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Aachener Nachrichten: Heftiges Schlingern - Die Rentenpolitik ist die offene Flanke der Kanzlerin; ein Kommentar von Joachim Zinsen

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(ots) - So geht richtiger Wahlkampf. Was
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz während des TV-Duells mit Angela
Merkel kaum gelang, schaffte am Donnerstagabend eine Putzfrau aus
Bochum. Die Gewerkschafterin brachte vor Millionen Fernsehzuschauern
die Kanzlerin heftig ins Schlingern. Beim Thema Rente sah die
CDU-Chefin plötzlich ziemlich alt aus. Völlig zu Recht hatte sich die
Betriebsrätin zuvor darüber echauffiert, dass sie trotz
jahrzehntelanger harter Arbeit in der Altersarmut landet. Völlig zu
Recht hatte sie darauf hingewiesen, dass in Österreich Ruheständler
mit einer deutlich höheren Rente rechnen dürfen. Sie hätte auch noch
anführen können, dass in keinem mit Deutschland wirtschaftlich
vergleichbaren Land vor allem Geringverdiener so schlecht für das
Alter abgesichert sind wie bei uns. Allerdings wurde auch so
offensichtlich: Das Thema Rente ist die offene Flanke der Union.
Merkel flüchtete sich zwar in die von ihr sattsam bekannten
Worthülsen und Beschwichtigungsversuche, scheiterte damit aber am
hartnäckigen Nachbohren der Reinigungskraft. Die Frage ist natürlich:
Warum hat Schulz die Kanzlerin bei diesem Thema, das die Union
partout aus dem Wahlkampf heraushalten will, noch nicht in die
Bredouille bringen können? Dafür gibt es zwei Gründe. Zunächst geht
die Teilprivatisierung des deutschen Rentensystems als maßgebliche
Ursache für die heutige Misere bei der Altersvorsorge auf eine
Entscheidung der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder zurück.
Diese Altlast liegt bis heute schwer auf den Schultern der
Sozialdemokraten. Zweitens: Anders als die Union oder die FDP will
die SPD zwar ein weiteres Absinken des Rentenniveaus verhindern. Das
ist gewiss löblich. Doch zu einem radikalen Bruch mit dem ganzen
Riester-Quatsch und einer deutlichen Stärkung der gesetzlichen Rente
scheint die SPD-Spitze weiterhin nicht bereit zu sein. Im Gegenteil:




Die von Ministerin Andrea Nahles entwickelte Betriebsrente propagiert
immer noch eine stärkere Privatvorsorge für das Alter.

Dabei liegt mit Österreich tatsächlich ein positives Gegenmodell
vor der Tür. In der Alpenrepublik hat sich die sozialdemokratisch
geführte Regierung bei der Rente trotz einer ähnlichen demografischen
Entwicklung wie in Deutschland bis heute Privatisierungswünschen
verweigert. Stattdessen ist dort begonnen worden, eine
Bürgerversicherung aufzubauen. In sie sollen langfristig auch alle
Beamte, Selbstständige und Politiker einzahlen. Das System ist wie
die gesetzliche Rente in Deutschland umlagefinanziert, fordert von
den Arbeitgebern einen leicht höheren Beitragssatz als bei uns und
wird stärker als in Deutschland auch aus Steuermitteln finanziert.
Davon profitieren die allermeisten künftigen Ruheständler. Sie
bekommen nach 45 Jahren Arbeit im Alter von 65 eine Rente, die 78
Prozent ihres früheren Einkommens ersetzt. Junge Arbeitnehmer in
Deutschland können davon nur noch träumen. Die Linke hat sich in den
vergangenen Jahren mit diesem Modell angefreundet, die SPD-Spitze
bisher nicht. Das fällt ihr heute auf die Füße. Denn anders als die
Reinigungskraft kann sie wegen ihrer halbherzigen Reformvorstellungen
die Kanzlerin beim Thema Rente auch nur halbherzig attackieren.



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Datum: 15.09.2017 - 17:24 Uhr
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