PresseKat - Landeszeitung Lüneburg: Macrons Entwurf bringt Elan - Hamburger Politologe Prof. Dr. Michael Staack

Landeszeitung Lüneburg: Macrons Entwurf bringt Elan - Hamburger Politologe Prof. Dr. Michael Staack erwartet künftig mehr europäischen Geist in der Sicherheitspolitik

ID: 1540057

(ots) - Emmanuel Macron hat nicht nur, aber auch in
Sachen EU-Sicherheitspolitik einen fulminanten Vorstoß gestartet. Wer
auf kleinstaatlichen Verteidigungsanstrengungen verharrt, statt zu
europäisieren, hat am Ende höhere Kosten, aber weniger Sicherheit.
Wer kann da widersprechen?

Prof. Michael Staack: Niemand. Und sie bezeichnen Macrons
Sorbonne-Rede zu Recht als fulminant. Ich denke, es ist sehr positiv,
dass nun aus einem EU-Gründungsstaat wie Frankreich so weitreichende
Entwürfe kommen. So etwas brauchen wir in der Diskussion, um endlich
wieder eine positive Stimmung für das europäische Projekt zu
erzeugen.

Obwohl es seit 2016 einen gemeinsamen EU-Militärforschungsfonds
gibt, fordert Macron einen europäischen Verteidigungshaushalt. Macht
das Sinn, solange das Budgetrecht bei den nationalen Parlamenten
verbleibt?

Prof. Staack: Das ist sicher ebenso problematisch wie Macrons
Vorschlag eines gemeinsamen Haushalts für die Eurozone auch für
andere Felder. Ich glaube, damit greift er der Entwicklung sehr weit
voraus. Denn in der Tat liegt das Haushaltsrecht bei den nationalen
Parlamenten. Und ich kann nirgendwo Tendenzen erkennen, dass eine
Bereitschaft entstünde, dieses abzugeben. Was möglich wäre, sind sehr
viel mehr gemeinsame europäische Projekte, mehr Abstimmungen und mehr
gemeinsame Planungen. Nach erfolgten nationalen Zustimmungen könnten
diese Projekte dann auf europäischer Ebene durchgeführt werden. Einen
europäischen Verteidigungshaushalt sehe ich in absehbarer Zeit nicht.

Mehrfach benutzte Macron das Wort Intervention. Braucht Europa
eine Interventionsarmee, um in seinem Vorhof Afrika für Stabilität
sorgen zu können?

Prof. Staack: Das sehe ich nicht so. Hier vertritt Macron
lediglich französische Interessen. Frankreich sieht sich nach wie vor




als Ordnungsfaktor in Afrika, vor allem in seinen ehemaligen Kolonien
in Westafrika. Paris ist aber allein nicht mehr in der Lage, diese
Aufgabe zu schultern. Deshalb möchte Frankreich vor allem
Deutschland, aber auch andere europäische Staaten in seine
Interventionspolitik hineinziehen. Das liegt aber nicht im deutschen
Interesse. Zwar wäre ein Aufbau europäischer Interventionskräfte
durchaus sinnvoll. Ich warne aber vor der Annahme, dass diese vor
allem in Afrika eingesetzt werden könnten. Und dies vor allem
deshalb, weil gerade in Afrika Stabilisierung vor allem durch gute
Entwicklung zu erreichen ist und nicht durch Militäreinsätze.

Macron bemängelt das Fehlen einer gemeinsamen Sicherheitskultur.
Können neue Institutionen eine Strategie gebieren? Und wenn ja, wäre
die nach Art der französischen Interventionspolitik?

Prof. Staack: Der Vorschlag, neue europäische Institutionen zu
schaffen, geht in die richtige Richtung. Bis dato sind die Offiziere
der Bundeswehr sehr stark von der NATO und den USA geprägt. Wenn wir
davon ausgehen, dass die USA künftig weniger zuverlässig agieren
werden, ist es nur vernünftig, durch eine europäische Ausbildung und
mehr Kontakte der europäischen Armeen untereinander eine andere
Sicherheitskultur zu fördern. Das wird allerdings ein langer Weg. Und
an dessen Ende würde eine europäische Strategie stehen, keine
französische.

Wäre es nicht sinnvoller, bestehende Institutionen - wie etwa die
Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik oder die
EU-Battlegroups - aufzuwerten?

Prof. Staack: Die Hohe Beauftragte für die Außenpolitik hat ja
eine koordinierende Funktion und verfügt über einen europäischen
auswärtigen Dienst. Warum sollte sie künftig nicht auch über feste
Militärkontingente verfügen können? Das könnten die Battlegroups
sein, aber auch andere, schnell abzurufende Truppen. Darüber
nachzudenken, lohnt sich auf jeden Fall angesichts der Fülle von
Stabilisierungsaufgaben in der unmittelbaren Nachbarschaft, die
Europa bisher vernachlässigt. Der Trend spräche dafür. Seit Trump
werden die europäischen Gemeinsamkeiten stärker als solche empfunden.

Wäre das Öffnen nationaler Streitkräfte für Soldaten anderer
EU-Nationen, also eine Durchmischung auf niedriger Ebene, wie es
Macron fordert, überhaupt praktikabel? Bei der deutsch-französischen
Brigade wird ja nicht ohne Grund seit zwei Jahrzehnten auf gemischte
Kompanien verzichtet.

Prof. Staack: Richtig, es wäre sehr problematisch, auf unterer
militärischer Ebene verschiedene Nationalitäten, die sich auch noch
in anderen rechtlichen Rahmen bewegen, durchzumischen. Derzeit wäre
es nicht verwirklichbar.

Zu diesen rechtlichen Rahmenbedingungen zählt auch das Konzept der
Parlamentsarmee. Würde es ausgehebelt, wenn Bundeswehrsoldaten unter
französischem Kommando in Marsch gesetzt werden?

Prof. Staack: Das muss nicht so sein. Zwar muss der Bundestag
immer zustimmen, aber das kann auf unterschiedlichste Weise
geschehen. Interessant ist, dass in jüngster Zeit auch in anderen
europäischen Staaten die Parlamente vor Einsätzen mehr und mehr
gefragt werden - sogar in Frankreich und Großbritannien, obwohl es
dort rechtlich nicht vorgeschrieben ist. Deutschland steht mit diesem
Merkmal nicht mehr allein da.

Wäre eine dezidierte Europa-Armee der Todesstoß für die NATO oder
deren Revitalisierung?

Prof. Staack: Die NATO ist bereits durch den Ukraine-Konflikt
revitalisiert worden. Die Phase der Agonie ist vorbei, sie hat zu
alter Stärke zurückgefunden. Eine Europa-Armee kann ich auch in
fernerer Zukunft nicht erkennen. Es wird mehr Abstimmung geben, aber
kein einheitliches Oberkommando. Von daher wird die NATO nicht von
europäischer Seite den Todesstoß erhalten. Anders ist die
Gefährdungslage aus den USA, falls sich dort der Isolationismus
durchsetzt.

Macron will bereits zu Beginn des nächsten Jahrzehnts, also in
drei Jahren eine europäische Sicherheitskultur begründen. Ist das
angesichts der aktuellen Rückschläge in Sachen europäischer
Integration naiv?

Prof. Staack: Nein. Es ist manchmal sinnvoll, ambitionierte Ziele
zu verkünden, um sich ihnen zumindest nähern zu können. So schnell,
wie Macron es avisiert hat, kann es nicht kommen, aber ohne
visionären Schwung würde sein Vorstoß schnell verpuffen.

Verpufft sind bisher Versuche, ein europäisches Weißbuch zu
schreiben. Ist es Zeit für eine deutsch-französische Initiative?

Prof. Staack: Das wäre sinnvoll, wobei es mit der globalen
Strategie der EU zumindestens einen Vorläufer gibt. So ein Weißbuch
sollte nicht nur auf das Militär orientiert sein, sondern auf Außen-
und Sicherheitspolitik in einem breiteren, vernetzten Sinne.

Was gehört in eine solche Doktrin?

Prof. Staack: Es müsste eine Strategie sein, wie sich die
Europäische Union mit unterschiedlichen Mitteln - ziviler
Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und militärischer Macht - in
der sie umgebenden und sich wandelnden Welt behauptet. Welche
Partnerschaften sie mit Nachbarstaaten eingeht, welchen Spielraum sie
hat. Gerade aus Sicht der EU ist es wichtig, die verschiedenen
Instrumente zusammenzudenken, denn für Europa wird das Militär immer
ein nachgeordnetes Instrument bleiben.

Drohen Enttäuschungen angesichts der hochgesteckten Ziele oder
bringt Macron den lange vermissten europäischen Elan?

Prof. Staack: Macrons Europa-Vorstoß in der Sorbonne wird mehr
Schwung bringen. Enttäuschungen drohen eher auf französischer Seite,
wenn nicht alles der nationalen Agenda durchgesetzt werden kann. In
Deutschland ist man sich sehr bewusst, dass man diese Vorschläge
nicht einfach zu den Akten legen kann, sondern dass es im Sinne der
deutsch-französischen Kooperation Grundlage der EU ist, zumindest
einige dieser Vorschläge umzusetzen.

Eine derart ausgefeilte Europa-Vision war in Deutschland lange
nicht zu hören. Sie einfach als zu versponnen wegwischen kann man sie
nicht....

Prof. Staack: ...Das geht auf keinen Fall. Auf der anderen Seite
ist es so, dass sich die großen Entwürfe von Joschka Fischer oder dem
französischen Außenminister Hubert Védrine vor über zehn Jahren zwar
nicht durchsetzen ließen, aber immerhin den Lissabon-Vertrag als
Ertrag brachten. Für die notwendigen Debatten in der Bevölkerung
braucht man solche großen Zukunftsentwürfe, um überhaupt
Veränderungen anzustoßen und nicht im Tagespragmatismus zu verharren.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
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Datum: 12.10.2017 - 18:53 Uhr
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