(ots) - "Europa ist nicht dafür gemacht stillzustehen", hat
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, in der
vergangenen Woche in seiner Rede zur Lage der Union klargestellt. Wie
Recht er damit hat.
Die Europäische Union steht vor vielfältigen Herausforderungen.
Noch immer sind die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht
überwunden, wenn ich allein an die horrende Jugendarbeitslosigkeit im
Süden des Kontinents denke.
Noch immer sterben Menschen auf ihrem Weg nach Europa - fast 2.500
Menschen sind alleine in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken. Und in
zu vielen Ländern werden die nationalen Interessen vor die
europäischen gestellt. Wir müssen dafür nicht bis nach Polen oder
Ungarn blicken.
"Europa ist nicht dafür gemacht stillzustehen": Darum gibt es zwei
Möglichkeiten. Wir warten zaudernd ab, bis die Bewegung aus der Not
heraus kommt - oder wir gehen kraftvoll voran. Mit einer starken Idee
für ein besseres Europa. Und ein besseres Europa, das ist für uns ein
solidarisches Europa.
Nur wenn es uns gelingt, dieses solidarische Europa zu schaffen,
werden wir das großartige Friedensprojekt auch für kommende
Generationen bewahren. Dies war eine einzigartige Erfolgsgeschichte
nach dem 2. Weltkrieg und sicherte uns Frieden und Wohlstand, und wir
haben die Verpflichtung, dies auch für die nachfolgenden Generationen
zu verteidigen. In der Zeit der Trumps, Putins, Erdogans und Orbáns,
aber auch der Le Pens, Straches und Gaulands ist dies enorm wichtig.
Europa hat eine Unwucht. Einem weitgehend liberalisierten Markt fehlt
das Gegengewicht der einheitlichen Sozialstandards.
Wir brauchen wirksame Schritte hin zu einer Sozialunion. Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort - nicht weniger darf der
Anspruch sein. Konkret bei uns im Land ist darum die von der
Küstenkoalition neu eingerichtete Beratungsstelle
Arbeitnehmerfreizügigkeit ein wichtiges Instrument. Sie gilt es,
jetzt zu stärken und auszubauen.
Drastische Jugendarbeitslosigkeit in Portugal, Griechenland oder
auch Italien darf für uns nicht zur Gewohnheit werden. Denn sie raubt
jungen Menschen die Chancen, die ihnen zustehen und sie untergräbt
den Glauben an das gemeinsame Europa. Darum braucht es einen
permanenten europäischen Jugendbeschäftigungsfonds.
Und zur Solidarität gehört es auch, gemeinsame Lösungen für die
Aufnahme von Flüchtlingen zu finden. Wir brauchen sichere
Außengrenzen. Aber wir brauchen genauso sichere und legale Wege nach
Europa. Nur so setzen wir der Hoffnungslosigkeit etwas entgegen, die
Menschen zu Tausenden auf die lebensgefährliche Route über das
Mittelmeer treibt.
In der Flüchtlingspolitik und auch beim Familiennachzug erleben
wir ein Trauerspiel bei konservativen und rechten Parteien in
Deutschland, die letzten wahltaktischen Wendungen der FDP, was hier
geborene Flüchtlingskinder angeht, ist allerdings ebenfalls
kritikwürdig.
Unseren Wohlstand und unsere Freiheit bringen wir nicht dadurch in
Gefahr, dass wir Flüchtlinge aufnehmen. Aber wir riskieren beides,
wenn wir die krassen globalen Ungerechtigkeiten ignorieren. Und wenn
wir vergessen, dass die Generationen vor uns solche Ungerechtigkeiten
nicht klaglos hingenommen haben.
Willy Brandt hat uns schon vor Jahrzehnten gemahnt, etwas gegen
diese Ungerechtigkeiten zu unternehmen. Die Ergebnisse der
Nord-Süd-Kommission sind heute noch so aktuell wie damals und als
Handlungsfelder will ich nur die Stichworte Waffenexporte,
Landwirtschaftspolitik oder globale Umweltzerstörung nennen.
Wer sich heute in Libyen, Westafrika oder der Türkei in ein
löchriges Schlauchboot setzt, mag nicht in jedem Fall einen nach
deutschem Recht legitimen Asylgrund vorweisen können. Und es gibt
weiß Gott Veranlassung, den kriminellen Menschenhändlern ihr
schmutziges Handwerk zu legen. Grund zur Flucht hat aber fast jeder
dieser Menschen. Darum muss auch Schleswig-Holstein sein Möglichstes
tun, um die Fluchtursachen in den Heimatländern zu bekämpfen.
Klar ist weiter: Bei der Aufnahme der Menschen, die es nach Europa
geschafft haben, darf sich niemand aus der Verantwortung stehlen.
Denn Europa ist mehr als ein großer Fördermitteltopf in Brüssel.
Europa ist eine Wertegemeinschaft.
Und in einer solchen Gemeinschaft hat jeder nicht nur das Recht
auf Strukturförderung, sondern auch gemeinsame Pflichten. Ja, sogar
die Pflicht, die gemeinsamen Interessen vor die eigenen zu stellen.
Auch darum brauchen wir ein einheitliches europäisches Asylrecht -
übrigens ohne, wie die Konservativen das wollen, unsere eigenen
Standards abzusenken.
Die Staaten Europas sind nur gemeinsam stark. Diese einfache
Tatsache gilt auch in der Wirtschaftspolitik. Und darum ist es
töricht und gefährlich, den Euroskeptikern leichtfertig das Wort zu
reden. Wer das tut, verantwortet am Ende in einer globalisierten Welt
die Massenarbeitslosigkeit im eigenen Land. Wie wir das ja von der
hochgehypten Partei kennen, die mit Arbeitslosigkeit für Deutschland
abgekürzt wird und "Grenzen hoch und Euro weg" fordert.
Stattdessen brauchen wir einen engagierteren europäischen Kampf
gegen Steuerhinterziehung, wir brauchen gemeinsame
Mindeststeuersätze, die dem Dumping einen Riegel vorschieben. Beim
Kampf gegen Briefkastenfirmen und sogenannte Steueroasen sitzen die
Bremser bei CDU und FDP. Und wir brauchen ein umfassendes
europäisches Investitionsprogramm, das Europa aus der
Wachstumsschwäche hilft.
Was wir brauchen, ist kein deutsches Europa. Sondern ein
europäisches Deutschland. Und wenn wir die Menschen auf diesem Weg
weiter mitnehmen wollen, dann müssen wir auch unangenehme Wahrheiten
klar benennen. Dazu gehört auch, dass wir werden teilen müssen, wenn
wir Frieden und Wohlstand in Europa halten wollen.
Wer Russland in den schärfsten Tönen kritisiert - Kritik ist
notwendig, ob die Sanktionen Erfolge bringen, lasse ich mal dahin
gestellt - darf über die anti-demokratischen Bestrebungen eines
Viktor Orbáns nicht hinwegsehen.
Und erst recht sollte er ihn nicht als Ehrengast zu
Parteiveranstaltungen einladen, wie das Ihre bayerischen
Parteifreunde tun, Herr Ministerpräsident.
Wer eine massive Steigerung der Rüstungsausgaben im eigenen Land
fordert - 30 Milliarden Euro mehr im Jahr will Angela Merkel, muss
sich nicht wundern, wenn nationale Egoismen zunehmen. Wir finden,
diese 30 Milliarden Euro sollten lieber in Bildung, Familie und
Zukunft investiert werden.
Und wir müssen den Menschen klar sagen, dass unser gemeinsames
Projekt Europa nicht durch Abwarten und Zögern wieder auf Kurs kommt.
Sie kennen mich - zu rufen und nichts zu machen, reicht nicht. Es ist
auch nicht der richtige Weg, den Skeptikern in vorauseilendem
Gehorsam entgegen zu kommen und Schritt für Schritt Zuständigkeiten
von Europa an die Nationalstaaten zurückzuschieben, bis am Ende nur
noch ein "Europa-light" zurück bleibt - wie ich das in einem
Kommentar gelesen habe.
Europa braucht Leidenschaft, Ãœberzeugungskraft und
Handlungsstärke. Denn es ist nicht dafür gemacht stillzustehen.
Pressekontakt:
Pressesprecher: Heimo Zwischenberger (h.zwischenberger(at)spd.ltsh.de)
Original-Content von: SPD-Landtagsfraktion SH, übermittelt durch news aktuell