(ots) - Der Geschichte von der Zinswende droht zunehmend
das gleiche Schicksal wie der großen Erzählung vom Populismus. Was
wurde im vergangenen Jahr nicht alles über einen Kamm geschoren, um
zu einer stimmigen Story zu kommen: Brexit, Trump, Le Pen, selbst die
niederländische Freiheitspartei musste herhalten, um Ängste vor einem
weltweiten Durchmarsch rechter und völkischer Kräfte
heraufzubeschwören. Am Ende ließen die Wahlergebnisse die Sorgen vor
einer Machtergreifung der Nationalen in Europa verpuffen. Die Welt
war doch nicht simpel genug für das Erklärmuster, das man ihr
überstülpen wollte.
Nun soll unter Berufung auf die nahezu simultane Erholung der
Weltwirtschaft eine globale Zinswende herbeigeredet werden. Nach der
Federal Reserve galt ausgerechnet die Bank of England als nächste
größere Notenbank, der nach einer Reihe guter Konjunkturdaten
zugetraut wurde, den Einstieg in den Ausstieg aus den während der
Finanzkrise eingeleiteten geldpolitischen Notstandsmaßnahmen zu
schaffen. Schließlich sei die Inflation im Vereinigten Königreich
weit über den Zielwert der Zentralbank hinausgeschossen, lautete die
mechanistische Argumentation dahinter.
Dabei wurde vergessen, dass der Preisauftrieb größtenteils
importiert wurde. Die Reallöhne sanken. Schon vor Jahren zeigte sich,
dass selbst eine stark rückläufige Arbeitslosigkeit in Großbritannien
nicht zu Lohndruck führt. Die Phillips-Kurve, die diesen Zusammenhang
zu belegen sucht, kann getrost dem Reich der Parawissenschaften
zugeordnet werden. Die Notenbank, die eigentlich die
Arbeitslosenquote zur Richtschnur der Geldpolitik machen wollte,
suchte sich längst neue Parameter. Nun hat sie den Zinsschritt
vollzogen, der nach entsprechenden Ankündigungen von Zentralbankchef
Mark Carney unvermeidlich geworden war. Dabei machte sie allerdings
keinerlei Hoffnung darauf, dass den nun verkündeten 25 Basispunkten
bald weitere Zinserhöhungen folgen werden.
Carney ist weder ein Geschichtenonkel, noch hat er seine
Entscheidungen in der Vergangenheit an den realitätsfernen
Rechenmodellen seiner Volkswirte ausgerichtet. Er braucht beim
Leitzins Spielraum nach unten, sollte der EU-Austritt chaotischer
verlaufen als gedacht. Zudem will er vermeiden, dass in der
Boulevardpresse die Abwertung der Landeswährung hochgespielt wird.
Pragmatismus siegt: Die Bank of England erhöhte den Leitzins, aber
nur so viel wie unbedingt nötig, um keine Irritationen am Markt
aufkommen zu lassen.
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