(ots) - Ja, wir wissen es langsam: Die Margen sinken, die
Herausforderungen steigen, wir müssen alle noch mehr Gas geben. Egal,
welche Branche man betrachtet, mit redlicher, engagierter Arbeit Geld
zu verdienen, ist ziemlich schwierig geworden - es sei denn, man
berät Unternehmen kaputt oder verjubelt hoch riskante Geldanlagen.
Lottospielen wäre zur Sicherung des persönlichen Grundeinkommens
aktuell aussichtsreicher.
Ein Allheilmittel scheinen Synergien zu sein. Dieser schlau
klingende Begriff - (abgeleitet von griechisch synergÃa = Mitarbeit,
Verb: synergein = zusammenarbeiten) - beschreibt einen Akt schierer
Zauberei, denn durch Synergien wird aus weniger mehr. Und das geht
so: Das Personal, das bleiben darf, hat beispielsweise dank den
Synergien hinterher mehr zu tun; oder alle müssen zusammenrücken,
weil die Synergie darin besteht, mehr Leute in weniger Räume (oder
einen grossen) zu quetschen. So können sie sich noch besser
gegenseitig von der Arbeit ablenken, die sie vom entlassenen Kollegen
übernommen haben. Entgegen dem Wortursprung geht es bei Synergien
also mehr um ein Zusammenfassen und -schrumpfen der für die
Erledigung einer Arbeit zur Verfügung gestellten Mittel als um
gemeinsames Arbeiten.
Wer gegen Zusammenlegungen, Kompetenzbündelung, flache
Hierarchien, Gross-raumbüros (euphemistisch: Open Offices), flexible
Arbeitszeiten, Home Office, Desk-und-sonstwas-Sharing-Modelle
Einspruch erhebt, wird standardmässig mit dem Argument ausgebootet,
Google mache es ja auch. Meist sagen das bedauerlicherweise aber
diejenigen, die Google und die Arbeitsweise seiner Mitarbeiter
überhaupt nicht kennen. Die schöne Mär von der selbstgesteuerten,
reibungslosen Verzahnung von Beruflichem und Privatem ist eine
gemeine Propagandalüge ausschliesslich profitorientierter
Unternehmen, die auch der deutsche Wirtschaftsprofessor Christian
Scholz in seinem neuen Buch «Mogelpackung Work-Life-Blending»
demontiert. Sich auflösende Grenzen bedeuten nicht immer nur
Freiheit; und die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten, ist alles andere
als gleichbedeutend mit dem Zwang, sich bei der Erledigung seines
Broterwerbs immer flexibler zu zeigen. Tacheles: Wir reden vom Sparen
am Arbeitnehmer.
Im Hauptsitz der Deutschen Telekom in Bonn hat man gerade einen
Umbau gewagt, Trennwände herausgerissen und «Arbeitszellen»
aufgelöst. Das Ziel war aber nicht, mehr Menschen in einem Raum an
weniger Tischen und Computern zusammenzubringen, sondern «grössere
Transparenz zu erzeugen. Und zwar eine Transparenz, die sich nicht
nur bauphysikalisch durch Einbringung von Licht und Beseitigung von
Trennwänden auszeichnet, sondern auch kommunikativ durch Offenheit
und Experimentierfreude eine neue Form der Emotionalität und
Gedankenfreiheit auslöst», wie Bernhard Zünkeler, Geschäftsführer der
Werbeagentur Orange Council, in einem Interview erklärt. Die Agentur
hat den Umbau strategisch und kommunikativ betreut, gemeinsam mit dem
Architekturbüro Kubus.
Hängengeblieben ist mir von dieser Aussage vor allem ein Wort:
Gedankenfreiheit. Klar brauchen Menschen Austausch, um nicht mit
ihren Ideen in einem verschwurbelten Nirwana steckenzubleiben; aber
sie brauchen auch Rückzugsorte, die Freiheit, allein irgendwo denken
zu dürfen, und sich dafür nicht auf der Toilette einschliessen zu
müssen. Menschen brauchen Türen, die auch einmal geschlossen werden
dürfen. Ohne dass das bei Kollegen und der Chefin gleich für Gerede
sorgt.
Denn bei aller Vernetzung, Zusammenarbeit, Synergieerzeugung:
Unsere Gehirne sind immer noch allein oben in unseren Schädeln. Und
meines wenigstens will dort auch gern allein bleiben.
Editorial von Werbewoche-Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich
aus der heute erschienenen Werbewoche 17/2017.
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