(ots) - Man nehme einen ebenso ehrgeizigen wie eloquenten
Jungpolitiker, verpasse seinem bübischen Gesicht einen Dreitagebart,
setze sein Konterfei auf schicke Großplakate, die sich ästhetisch von
den altbackenen Werbeträgern der Konkurrenz wohltuend abheben und
schon scheint der größte politische PR-Coup der vergangenen Jahre
perfekt zu sein. Christian Lindner - plötzlich der coolste deutsche
Politiker seit Willy Brandt? Selbst der Chefmoderator eines großen
privaten TV-Senders entblödet sich nicht, die Kandidatinnen anderer
Parteien zu fragen, ob sie den Mann denn nun "scharf" finden.
Willkommen im Bundestagswahlkampf 2017. Frisch, forsch, stylisch - so
will Lindner rüberkommen. Es scheint zu funktionieren. Offenbar fühlt
sich ein nicht geringer Teil gerade der Jungwähler von seiner
Image-Kampagne angezogen. Doch mal ganz nebenbei: Am 24. September
wird nicht "Germanys next Topmodel" gekürt. Es mag altmodisch klingt:
Aber bei der Bundestagswahl wird immer noch über politische Inhalte
entschieden. Wer tatsächlich einmal ins Programm von Lindner, pardon
der FDP, hineinschaut, entdeckt darin wenig junges Denken, dafür aber
viel abgestandenen Wein in neuen Schläuchen. Zum Beispiel beim Thema
Arbeitswelt: Die ausufernde Leiharbeit will Lindner nicht etwa
einschränken. Im Gegenteil. Lindner fordert, "die unnötigen
gesetzlichen Vorschriften zur Ãœberlassungsdauer und Entlohnung"
abzuschaffen. Auch in der sachgrundlosen Befristung von Jobs, die vor
allem jungen Menschen die Zukunftsplanung erheblich erschwert, sieht
er kein Problem. Hauptsache, alle sind flexibel. Oder beim Thema
Bildung: Lindner spricht zwar viel und gerne von lebenslangem
Lernen. Aber kostenfrei? Nein, seine FDP will als einzige Partei
Studenten sogar mit einer nachgelagerten Studiengebühr belasten.
Nehmen wir noch das Thema Wohnungsmarkt: Gerade jungen Familien fällt
es in Ballungsräumen immer schwerer, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Lindner aber geht selbst die schwache Mietpreisbremse der großen
Koalition zu weit. Er will sie ersatzlos streichen. Die Liste von
Lindners Forderungen, die einen alten neoliberalen Geist atmen, lässt
sich ellenlang fortsetzen. Bei der Altersversorgung von heute jungen
Arbeitnehmern setzen er und seine Partei auf eine Flexibilisierung
des Renteneintrittsalters (was für viele künftige Ruheständler auf
eine Kürzung ihrer Altersbezüge hinauslaufen wird) sowie auf eine
noch stärkere private Absicherung. Auch in der Europapolitik gilt für
Lindner die Devise: Jeder ist sich selbst der Nächste. Gegenseitige
Hilfe der Euro-Staaten? Nein! Lehren aus den ganzen wirtschaftlichen
und politischen Problemen in Folge der Finanzkrise? Fehlanzeige! Eine
Finanzmarkttransaktionssteuer? Nur ja nicht! Alles wird schon der
Markt regeln. In diesem Punkt scheint sogar Finanzminister Wolfgang
Schäuble mittlerweile ein kleines Stück weiter zu sein als Lindner
und sein Anhang. Natürlich steht jedem anheim, in Lindner einen
hippen Rebellen zu sehen. Aber bevor ihr Jubel zu laut wird, sollten
sich gerade junge Wähler zumindest kurz fragen: Gehöre ich wirklich
zu den Gewinnern, wenn der FDP-Chef Teile seines Retro-Programms in
einer künftigen Bundesregierung umsetzen kann?
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