(ots) - Dringender Handlungsbedarf: Immer mehr
HIV-Infektionen, kein ausreichender Zugang zu Test und Behandlung,
immer weniger Mittel / Deutschland braucht eine Strategie / UNAIDS
"äußerst besorgt"
Wie kann die HIV-Epidemie in Osteuropa und Zentralasien unter
Kontrolle gebracht werden? Mit dieser Frage befasst sich heute die
Konferenz "HIV in Osteuropa - Die unbemerkte Epidemie?!" in Berlin.
Sie soll dafür sorgen, dass dieses vernachlässigte Thema in den Fokus
der Öffentlichkeit gelangt. Eingeladen haben das Aktionsbündnis gegen
AIDS, Brot für die Welt und die Deutsche AIDS-Hilfe.
In der Landesvertretung Baden-Württembergs beraten rund 80
Fachleute aus Politik, Zivilgesellschaft und HIV-Selbsthilfe darüber,
wie Erfolgsrezepte der HIV-Prävention und -Behandlung in Osteuropa
wirksam werden könnten. Mit dabei sind UNAIDS-Vize Luiz Loures und
der Leiter des Nationalen AIDS-Zentrums in Russland, Vadim Pokrovsky.
Maßnahmen greifen nicht
Weltweit geht die Zahl der Neuinfektionen zurück, immer mehr
Menschen erhalten HIV-Medikamente, immer weniger sterben. In
Osteuropa jedoch greifen die Anstrengungen der internationalen
Gemeinschaft, der Länder selbst und der Selbsthilfe-Organisationen
nicht. In vielen Ländern der Region ist ein ungebremster, teils
dramatischer Anstieg der HIV-Infektionen zu verzeichnen. Vor allem in
Russland, wo seit 2016 die Marke der 100.000 jährlichen
Neuinfektionen überschritten ist.
Auch der Zugang zu Test und Behandlung in der Region liegt weit
unter den von UNAIDS angestrebten Zielen. Die Finanzierung der
Maßnahmen gegen HIV/Aids verschlechtert sich zugleich immer mehr.
Jetzt handeln!
Diese Situation ist ethisch untragbar und kann nicht ohne
Auswirkungen auf das restliche Europa bleiben. Die Bundesregierung
muss darum endlich eine Strategie entwickeln, um der HIV-Epidemie in
Osteuropa etwas entgegenzusetzen.
Die Zusammenarbeit zwischen Staat und den am stärksten betroffenen
Gruppen hat sich in der deutschen HIV-Prävention als überaus
erfolgreich erwiesen. Diese vorbildliche Kooperation ist für
internationale Maßnahmen wegweisend.
Dazu sagt Luiz Loures, stellvertretender Exekutiv-Direktor von
UNAIDS:
"UNAIDS ist äußerst besorgt über die AIDS-Epidemie in Osteuropa,
besonders über den Anstieg der HIV-Neuinfektionen und
AIDS-Todesfälle. Damit auch in Osteuropa ein Ende von AIDS weiterhin
denkbar bleibt, ist es unerlässlich, die am stärksten betroffenen
Gruppen zu erreichen - einschließlich drogengebrauchender Menschen,
Männern, die Sex mit Männern haben, Sexarbeiter_innen, und Menschen
in Gefängnissen. Die Zivilgesellschaft spielt hierbei eine zentrale
Rolle und es ist zwingend notwendig, dass sie ausreichend finanziert,
unterstützt und befähigt ist, ihre wichtige Arbeit zu erledigen."
Sylvia Urban, Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS und der
Deutschen AIDS-Hilfe erklärt:
"Die internationale Gemeinschaft muss ihr Engagement gegen HIV in
Osteuropa intensivieren, statt nachzulassen. Die Bundesregierung muss
dafür sorgen, dass Osteuropa von den Erfahrungen in Deutschland
profitieren kann. Die Länder selbst müssen dafür Sorge tragen, dass
nicht weiter Diskriminierung der am stärksten betroffenen Gruppen den
Zugang zu Prävention und Versorgung erschwert. Alle Erfahrungen
zeigen: Partizipation ist der Schlüssel! Wer darauf verzichtet, kann
gegen die HIV-Epidemie nicht erfolgreich sein. Die Verfolgung von
Homosexuellen, Drogenkonsumenten und anderen Minderheiten ist eine
menschliche Katastrophe und macht HIV-Prävention unmöglich."
Astrid Berner-Rodoreda, Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS
und Beraterin für HIV bei Brot für die Welt erklärt:
"Auch beim Zugang zu Behandlung liegt Osteuropa weit hinter
anderen Regionen zurück. Das hängt auch mit hohen Medikamentenpreisen
zusammen. Hier müssen Rahmenbedingungen geändert werden, damit
kostengünstige Generika in den Ländern verfügbar sind. Auch muss die
Region weiterhin von der Unterstützung des Globalen Fonds
profitieren. Partnerorganisationen benötigen in ihrer HIV-Arbeit mit
gefährdeten Gruppen und Betroffenen Unterstützung, nicht nur von
deutschen Nicht-Regierungsorganisationen, sondern auch von ihrer
Regierung und deutschen Regierungsstellen. Die vorbildliche
Zusammenarbeit im HIV-Bereich zwischen Regierungsstellen und
Nicht-Regierungsorganisationen in Odessa, Ukraine, lässt sich auch in
anderen Regionen erzielen. Dafür ist jedoch vor allem politischer
Wille notwendig. Wir dürfen die Menschen in Osteuropa mit der
zunehmenden HIV-Problematik nicht länger alleine lassen."
Mehr HIV-Infektionen, weniger Gegenmaßnahmen
Die bislang vorliegenden Konzepte zu HIV/Aids in Osteuropa reichen
bei weitem nicht aus. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen können so niemals erreicht werden. Mehr noch: Das
internationale Engagement - auch das bundesrepublikanische - gegen
AIDS in der Region wurde in den letzten Jahren trotz der zugespitzten
Situation immer weiter reduziert.
Einige internationale Geldgeber, wie beispielsweise der Globale
Fonds gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria (GFATM), haben sich aus
Ländern der Region weitgehend zurückgezogen. Zum einen wurde die
Wirtschaftskraft einiger Länder durch die Weltbank neu eingestuft, so
dass sie nun selbst mehr beitragen müssen. Zugleich wird das
politische Klima immer schwieriger. Organisationen, die Fördermittel
aus dem Ausland erhalten, müssen sich beispielsweise als
"Auslandsagenten" registrieren lassen und unterliegen staatlichen
Restriktionen.
Diese Entwicklungen beschädigen insbesondere die Tätigkeit
zivilgesellschaftlicher Akteure, die in der erfolgreichen
HIV/Aids-Arbeit immer eine tragende Rolle spielen.
Keine Prävention für besonders betroffene Gruppen
Die Folgen sind dramatisch: Wirksame Präventionsarbeit für die am
stärksten betroffenen Gruppen wird immer weiter eingeschränkt oder
kommt gar nicht erst zustande.
Ein Beispiel sind Maßnahmen zur Verhinderung von gesundheitlichen
Schäden beim Drogenkonsum Spritzenvergabe und Safer-Use-Aufklärung
gibt es in vielen Ländern nicht. Und während die
Substitutionsbehandlung in der Ukraine zu großen Erfolgen geführt
hat, verweigern andere Länder wie Russland diese wissenschaftlich
abgesicherte Therapie, die zahlreiche Gesundheitsrisiken minimiert.
Beispiel Menschen in Haft: Gefangene sind aufgrund desolater
baulicher Bedingungen und mangels Zugang zu Prävention und
Behandlungsmöglichkeiten einem ganz besonders hohen Risiko
ausgesetzt, sich mit Tuberkulose, HIV oder Hepatitis C zu infizieren.
Tuberkulose ist bereits jetzt eine der Haupttodesursachen für
Menschen mit HIV, zunehmend stellen multiresistente
Tuberkuloseerreger eine ernsthafte Bedrohung dar.
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Pressekontakt:
Deutsche AIDS-Hilfe
Holger Wicht
Pressesprecher
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