PresseKat - Börsen-Zeitung: Stupid Isolation, Kommentar zum Brexit von Ulli Gericke

Börsen-Zeitung: Stupid Isolation, Kommentar zum Brexit von Ulli Gericke

ID: 1537502

(ots) - Ein halbes Jahr nachdem die britische
Premierministerin Theresa May den Brexit-Prozess eingeleitet hatte
und nach null Fortschritten bei den bisher vier Verhandlungsrunden
liegen die Nerven bei der hiesigen Industrie blank. Zwar haben primär
die Briten die Nachteile der vom Volk gewünschten "Splendid
Isolation" zu tragen. Doch bei einem wechselseitigen Bestand an
Direktinvestitionen von über 140 Mrd. Euro und gut 400000 Menschen,
die in deutschen Firmen im Vereinigten Königreich arbeiten, ist auch
die hiesige Industrie betroffen - die einen enormen Wertverlust ihrer
britischen Aktivitäten bei einem harten Brexit befürchtet.

Natürlich verstaatlicht eine konservative Regierung keine
ausländischen Fabriken. Aber schon heute beobachtet der
Industrieverband BDI eine wachsende Ablehnung bei Mitarbeitern, in
britische Werke zu wechseln. Weil die dortige Währung stark an Wert
verloren hat und sich Arbeiten auf der Insel nicht mehr lohnt. Weil
der Aufenthaltsstatus unsicher ist und keine Zukunft verspricht. Oder
weil die zunehmende Fremdenfeindlichkeit abschreckt. Und da kaum
lokaler Ersatz zu finden ist, drohen wachsende
Produktionseinschränkungen.

Zudem befürchten nicht wenige Unternehmen, dass in Großbritannien
gefertigte Produkte ab dem Wirksamwerden des ungeordneten, harten
Brexit den Zugang zu Drittmärkten schlagartig verlieren. Bislang
zählt die Fertigung auf der Insel als EU-Produktion und wird als
Local Content gewertet, ohne den viele Länder Importe benachteiligen.
Noch schlimmer sind die Auswirkungen aber für den allgemeinen
gegenseitigen Warenaustausch, der sich allein zwischen Deutschland
und dem Vereinigten Königreich auf über 170 Mrd. Euro beläuft. Hier
gelten die EU-Vorgaben als Standards und Normen, die Voraussetzung
sind für länderübergreifende Wertschöpfungsketten.





Selbst der von der Chemieindustrie einst heftigst bekämpfte
Chemikalien-Sicherheitsstandard Reach wird inzwischen als
verbindlicher und damit zuverlässiger Maßstab für Importe und
Produktion - auch über Ländergrenzen hinweg - genutzt. Gilt Reach von
einem Tag auf den anderen nicht mehr, ist die britische Fertigung
isoliert, freilich nicht splendid, sondern stupid. Bisher
geschlossene Wertschöpfungsketten brechen so auseinander, die
britischen Werke werden wertlos. Für eine Übergangszeit mögen die
alten EU-Standards noch gelten und damit der jeweilige Verbund
halten. Doch mit jeder Änderung in Brüssel gerät London immer mehr
ins Abseits.



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Datum: 05.10.2017 - 20:55 Uhr
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