(ots) - Markenbindung funktioniert bei Kunden nur noch über
individuelle Erlebnisse, stellte eine europaweite
Konsumentenbefragung von Goldsmiths und Adobe kürzlich fest.
«61 Prozent der Verbraucher sind in erster Linie jenen Marken treu,
die das Kundenerlebnis gezielt auf ihre Bedürfnisse und Vorlieben
zuschneiden. Die Hälfte von ihnen würde die gesuchten Produkte daher
auch bedenkenlos von einer unbekannten Marke kaufen, wenn sie die
bessere Customer Experience bietet», heisst es in der Studie.
Dieser Befund irritiert. Nicht in der Sache, sondern in der
Wortwahl. Hier ist von Treue die Rede, um die es überhaupt nicht
geht. Denn wer «bedenkenlos» vom einen zum anderen wechseln kann, ist
nie treu gewesen. Das zentrale Ergebnis der Studie ist daher nicht,
dass Markenbindung von der Performance der Marke abhängt, sondern
dass es keine Treue von Konsumenten zu Produkten, Unternehmen und
Dienstleistungen mehr gibt. Eine Bindung an Produkte oder Leistungen
hängt heute von dezidierten Gegenleistungen ab, die weit über eine
Kosten-Nutzen-Kalkulation hinausgehen. Natürlich möchte jeder, der
investiert, auch entsprechend Leistung erhalten.
Aber Unternehmen, die «nur» die bezahlte Leistung bereitstellen,
tun heute nicht mehr genug. Wer sich in einem Markt ohne Treue und
Bindungen und mit wachsender Konkurrenz behaupten will, muss ständig
eins draufsetzen. Doch ist es gewinnbringend, selbst beim Kauf eines
Stücks Butter ein Erlebnis zu bieten - oder eines zu erwarten?
Zwischenmenschlich hat sich das «in guten und in schlechten Tagen»
längst in ein Selbstgelöbnis - «in für mich guten Tagen» -
verwandelt. Lässt die Performance des anderen nach, rückt man ein
Plätzchen weiter. Im Konsumbereich gilt: Kommt kein Cash-out, gibts
kein Trust-in. Und die Fehler-Toleranz sinkt weiter. Dabei brauchen
Treue und Vertrauen manchmal einfach etwas Atem.
Für die Studie wurden europaweit mehr als 5000 Konsumenten
befragt, von denen die Hälfte angab, Marken zu bevorzugen, die
kontinuierlich Innovationen einführen, um das Kundenerlebnis zu
verbessern; vor allem Chatbots und Augmented Reality stünden hoch im
Kurs. 53Â Prozent der Studienteilnehmer seien schon heute dazu bereit,
persönliche Daten preiszugeben, wenn sie dafür hilfreiche, praktische
und persönliche Erlebnisse bekommen. Dieses Ergebnis lässt aufhorchen
und weckt die Neugier - darauf, welche Fragen den Studienteilnehmern
gestellt wurden. Ein Test: Wie würden Sie antworten, wenn Sie gefragt
würden: «Bevorzugen Sie Marken, die Ihr Kundenerlebnis kontinuierlich
verbessern und dabei neue Technologien einsetzen? - Ja. Nein.»?
Der Alltag spricht eine andere Sprache. Zwar hat die Schweiz
weltweit eine der höchsten Smartphone-Dichten, Apps gehören zu den
täglichen Hilfsmitteln. Dennoch spürt man eine allmähliche Sättigung
bei Bonusprogrammen, Apps, Beratungs-Chatbots und digitalen
Spielereien rund um Alltagsprodukte; auch wenn Unternehmen und
Agenturen sie für das Non-plus-Ultra der Markenbindung halten.
Exemplarisch eine Szene bei einem grossen Bekleidungs-Retailer.
Verkäuferin: «Haben Sie unsere neue App ...?» Kundin: «Nein, danke.»
Verkäuferin: «Dann können Sie am Bonusprogramm teilnehmen.» Kundin:
«Ja. Nein! Danke!» Oder: Unsere Müesliverpackung, beim Zmorge gern
als Lesestoff genutzt, zeigt aktuell ein Labyrinth. Man soll den Weg
zu verschiedenen Gegenständen suchen - und per Smartphone weitere
Informationen über diese Gegenstände herunterladen. Das finden sogar
meine beiden handyverliebten Digital-Native-Zwerge «einen totalen
Seich».
Die Studie von Goldsmiths und Adobe lässt eine zentrale Frage
unbeantwortet: Was ist für Kunden ein «individuelles Kauferlebnis»?
Für mich ist es eben nicht die Shopping-App, nicht der Chatbot, der
mir eine andere Hose empfiehlt, wenn die, die ich wollte, in meiner
Grösse ausverkauft ist, und es sind auch nicht die Cumulus-Punkte,
die ich in Bares einlösen kann. Ein schönes Erlebnis ist, wenn eine
Verkäuferin aus Fleisch und Blut mich von einer unerwarteten
Kleiderkombination überzeugt, wenn mich die Rezeptionistin im Hotel
mit Handschlag begrüsst und mir bei der Abreise einen Apfel aus der
Region in die Hand drückt, wenn ich vom Veloladen, in dem ich etwas
bestellt habe, darüber informiert werde, dass es nun noch ein neueres
Modell zum gleichen Preis gibt. So, wie es früher völlig normal war,
als man Tante Emma vom Laden um die Ecke noch persönlich kannte. Weil
man immer wieder dorthin ging.
Ein bisschen mehr Mensch hinter der Marke kann heute wieder ein
tolles Kundenerlebnis sein. Ganz ohne die neueste Technik. Aber mit
viel Treue.
Editorial der heute erschienenen Werbewoche 15/2017 von
Werbewoche-Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich.
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