PresseKat - Börsen-Zeitung: Einfach zu schön, Marktkommentar von Dietegen Müller

Börsen-Zeitung: Einfach zu schön,
Marktkommentar von Dietegen Müller

ID: 1528195

(ots) - Die Europäische Zentralbank soll eine Reduktion
der Anleihekäufe auf 40 Mrd. oder 20 Mrd. Euro pro Monat und die
Verlängerung des Kaufprogramms um sechs bis neun Monate diskutiert
haben, sickerte via Agenturen am Freitag durch. EZB-Chef Mario Draghi
hat auf der vergangenen Ratssitzung aber offiziell nur eine
Grundsatzentscheidung über Geldpolitik und Anleihekäufe am 26.
Oktober angekündigt. All dies liegt in etwa im Rahmen der
durchschnittlichen Markterwartungen: Das Tapering kommt. Ohne
Änderung der Regeln können die Währungshüter der Eurozone im nächsten
Jahr nicht mehr genügend Anleihen kaufen.

Anleihen- und Devisenmärkte haben jedoch darauf sehr
unterschiedlich reagiert. Die Bundrenditen fielen am Freitag erstmals
seit Juni zeitweise wieder unter 0,3 Prozent - dies signalisiert
keine Zinswende. Im Gegenteil lässt sich dies - auch mit Blick auf
schwache US-Arbeitsmarktdaten - als aufkeimende Sorgen vor einer
konjunkturellen Abschwächung interpretieren. Auch in den USA fallen
die Renditen: Zehnjährige Treasuries rentieren noch knapp 2 Prozent,
der Renditeabstand beträgt zu den Bunds beträgt damit um 170
Basispunkte (BP). Im Dezember 2016 - dem Höchststand seit Ende der
80er Jahren - waren es über 235 BP gewesen. Die Deutsche Bank
empfiehlt in ihrer Anlagestrategie bereits einen defensiveren Kurs
für Aktienengagements. Das Momentum der
Eurozone-Einkaufsmanagerindizes habe sich erstmals seit Oktober 2016
abgeschwächt.

Ganz anders reagierte der Devisenmarkt. Der Euro wertete nach dem
EZB-Entscheid weiter auf und notierte zuletzt mit 1,207 weiter
fester. Dabei neigt auch der Dollar zur Schwäche: Der Dollarindex,
der die Entwicklung gegenüber sechs Industrieländerwährungen misst,
fiel am Freitag bis auf 91,01 Punkte und damit den niedrigsten Stand
seit Anfang 2015.





Für die EZB ist die Euro-Stärke unerwünscht. Eine
handelsgewichtete Aufwertung des Euro um 10 Prozent dürfte laut der
Bank J. Safra Sarasin die Inflationsrate auf Sicht von zwölf Monaten
um 0,5 Prozentpunkte drücken. Je ausgeprägter die Euro-Stärke anhält,
desto schwieriger wird es für die Währungshüter, dereinst die Zinsen
anzuheben.

Für den Aktienmarkt ist dieses Umfeld zunächst gar nicht so
schlecht. Exportabhängige Unternehmen leiden zwar je nach
Produktionsstruktur durch ungünstige Wechselkursrelationen im
Geschäft außerhalb der Eurozone. Andererseits stimuliert ein
schwacher Dollar die Schwellenländer-Konjunktur. Die deutsche
Industrie dürfte davon besonders stark profitieren, und negative
Effekte der Euro-Aufwertung sollten sich auf Sicht von ein bis zwei
Jahren in Grenzen halten. Auch erleichtern weiterhin niedrige Zinsen
die Refinanzierung und lassen Spielraum in den Bewertungen
risikoreicherer Assets - sofern denn überhaupt der Vergleich mit
einem "risikolosen" Zins als Maß der Dinge in Bewertungsfragen eine
Relevanz hat.

Exponenten der EZB und der US-Notenbank Fed gehen derzeit nicht
davon aus, dass die Inflationsrate vor 2020 auf den gewünschten
Zielwert nahe 2 Prozent steigen wird. Entsprechend gibt es bezüglich
weiterer Zinsschritte erhöhte Zweifel im Markt.

Auch Analysten sind vorsichtig: Der Vermögensverwalter Bantleon
hält einen Rückgang der zehnjährigen Bundrendite bis Ende 2018 auf 0
Prozent für möglich. Und zehnjährige US-Staatspapiere sollen bis Ende
2018 oder Anfang 2019 auch nur noch 0 Prozent rentieren - sagt
zumindest der für seine gewagten Prognosen bekannte Chefökonom der
Saxo Bank, Steen Jakobsen. Der Dollar werden noch einige Jahre
schwach bleiben, "alles" wirke deflationär: Demografie,
technologische Entwicklung, sinkende Energiepreise wegen des Umstiegs
auf Elektromobilität sowie der Schuldenberg, den Staaten aufgehäuft
haben. Jakobsen hält auch eine militärische Eskalation in der
Nordkorea-Krise für unausweichlich. Entsprechend nimmt er die Risiken
im Portfolio herunter und hält nun 40 Prozent in Cash, 25 Prozent in
Rohstoffen und 10 Prozent in Aktien - vor allem Goldminentitel.

Auch wenn das Null-Prozent-Rendite-Szenario ein Extrem im
Meinungsspektrum ist und andere Analysten sogar von bald stärker
steigenden Zinsen ausgehen - es regt an, sich über mögliche Risiken
klar zu werden. Niedrige Zinsen plus stabiles Wachstum sprechen
eigentlich weiter für Aktien. Der Dax wird mit dem 12,6-Fachen
geschätzten Gewinn 2018 bewertet - das ist nicht überteuert und
günstiger als der Topix (13,2), Euro Stoxx 50 (13,6) oder S&P 500
(17). Nur wird das Argument niedriger Zinsen als
Aktienmarkt-Treibstoff von Investoren bald seit Jahren wiederholt.
Irgendwann ist es einfach zu schön, um noch wahr zu sein.



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