
sitzen, Texte zwei-, dreimal durchgelesen, gegengelesen und
redigiert, bevor sie einen Leser erreichen. Natürlich kostet dieser
Prozess Geld - doch sehr wenig gemessen an der Zeit, die Sie sparen,
weil Sie sie nicht mit nutzlosem Infogeplapper vergeuden müssen.
Wer Journalismus und freier Meinungsbildung nicht das Wasser
abgraben will, muss digital ebenso sorgfältig produzieren. Gegen
Bezahlung versteht sich. Es ist mir ein Rätsel, weshalb online noch
immer alles kostenlos zu haben ist. Unabhängiger Journalismus ist
nicht von selbst da. Er braucht Zeit, Raum und, ja, auch Geld. Denn
Schreiber brauchen mehr zum Leben als die Späne, die sie von ihrem
Bleistift abknabbern. Es ist ein trostloses Zeugnis, dass
Medienschaffende Tamedia angesichts guter Halbjahreszahlen
auffordern, in Journalismus zu investieren. Und dass Leser Gelesenem
keinen Wert mehr beimessen.
Editorial von Werbewoche-Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich
aus der heute erschienenen Werbewoche 14/2017. www.werbewoche.ch
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