Forscher von ibi research an der Universität Regensburg haben zusammen mit 41 Industrie- und Handelskammern sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in den letzten drei Monaten eine umfassende Untersuchung des Einflusses der Digitalisierung auf den deutschen Einzelhandel durchgeführt und nun die Studie „Der deutsche Einzelhandel 2017“ vorgelegt. Die deutschlandweite Befragung von mehr als 2.000 Einzelhändlern zeigt den Status quo der Digitalisierungsbemühungen der Händler, vertieft ausgewählte Problemstellungen wie die Investitionsbereitschaft oder die Nachfolgeproblematik und analysiert die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle.
(firmenpresse) - „Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass der deutsche Einzelhandel sein klassisches Geschäftsmodell überdenken muss“, berichtet Dr. Georg Wittmann von ibi research an der Universität Regensburg, der das Forschungsprojekt leitet. „Verkaufen heute 54 % der Händler ihre Produkte ausschließlich stationär, wollen 37 % davon in fünf Jahren auch im Online-Vertrieb aktiv sein. Wie die verbleibenden 63 % reagieren werden, bleibt abzuwarten“, so Wittmann weiter. Auch 14 % der heute ausschließlich online aktiven Händler planen zudem, in fünf Jahren offline zu verkaufen, was den Handlungsdruck auf die stationären Akteure zusätzlich erhöhen wird.
Dieselbe Entwicklung zeigt sich auch bei einem Blick auf die erwartete Verteilung der Umsätze: In den nächsten fünf Jahren rechnen 24 % der stationär aktiven Händler mit einen Rückgang der im Ladengeschäft erwirtschafteten Umsatzanteile. Im Vertriebskanal Online-Shop erwarten dagegen lediglich 4 % der Händler einen Rückgang. 13 % erwarten einen Zuwachs dieses Kanals und 83 % rechnen damit, dass die Online-Umsatzanteile gleich bleiben.
On- und Offline wachsen stärker zusammen
Jedoch gibt es aus Sicht der rein stationären Händler einen Lichtblick. Immer mehr Ladengeschäfte, die auch online aktiv sind, verbinden die Kanäle. Services wie eine Online-Reservierung und eine Vor-Ort-Abholung setzen bereits 27 % der Händler ein und 11 % planen es. Ähnliche Werte ergab die Analyse beim Online-Kauf und der Abholung im Ladengeschäft (Click and Collect). Hier liegen die Werte bei 24 % und 10 %. Ein Blick auf die digitale Aufwertung des Ladengeschäfts selbst lässt dann aber wieder etwas Ernüchterung einkehren. Als Beispiel sei das virtuelle Regal genannt, das der Sortimentserweiterung dient. Gerade einmal 5 % haben diese Technik im Einsatz und 5 % planen es. Auch kostenloses WLAN findet sich bisher nur in gut einem Drittel der Geschäfte. „Auch im Back-Office wird immer stärker digitalisiert. Aber: Ein Fünftel der Händler verfügt noch immer nicht über die digitalen Systeme. Das erschwert die Anbindung an Online-Shops oder ‑Plattformen.“, so der stv. Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks. Auch die Forscher von ibi research sehen noch Nachholpotenzial bei der Digitalisierung sowohl an der Kundenschnittstelle als auch im Back-Office, wobei natürlich nicht für alle Händler alle technischen Innovationen Sinn machen.
Unternehmen mit geregelter Nachfolge investieren stärker in Digitalisierungsthemen
Ein weiteres Themenfeld der Studie waren die aktuellen und zukünftigen Investitionen des deutschen Handels in Digitalisierungsvorhaben. Hier gilt es festzuhalten, dass lediglich 12 % der Unternehmen ein ausgewiesenes Budget für Investitionen in die Digitalisierung haben. 56 % der Händler ohne explizites Budget nutzen zur Finanzierung von Digitalisierungsmaßnahmen das allgemeine Investitionsbudget, 9 % wollen generell nicht in die Digitalisierung investieren und 8 % haben für solche Investitionen kein Geld. Von den Händlern mit ausgewiesenem Budget wollen zwei Drittel dieses in den kommenden drei Jahren steigern. Ein deutlicher Zusammenhang besteht in diesem Kontext auch bei Thema Nachfolge. Ist die Nachfolge bereits geregelt, wollen 81 % die Investitionen in die Digitalisierung steigern. Lediglich 19 % planen keine Änderung in den nächsten drei Jahren. Kein Unternehmen mit geregelter Nachfolge will das Budget reduzieren.
Vier von zehn Händlern sehen ihr Geschäftsmodell durch die Marktmacht globaler Marktplätze gefährdet
Betrachtet man den Einfluss der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle des Einzelhandels und versucht die Hauptfaktoren zu analysieren, wird von den Befragten mit Abstand der Marktmacht der globalen Marktplätze, wie Amazon, eBay & Co., der höchste Einfluss zugesprochen. 70 % bezeichnen den Einfluss auf ihr Geschäftsmodell als „sehr hoch“ oder „hoch“. Ein ähnlicher Wert wird nur vom Faktor der „zunehmenden Kundenanforderungen“ erreicht (69 %). Andere Faktoren haben eher eine zweitrangige Bedeutung. Beispielsweise sieht nur jeder vierte Händler den Einfluss neuer innovativer Start-ups auf sein Geschäftsmodell als relevant an. Hier unterscheiden sich auch die verschiedenen Händlertypen in ihrer Wahrnehmung: Sehen 52 % Multikanalhändler den Einfluss von Amazon & Co. auf ihr Geschäftsmodelle als sehr hoch bzw. hoch an, sind es bei den rein stationären Händlern nur 47 %, bei den reinen Online-Händlern 42 %.
Stationärer Handel bleibt weiter wichtigster Einkaufskanal – aber in zunehmender Verbindung mit anderen
Trotz aller Befürchtungen sehen die meisten Befragten den stationären Einzelhandel weiterhin als den wichtigsten Einkaufskanal. Dies bestätigen 64 % der teilnehmenden Händler. Sogar jeder zweite reine Online-Händler (51 %) schließt sich dieser Meinung an. Den Trend zu kleineren Ladenflächen beobachten jedoch auch 61 %. 22 % sehen diese Entwicklung gar nicht. Bei der Frage, ob die Digitalisierung mehr Chancen als Bedrohungen für den Handel mit sich bringt, äußert sich gut ein Drittel indifferent. 31 % der Händler denken eher optimistisch und sehen die Chancen deutlich vor den Bedrohungen. Eine Analyse nach Händlertyp zeigt jedoch, dass insbesondere die reinen Online-Händler hier sehr positiv gestimmt sind (74 %), während von den rein stationären Händlern lediglich 31 % einen Überhang der Chancen sehen. Rein stationäre agierende Akteure sind hier deutlich skeptischer als Multikanalhändler (47 %) und reine Online-Verkäufer. Zudem erwarten 73 % der reinen Online-Händler und 74 % der Multikanalhändler eine zunehmende Ausweitung des Vertriebs der rein online agierenden Akteure in die Fläche. Bei den rein stationär aktiven Unternehmen liegt der Wert nur bei 67 %.
Das Fazit: Der Handel beschäftigt sich bereits mit dem Thema Digitalisierung, steht diesem aber in vielen Feldern noch zurückhaltend bzw. skeptisch gegenüber. Hier gilt es den Handel aufzuklären und ihm zu zeigen, wie er sich auch mit kleinen Investitionen Vorteile verschaffen kann. „Die Sensibilisierung und das Aufzeigen von Handlungsoptionen muss der erste Ansatzpunkt sein, um einen Haltungswechsel bei den Händlern zu erzeugen“, so Dr. Wittmann von ibi research. Letztendlich zeigt die Studie aber auch, dass der Handel die wesentlichen Treiber für die Veränderung bereits identifiziert hat: Marktplätze wie Amazon, eBay & Co. sowie der Kunde. Nun gilt es die richtigen Antworten darauf zu finden, um langfristig im Wettbewerb bestehen zu können.
Die vollständige Studie „Der deutsche Einzelhandel 2017“ steht kostenlos zum Download zur Verfügung unter: www.ibi.de/Handelsstudie
Ãœber ibi research
Seit 1993 bildet ibi research an der Universität Regensburg GmbH eine Brücke zwischen Universität und Praxis. Das Institut betreibt anwendungsorientierte Forschung und Beratung, arbeitet also mit den Methoden der Wissenschaft an den Themen der Praxis, mit klarem Schwerpunkt auf Innovationen und deren Umsetzung.
ibi research konzentriert sich dabei auf die Themenfelder Digitalisierung der Finanzdienstleistungen und des Handels, im E-Business genauso wie im Multikanal und im B2C-Geschäft genauso wie im B2B-Geschäft. Das Forschungsspektrum reicht von der Marktanalyse und Geschäftsmodell-Entwicklung über Prozessgestaltung und Data Analytics bis hin zu Fragen der Governance und Compliance. Zugleich bietet ibi research umfassende Beratungsleistungen zur Umsetzung der Forschungs- und Projektergebnisse an.
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