PresseKat - Reporter ohne Grenzen: Interpol muss politischen Missbrauch von Fahndungsaufrufen abstellen

Reporter ohne Grenzen: Interpol muss politischen Missbrauch von Fahndungsaufrufen abstellen

ID: 1535903

(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die
internationale Polizeiorganisation Interpol zu schnellen Reformen
auf, um den zunehmenden Missbrauch ihrer Fahndungsaufrufe durch
repressive Regierungen zu verhindern. Jüngste Anlässe sind die Fälle
des türkischen Exil-Journalisten Can Dündar und des in der Ukraine
inhaftierten usbekischen Journalisten Narsullo Achunschonow.
Achunschonow wird aufgrund eines Interpol-Fahndungsaufrufs seit
seiner Ankunft in der Ukraine festhalten, wo er wegen der Verfolgung
in seiner Heimat politisches Asyl beantragen wollte. Ihm droht die
Abschiebung nach Usbekistan, wo Folter an Häftlingen verbreitet ist.
Gegen Dündar hat ein Staatsanwalt in Diyarbakir beim türkischen
Justizministerium einen Interpol-Fahndungsaufruf (Red Notice)
beantragt.

"Repressive Regime wie Usbekistan und die Türkei missbrauchen
Interpol immer öfter und immer schamloser, um ihre Kritiker selbst im
Exil zu verfolgen. Die ukrainische Regierung muss endlich erklären,
wie sie sich zu dem Auslieferunsersuchen Usbekistans für Narsullo
Achunschonow verhalten will", sagte ROG-Geschäftsführer Christian
Mihr. "Niemand sollte in ein Land ausgewiesen werden, in dem ihm ein
unfairer Prozess oder gar Folter drohen, und kein kritischer
Journalist sollte wegen eines willkürlichen Fahndungsaufrufs bei
jeder Auslandsreise in ständiger Angst vor Verhaftung leben müssen.
Interpol darf sich nicht zum Handlanger autoritärer Regime bei der
Verfolgung unliebsamer Journalisten machen lassen. Die Organisation
muss ihre begonnenen Reformen dringend vorantreiben, um sich vor
solchem Missbrauch zu schützen."

POLITISCH MOTIVIERTE FAHNDUNGSAUFRUFE WERDEN SEIT JAHREN
KRITISIERT

Reporter ohne Grenzen kritisiert seit langem die Manipulation von
Interpol zur Verfolgung politischer Gegner, insbesondere seit der




Wahl des Chinesen Meng Hongwei zum Präsidenten der
Polizeiorganisation. In seiner Zeit als stellvertretender
chinesischer Minister für öffentliche Sicherheit wurden seinem
Ministerium schwere Menschenrechtsverletzungen einschließlich Folter
und willkürliche Inhaftierungen vorgeworfen (http://ogy.de/4j0i). Die
Zahl der Interpol-Fahndungsaufrufe hat sich innerhalb eines
Jahrzehnts fast verfünffacht - von 2804 im Jahr 2006 auf 12.878 im
Jahr 2016 (http://ogy.de/q8ke). Nur sehr selten lehnt die
Organisation es ab, Fahndungsaufrufe zu verbreiten
(http://ogy.de/t7nw).

Nach anhaltender Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen begann
Interpol 2015, ihre Verfahrensvorkehrungen gegen Missbrauch zu
stärken (http://ogy.de/ej0e). Dennoch bleibt der Reformbedarf groß.
Im April forderte die Parlamentarische Versammlung des Europarats
Interpol in einer Resolution auf, "ihr Red-Notice-Verfahren weiter zu
verbessern, um Missbrauch noch wirksamer zu verhindern und
abzustellen" (http://ogy.de/eoq1).

Für Aufsehen sorgten jüngst die Fälle des schwedisch-türkischen
Journalisten Hamza Yalcin und des deutsch-türkischen Schriftstellers
Dogan Akhanli, die in Spanien aufgrund von Interpol-Fahndungsaufrufen
festgenommen wurden. Während Akhanli zwar auf freiem Fuß ist, Spanien
aber vorerst nicht verlassen darf, kam Yalcin am Donnerstag nach 25
Tagen Auslieferungshaft frei; tags darauf beschloss die Regierung,
ihn nicht an die Türkei auszuliefern (http://ogy.de/m5a5;
http://ogy.de/dd8c).

Ähnliche Fälle gab es in der Vergangenheit beispielsweise aufgrund
von Fahndungsaufrufen Kambodschas (http://ogy.de/woi2), Sri Lankas
(http://ogy.de/a8g9) und der Malediven (http://ogy.de/zixo).
Deutschland nahm 2015 den Al-Dschasira-Journalisten Ahmed Mansur auf
Betreiben Ägyptens kurzzeitig fest (http://ogy.de/w805); Mitte August
wurde der oppositionelle ägyptische Journalist Abulrahman Ess
offenbar ebenfalls aufgrund eines Interpol-Fahndungsaufrufs mehrere
Stunden am Flughafen Berlin-Schönefeld festgehalten
(http://ogy.de/29ck).

ACHUNSCHONOW FÃœRCHTETE UM SEIN LEBEN, FLOH IN DIE UKRAINE

Narsullo Achunschonow wurde am 20. September am Flughafen Kiew
verhaftet. Er reiste zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern aus
der Türkei ein, um politisches Asyl zu beantragen. Ein Gericht in
Kiew hat inzwischen angeordnet, ihn zunächst für 40 Tage in
Untersuchungshaft festzuhalten; sein Anwalt hat dagegen Berufung
eingelegt. Die usbekischen Behörden ermitteln seit 2013 gegen
Achunschonow wegen des Vorwurfs, er habe sich 2009 durch Betrug 2000
Dollar angeeignet. Achunschonow bestreitet die Vorwürfe
(http://ogy.de/zoqw).

In seiner Heimat arbeitete Achunschonow jahrelang als Journalist
für die staatliche Fernseh- und Rundfunkanstalt. Von 2013 an
versuchten die Behörden, ihn einzuschüchtern - offenbar zum Teil als
Reaktion auf seine Recherchen zum Fall eines prominenten Sportlers,
der zum Opfer fingierter Betrugsvorwürfe geworden war. Zwei Jahre
zuvor hatte Achunschonow Stellung für zwei Kollegen bezogen, die
öffentlich Korruption und Zensur beim staatlichen Rundfunk
angeprangert hatten. Außerdem arbeitete er mehrmals für den
usbekischen Dienst der BBC zu politischen und sozialen Themen.

Nach zunehmenden Drohungen gegen ihn und seine Familie floh
Achunschonow im November 2013 ins Ausland und fand zunächst in der
Türkei Zuflucht. Die Einschüchterungsversuche gingen dort jedoch
weiter: Er erhielt Drohanrufe, wurde verfolgt und zu Hause besucht.
Aus Angst um sein Leben entschied er sich schließlich, mit seiner
Familie die Türkei zu verlassen und in der Ukraine Asyl zu
beantragen.

Usbekistan steht seit Jahren auf einem der schlechtesten Plätze
der Rangliste der Pressefreiheit - derzeit auf Platz 169 von 180
Ländern weltweit. Die usbekische Regierung hat ein Nachrichten- und
Informationsmonopol. Wer dennoch versucht, als Journalist unabhängig
zu arbeiten, muss mit sehr schweren Repressalien rechnen. Die
verbreitete Folter in Usbekistans Gefängnissen ist vielfach
dokumentiert (http://ogy.de/e2zz; PDF: http://ogy.de/1ncx). Weitere
Informationen zur Lage der Journalisten in dem finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/usbekistan.

DÃœNDAR ALS VERMEINTLICHER PKK-PROPAGANDIST GESUCHT

Ihre Fahndung nach Can Dündar begründet die Staatsanwaltschaft
Diyarbakir mit dem Vorwurf, der ehemalige Chefredakteur der
traditionsreichen unabhängigen türkischen Zeitung Cumhuriyet habe
Propaganda für die verbotene kurdische Untergrundorganisation PKK
betrieben. Der Vorwurf stürzt sich auf eine Rede, die Dündar am 24.
April 2016 in Diyarbakir hielt. Darin kritisierte er Schikanen gegen
kritische Journalisten und warf regierungstreuen Journalisten vor,
sie machten sich zu Komplizen von Kriegsverbrechen, indem sie den
Einsatz des Militärs in den Kurdengebieten unterstützten
(http://ogy.de/kgtw).

Auch wenn Dündar in seinem Exil-Land Deutschland kaum Gefahr
laufen dürfte, verhaftet zu werden, müsste er bei einem
Interpol-Fahndungsaufruf künftig bei jeder Auslandsreise das Risiko
einer Festnahme im jeweiligen Zielland abwägen (http://ogy.de/1li4).

In der Türkei wurde Dündar im Mai 2016 in erster Instanz zu fünf
Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, weil er durch seine
Berichterstattung über Waffenlieferungen des Geheimdienstes an
Islamisten in Syrien Staatsgeheimnisse verraten habe
(http://ogy.de/p6dh). Vor dem Gerichtsgebäude wurde er Ziel eines
Mordversuchs. Im Sommer 2016 floh der Journalist nach Deutschland.
Dündar ist auch in dem derzeit laufenden Prozess gegen insgesamt 18
Cumhuriyet-Mitarbeiter angeklagt, denen die Staatsanwaltschaft unter
anderem angebliche Unterstützung der mittlerweile als "terroristisch"
verbotenen Organisation des Exil-Predigers Fethullah Gülen vorwirft
(http://ogy.de/ojxs).

Laut der unabhängigen türkischen Medienplattform P24 sitzen
derzeit rund 170 Journalisten in türkischen Gefängnissen
(http://ogy.de/fot3). Damit ist die Türkei das Land mit den meisten
inhaftierten Medienschaffenden weltweit. Rund 130 Medien bleiben
geschlossen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei
auf Platz 155. In den vergangenen zwölf Jahren hat sich das Land um
insgesamt 57 Plätze verschlechtert. Weitere Informationen zur Lage
der Journalisten in der Türkei finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.



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presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
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Datum: 01.10.2017 - 07:10 Uhr
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