Tuerkei-Besuch: In der Kernfrage deutschen Interessen geschadet
(pressrelations) -
Zur Bilanz des Tuerkei-Besuchs der Bundeskanzlerin erklaert der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot
Erler:
Pfiffige Inszenierung: Erst verbale Eskalation, dann ein leichtes Laecheln, nach dem Motto, wie schoen, wenn der Schmerz nachlaesst. Am Ende atmen die auf, denen im deutsch-tuerkischen Verhaeltnis die Wirtschafts- und Kulturfragen am Herzen liegen.
Bei der Kernfrage sieht das anders aus. Frau Merkel hat allen Ernstes vor der Abreise ihren Ladenhueter-Kuchen "Privilegierte Partnerschaft" nochmals neu aufgebacken und als Gastgeschenk mit nach Ankara gebracht. Erwartungsgemaess wurde er mit Verachtung gestraft. Es haette nicht des bajuwarischen Klartexts von Herrn Dobrindt bedurft ("Ganz grundsaetzlich, aber auch wegen Herrn Erdogan, wird die Tuerkei nicht EU-Mitglied werden"), um der Tuerkei deutlich zu machen: In Sachen EU-Verhandlungen ist die gegenwaertige deutsche Regierung nicht Partner sondern Widersacher. Und das, obwohl es im Koalitionsvertrag anders steht.
Aussen- und weltpolitisch gesehen ist das ein Desaster. Die Tuerkei waechst, dabei auch ihre dynamische oekonomische Kraft einbringend, in die Rolle einer fuehrenden Regionalmacht hinein.
Und zwar in einer Region von aeusserster Bedeutung fuer deutsche und europaeische Interessen. Der Einfluss des Landes nimmt zu:
bei der Sicherheit des Schwarzmeergebiets als unverzichtbarer Transit-Korridor fuer die Energielieferungen aus der kaspischen Region, bei einer Stabilitaetspolitik fuer den gesamten Kaukasus und der Vermittlung bei den dortigen "Eingefrorenen Konflikten", und zunehmend auch im Nahen Osten in dem Maechtedreieck mit Israel und Iran, ohne das es kaum zu einer Friedensloesung kommen kann. Es ist schon ein Unterschied, ob eine zurueckgewiesene und frustrierte Tuerkei diese Einflusspolitik allein nationalen Zielen widmet oder sie - in Erwartung einer kuenftigen europaeischen Integration - auch in den Dienst von EU-Interessen stellt.
Und schliesslich bleibt richtig, dass ein grosses, islamisch gepraegtes Land wie die Tuerkei, das westliche Werte akzeptiert und den europaeischen Weg geht, das beste Bollwerk gegen alle politischen Planspiele von einem "Krieg der Kulturen" zwischen dem Westen und dem Islam darstellt - also gegen die kranken Ideen eines Osama Bin Laden und seiner Unterstuetzer. Das ist der Hauptgrund fuer das staendige Werben der Vereinigten Staaten fuer eine EU-Aufnahme der Tuerkei.
Es stimmt schon: "Manchmal ist es leicht, mit ein paar harschen aussenpolitischen Toenen innenpolitisch zu punkten", so der Kommentar einer grossen Zeitung. Dabei kann aber viel politisches Geschirr zerdeppert werden, das wir alle noch brauchen. Frau Merkel weiss das. Sie hat sich fuer den kleinen eigenen Vorteil gegen die langfristigen Interessen Deutschlands entschieden.
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