(ots) - Mit ihrem neuen Jahresgutachten dürften die
Wirtschaftsweisen für Ernüchterung in den Sondierungsgesprächen für
eine Jamaika-Koalition in Berlin gesorgt haben. Den finanziellen
Spielraum, von dem die möglicherweise künftigen Koalitionäre träumen,
hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft nun massiv eingedampft.
Viel ist es nicht, was es bei solider Finanzpolitik zu verteilen
gibt. Es kommt noch harscher: Statt etwas Geld hier und etwas Geld
dort für Lieblingsprojekte der Parteien auszugeben, um Basis und
Wähler vom segensreichen Wirken der künftigen Regierung zu
überzeugen, sollen die politisch Verantwortlichen lediglich längst
überfällige Steuergelder zurückgeben. Allein die Korrektur der kalten
Progression, welche die Steuerzahler in höhere Tarifstufen der
Einkommensteuer treibt und den Fiskus begünstigt, sowie das
allmähliche Ende des Solidaritätszuschlags ein Viertel Jahrhundert
nach der deutschen Einheit zehren den Finanzspielraum locker auf.
Statt klientelspezifisch zu verteilen, würden Bürger und
Wirtschaft mit diesen Steuerschritten in der Breite entlastet und
könnten stärker selbst gestalten. Das wären wahre Strukturreformen!
Denn die Wirtschaftsweisen rufen damit in Erinnerung, dass eine
Regierung Reformen auch zur Erweiterung der wirtschaftlichen
Entfaltung hernehmen kann. Bei den Jamaika-Sondierungen dominieren
dagegen Fragen, wie stark der Staat die Wirtschaft etwa beim
Klimaschutz einschränken darf.
Ernüchternd muss auch die Analyse der Sachverständigen zur
Finanzmarktstabilität auf die Sondierer wirken. Denn dort gibt es
keineswegs Entwarnung. Vielmehr steigen die Risiken im Finanzsektor
mit der anhaltenden Phase niedriger Zinsen und der Aussicht auf eine
Zinswende. Diese kann nach Einschätzung der Räte ausgerechnet den
Teil der Kreditwirtschaft in Bedrängnis bringen, auf den sich die
Politik besonders verlässt: Sparkassen und Genossen. Ein Teil der
Risiken für die Finanzmarktstabilität ist hausgemacht. Die künftige
Regierung und die sie unterstützenden Fraktionen sind aufgerufen,
Lücken in der Regulierung zu schließen und die Finanzaufsicht mit
wirksamen Instrumenten zu versorgen - hierzulande und in Europa.
Ernüchternd muss auch die Replik von Kanzlerin Angela Merkel auf die
Reformempfehlungen des Gutachtens für die Wissenschaftler gewesen
sein: "einleuchtend, aber politisch nicht einfach umzusetzen". Etwas
Mühe wäre dies aber wert. Denn warum beschäftigt eine Regierung
Berater, wenn sie deren Ratschläge dann am Ende verwirft?
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