(ots) - Gravierende Verluste der etablierten
Volksparteien CDU, CSU und SPD, die Rückkehr der FDP nach vier Jahren
und der erstmalige Einzug der AfD gleich als drittstärkste Fraktion
in den Bundestag: Dies ist die Bilanz der Wahl 2017. Die Grünen haben
entgegen den Erwartungen der Demoskopen ihre Position leicht
ausgebaut. Sie liegen knapp hinter der den Liberalen. Das gibt ihnen
eine bessere Startposition bei den Koalitionsverhandlungen zu einer
schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition. Dies ist die einzige
rechnerische Möglichkeit für eine Regierungsmehrheit, nachdem die SPD
nach ihrem Wahldebakel entschieden hat, in die Opposition zu gehen.
Die Entscheidung der Sozialdemokraten zerstört immerhin einen
Traum der frischgebackenen Bundestagsfraktion der AfD. Sie kann nicht
Oppositionsführerin werden, mit dem Recht, in Debatten direkt auf die
Regierung zu antworten und der Usance, den Vorsitz des mächtigen
Haushaltsausschusses zu übernehmen. Dort laufen alle Fäden zusammen,
da Entscheidungen im Bundestag auch eine finanzielle Dimension haben.
Dass sich die AfD durch die SPD um diese Stellung betrogen fühlt,
spricht für ein armseliges Demokratieverständnis.
Auch SPD-Parteivorsitzender Martin Schulz hat in dieser Hinsicht
noch Nachholbedarf. "Die Opposition ist die entscheidende Kraft in
der Demokratie." Mit diesem Satz untermauerte er den neuen Kurs
seiner Partei. Schulz irrt. Entscheidende Kraft in der Demokratie ist
nicht die Opposition, sondern muss die Regierung sein. Ist sie es
nicht, gehört sie abgewählt. Hätte Schwarz-Rot dies stärker
beherzigt, wären nicht so viele Wähler zur AfD gewechselt. Diese
haben den Wahlforschern zufolge die rechtspopulistische Partei nicht
wegen ihrer Inhalte, sondern allein aus Unzufriedenheit gewählt.
Die Inhalte entscheiden
Der Neustart der Regierung mit neuen Koalitionspartnern bietet die
Chance, wieder Akzente auf Inhalte zu legen. Die scheidende und
voraussichtlich neue Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die ihr
verliehene Macht als Möglichkeit, zu gestalten. Dies muss die neue
Regierung auch tun. Es reicht nicht, unvorhergesehene Probleme wie
die Finanzkrise, die Euroschuldenkrise oder die Flüchtlingswelle, die
die Globalisierung ins Land trägt, zu bewältigen. Das Hauptproblem
dieser Tage ist auch nicht die AfD, sondern eine überzeugende Politik
der Regierung für dieses Land.
Sowohl die FDP als auch die Grünen sind bereit, über eine
Regierungsbeteiligung zu sprechen. Auch die CSU hat beigedreht und
will in der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU bleiben. Dies dürfte
allerdings praktischen Erwägungen folgen, denn mit durchgerechnet nur
etwas mehr als 6 Prozent auf Bundesebene wäre die CSU mit Abstand die
kleinste Fraktion im Bundestag. Der Informationsfluss und Einfluss
ist in einem Fraktionsverbund mit der CDU weitaus größer. Die
Koalitionsverhandlungen werden schon deshalb schwierig, weil es in
einer so heterogenen Gruppe wie Schwarz-Gelb-Grün darauf ankommt,
Inhalte schon im Koalitionsvertrag konkret festzulegen. Alles andere
trägt Unruhe in die Regierungszeit.
Vor allem mehr Inhalte sind gefragt. Die Digitalisierung geht Hand
in Hand mit dem Bereitbandausbau, der hierzulande nur schleppend
vorankommt. Bildung und ausreichende Kinderbetreuung sind Themen, die
für die alternde Gesellschaft wichtig sind. Nur so können mehr Frauen
berufstätig sein. Für die Rente gibt es nur ein Konzept bis 2030.
Dann wird es teuer. Die Entwicklung nach diesem Datum ist aber schon
heute absehbar. Auch die Energiewende muss schneller vorangetrieben
werden, soll die Wirtschaft nicht auf der Strecke bleiben.
Harte Auseinandersetzungen sind bei der Einwanderungspolitik zu
erwarten. Die CSU träumt von einer "Obergrenze", die Grünen wollen
Arbeitssuchenden ein Aufenthaltsrecht geben. Nötig wäre endlich eine
politische Entscheidung, die klar zwischen Asyl und wirtschaftlich
motivierter Zuwanderung unterscheidet - und ein Einwanderungsgesetz,
in dem dies klar geregelt ist.
Finanzpolitik im Abseits
Völlig aus dem Blick geraten ist über das Flüchtlingsthema die
Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die deutschen Unternehmen sehen sich
steuerpolitisch Wettbewerbsdruck aus dem Ausland ausgesetzt. Die USA
und Großbritannien haben Erleichterungen angekündigt. Hierzulande
scheint die Politik dies zu ignorieren. Stattdessen werden etwa mit
der Zinsschranke munter weiter Kosten statt Gewinne besteuert, weil
es an der Kraft fehlt, eine andere konjunkturabhängige Finanzquelle
für die Gemeinden zu schaffen.
Gelb-grüne Gegensätze
Entlastungen für die Bürger in Zeiten stetig steigender
Steuereinnahmen sind überfällig. Stattdessen haben die Grünen eine
Vermögensteuer im Programm, die allerdings mit der FDP nicht zu
machen wäre. Zusammenrücken ist auch in der Europapolitik nötig.
Während die Grünen Pläne für ein eigenes Budget für die Eurozone und
eine Europäische Wirtschaftsregierung befürworten, ist die FDP strikt
dagegen. Auch den Ausbau des Stabilitätsfonds zu einem Europäischen
Währungsfonds trägt die FDP nicht mit. Dass Finanzstabilität Vorrang
vor Investitionen hat, unterstützt wiederum die FDP, die Grünen sehen
es andersherum.
Entscheidend ist, dass die neue Regierung sich zu einem
Koalitionsvertrag durchringt, der auch die Wirtschaft im Blick hat.
Dies ist die Voraussetzung für mehr öffentliches Geld für soziale
Wohltaten - für alle, die sich abgehängt fühlen und von den
etablierten Parteien abgewandt haben.
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