(firmenpresse) - Mikrosystemtechnik: Chance für Zulieferer
Austausch von Wissenschaftlern und Praktikern auf der Interpart
KARLSRUHE / FREIBURG, Oktober 2006.
Mit einem hochkarätig besetzten Management-Workshop im Rahmen der Karlsruher Messe Interpart startete der neue Branchenverband Mikrosystemtechnik Baden-Württemberg e.V. (MST BW) im Oktober sein Programm für mittelständische Zulieferer. Der Verein will den Zugang zu Mikrotechnologien erleichtern und dazu unter anderem Wissenschaftler und Praktiker aus der Industrie zusammenbringen. Im Rahmen des Workshops haben sich erstmals vier baden-württembergische Netzwerke gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert, die mittelständische Unternehmen und insbesondere Automobilzulieferer bei der Einführung von Mikro- und Nanotechnik unterstützen.
Ganz nach dem Motto "kleiner, leichter, zuverlässiger, preiswerter" bietet die Mikrosystemtechnik den Automobilherstellern und ihren Zulieferern neue Chancen im globalen Wettbewerb. Das hat Eckehardt Keip, Vorstandsvorsitzender des neu gegründeten Verbands Mikrosystemtechnik Baden-Württemberg und Geschäftsführer der Freiburger Litef GmbH, zur Eröffnung des Workshops betont. Allerdings erfordere die neue Technologie auch hohe Investitionen seitens der Zulieferer, so Eckehardt Keip, um miniaturisierte Bauteile überhaupt herstellen zu können. "Das setzt langfristige Lieferbeziehungen voraus", sagte Keip in Richtung der Automobilkonzerne.
Besondere Chancen für die Mikrosystemtechnik im Fahrzeugbau prognostizierte Dr. Gerhard Hettich, Forschungsleiter bei DaimlerChrysler in Stuttgart. Eine der zukunftsweisenden Fragen sei beispielsweise, wie die Elektronik im Fahrzeug zuverlässiger und kostengünstiger gemacht werden könne. Genau dies ermögliche die Mikrosystemtechnik, indem elektronische Komponenten miniaturisiert und vernetzt werden und dabei auch noch eine minimale Fehlerquote garantieren. Dr. Hettich wies auf die Bedeutung der Elektronik hin, da sie rund 30 bis 35 Prozent der Wertschöpfung im Auto ausmache. Am Beispiel Fahrzeugsicherheit zeigte er Anwendungsmöglichkeiten auf: "Schliesslich erhöht eine verlässliche Umfelderkennung - etwa mit der Hilfe von Kameras, Radar und Infrarotsensoren - die Sicherheit und hilft, Unfälle zu vermeiden." Sie setze eine verlässliche Elektronik voraus.
Ein anderes Beispiel: Kraftstoffverbrauch und Emissionen. Um beides zu reduzieren, benötige man nicht nur alternative Antriebskonzepte, sondern auch neue Regelverfahren. Dr. Hettich wies auf Entwicklungspotenziale bei elektrischem Energiemanagement, Antriebsstrangmanagement, Rekuperationsverfahren und Energiespeichern hin.
Ein zentrales Thema künftiger Entwicklungen sei die Verfügbarkeit vernetzter elektronischer Systeme. Dr. Hettich erwartet eine Evolution zu lernfähigen, sich selbst konfigurierenden und selbstheilenden Systemen, die mindestens eine so hohe Verfügbarkeit aufweisen wie biologische Systeme. "Schliesslich müssen wir garantieren, dass nicht alle Teile ausfallen, falls eines einmal defekt sein sollte."
Wichtige Anforderungen an neue Technologien im Fahrzeug nannte auch Dr. Stefan Finkbeiner, Leiter der Mikrosystemtechnik-Forschung bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart. Er bestätigte: "Es kommt besonders auf Kostensenkung, Zuverlässigkeit und Vernetzung an." Ein Weg, auf den Bosch und weitere europäische Konzerne setzen, ist die Smart System Integration und deren Kombination mit der Mikro-Nano-Integration. Der Weg führt zu miniaturisierten, vernetzten und interaktiven, energieautonomen und hoch zuverlässigen Systemen mit höherer Funktionalität und stärkerer Funktionsintegration.
Eindrucksvoll demonstrierte Dr. Finkbeiner den Miniaturisierungsprozess anhand von Drehraten- und Hochdrucksensensoren sowie Kfz-Steuergeräten. Bei Drehratensensoren sanken die relativen Kosten in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent. 1994 waren es noch feinmechanische Produkte, fast so gross wie eine Hand. Heute basieren Drehratensensoren auf Silizium-Oberflächen-Mikromechanik, und sie sind kleiner als eine Fingerkuppe. Als Beispiel für Funktionsintegration nannte Dr. Finkbeiner die Zusammenführung von Airbag-Steuergerät und dem Sensorcluster des ESP-Systems. Der Effekt: eine erhebliche Kosteneinsparung. Als Beispiel für die geforderte Vernetzung diente ein Airbag-Aufprall-Sensor, der mehr Leistung bringt und daher mehr Druck aushält. Bedingung für die Vernetzung eines Airbags mit einem Sensormodul ist die schnelle und gleichzeitig zuverlässige Umsetzung der Signale.
Aus dem Trend zur Smart System Integration leitete Dr. Finkbeiner vielfältige Chancen für Zulieferer ab, aber auch Herausforderungen. Finkbeiner sagte: "Die Miniaturisierung erfordert noch mehr Präzision." Wenn die Elemente sehr klein werden, dann müssen sie auch besonders robust und widerstandsfähig sein. Dies erfordere unter anderem die Entwicklung neuer Aufbau- und Verbindungstechniken und präziserer Kunststofftechniken.
Eine neue Perspektive zeigte auch Professor Dr. Holger Reinecke vom Lehrstuhl für Prozesstechnologie und vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg (IMTEK) auf. Das IMTEK befasst sich im Verbund mit dem Institut für Mikro- und Informationstechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft (HSG-IMIT) in Villingen-Schwenningen derzeit mit energieautarken Mikrosystemen. Ziel ist, Sensoren und Aktoren unabhängiger zu machen von externer Stromversorgung durch Batterien oder Netzspeisung. Reinecke erinnerte an bekannte Probleme: "Batterien haben eine begrenzte Betriebsdauer, sind nur begrenzt einsetzbar, führen zu Wartungskosten und darüber hinaus entsteht ein Umweltproblem." Einen Lösungsansatz sieht Prof. Reinecke in der Energiegewinnung aus der Umwelt mit Kombinationen aus kapazitiven, induktiven, piezoelektrischen, thermoelektrischen Methoden, Photovoltaik, Bio-Brennstoffzellen usw. Dafür wurde in Freiburg das multidisziplinäre Projekt Micro Energy Harvesting initiiert. Ziel des Vorhabens ist es, Energiesysteme für die Mikroelelektronik und Mikrosystemtechnik zu entwickeln, die voll autonom sind, über eine unbegrenzte Betriebszeit verfügen, keine Wartung erfordern und dabei einfach zu installieren sind.
Ein anderes Forschungsszenario hat Dr. Matthias Kautt vom Forschungszentrum Karlsruhe entworfen: Er sieht Chancen in der Verbindung der Mikrotechnik mit der Nanotechnologie. Damit könnten beispielsweise zuverlässigere, mit Nanopartikeln verstärkte Kunststoffteile oder effizientere Einspritzdüsen hergestellt werden. Die Mikro-Nanotechnik werde bisher in der Biotechnologie, der Chemie und der Mikroelektronik eingesetzt. Kautt sieht aber auch Anwendungschancen im Fahrzeugbau.
Dr. Hans Erne von der Rohwedder AG in Bruchsal zeigte einen Weg auf, wie Zulieferbetriebe die Mikrosysteme künftig selbst herstellen und flexibel auf die immer kurzfristigeren Rekursionen, Lieferanforderungen und Stückzahländerungen reagieren können. Er stellte eine bei Rohwedder entwickelte Miniaturfabrik vor - eine standardisierte Basiszelle, die mit so vielen Werkzeugen wie möglich ausgestattet ist, so dass nicht ständig neue Fertigungs- und Montageverfahren entwickelt werden müssen. Varianten und Verkettungen dieser Basiszelle sollen die Integration in den Montageprozess erleichtern und die Flexibilität des Zulieferers steigern. Dr. Erne zeigt sich überzeugt, dass mit dieser Plattform ein wirtschaftlicher Einstieg in die automatisierte Mikromontage zu schaffen ist. Jens Klattenhoff von der Polytec GmbH aus Waldbronn erläuterte, wie Zulieferer auch die komplexe Messtechnik zur Qualitätskontrolle der Mikrosysteme in den Griff bekommen.
Volker Nestle, Leiter der Mikrotechnologie-Forschung bei Festo in Esslingen, stellte den mikromechatronischen Ansatz seines Hauses vor. Mit einem ganzheitlichen Systemdesign können bei Festo relativ zügig neue Mikrosysteme konstruiert werden, wobei die Anforderungen wie Funktionsintegration, Leistungsverdichtung und Effizienzsteigerung von Anfang an berücksichtigt sind. Als anschauliches Beispiel stelle Nestle einen Mikrolinearversteller vor, der über ein integriertes Wegmesssystem und eine miniaturisierte Leistungsendstufe verfügt. Der kleinste Typ dieses Produkts ist nur ca. 1x1 cm gross, 5 cm lang und hat einen Hub von 20 mm bei einer Vorschubkraft von 1 N.
Jürgen Wiegand, Geschäftsführer der EmbeX GmbH aus Freiburg, der Unternehmen bei Produktentwicklungen in der "intelligenten" Elektronik unterstützt, wies auf die Bedeutung des Aspektes Sicherheit in der Mikrosystemtechnik hin: "Ein Flugzeug ist dann am sichersten, wenn es unbetankt und ohne Passagiere am Boden steht. Doch genau das ist nicht Sinn der Sache. Wir benötigen Sicherheit bei maximaler Beanspruchung." Dazu hat das Unternehmen die so genannte "embedded safety" entwickelt. Das bedeutet, zunächst wird das grösstmögliche Risiko berechnet, um es anschliessend zu minimieren. Diese erfordere die Fähigkeit, in potenziellen Fehlfunktionen zu denken, sagte Wiegand. Genau diese Gabe sei in der Entwicklung gefragt, aber die Universitäten bildeten nicht dafür aus.
Uwe Remer, Geschäftsführer der Firma 2E mechatronic aus Wernau, berichtete, wie sein Unternehmen den Sprung in die Mikrosystemtechnik gewagt hat, indem man die geforderte Integration und Miniaturisierung mit Unterstützung der Forschungsinstitute der Hahn-Schickard-Gesellschaft realisierte. 2E mechatronic stellt MID-Kunststoffteile her. Der Mittelständler hat unter anderem eine automatisierte, flexible Fertigungslinie für heissgeprägte MID-Baugruppen eingerichtet und Kompetenzen im Bereich Laser-Direkt-Strukturierung aufgebaut. Mit diesem Verfahren können Leiterbahnen mit Schrägen von 70° bis 80° in die Kunststoffteile eingebracht werden.
Erstmals haben sich bei der Veranstaltung in Karlsruhe vier baden-württembergische Netzwerke gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert, die mittelständischen Unternehmen bei der Einführung von Mikro- und Nanotechnik helfen. Dazu zählten neben dem Verein Mikrosystemtechnik Baden-Württemberg das Automotive Engineering Network Südwest mit Sitz in Karlsruhe, das am Forschungszentrum Karlsruhe angesiedelte Netzwerk NanoMat sowie das MicroMountains-Netzwerk in Villingen-Schwenningen. Letzteres eröffnete jetzt ein neues, vom Bund gefördertes Zentrum für Technologietransfer - Applikationszentrum genannt. Kernaufgabe der Einrichtung wird es sein, die Anwendung von Forschungsergebnissen aus der Mikrosystemtechnik in kleinen und mittelständischen Unternehmen zu beschleunigen.