Eine Neuinterpretation von Klassikern der feministischen Geschlechterforschung wagte Silvia
Stoller im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekts. Die Ergebnisse
fasste sie nun in ihrem Buch "Existenz – Differenz – Konstruktion. Phänomenologie der
Geschlechtlichkeit bei Beauvoir, Irigaray und Butler" zusammen, welches am 11. Jänner 2011
präsentiert wird. Darin zeigt die Autorin erstmals, wie Ansätze der feministischen
Geschlechterforschung, die sich scheinbar ausschließen, doch in Beziehung gesetzt werden
können, um konstruktive, gesellschaftsrelevante Kritik zu üben.
(firmenpresse) - Frauen sind gleich. Oder doch anders? Oder gibt es sie überhaupt? Diese Fragen
umschreiben – vereinfacht ausgedrückt – die drei prägenden Standpunkte der
Geschlechterforschung des 20. Jahrhunderts.
Simone de Beauvoir setzt sich für die Gleichheit der Geschlechter ein und fordert, dass
Frauen dieselben Rechte wie Männer haben sollen. Scheinbar diametral dazu präsentiert
sich Luce Irigarays Plädoyer für die Differenz. Demnach soll es keine Angleichung der
Geschlechter geben, sondern es sollen vielmehr die Unterschiede zwischen Mann und
Frau – im positiven Sinne – gestärkt und weiterentwickelt werden. Der dritte Standpunkt
stützt sich auf das Prinzip der Konstruktion nach Judith Butler: Geschlechter als solche
sind nichts Natürliches. Geschlechterrelevante Bedeutungen werden schlichtweg kulturell
hergestellt.
Diese drei Theorieansätze erscheinen auf den ersten Blick gegensätzlich. Dass dem nicht
so ist, zeigt Autorin Dr. Silvia Stoller nun in ihrem Buch, das am Dienstag, den 11. Jänner
2011 um 19:00 Uhr im Depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien präsentiert wird. Nach dem
Leitspruch "Es ist Zeit, klassische Geschlechtertheorien im 20. Jahrhundert einer
Neulektüre zu unterziehen!" stellte sie sich der Herausforderung, diese Ansätze auf eine
ganz neue Weise miteinander in Verbindung zu setzen. Ihre Studie macht deutlich, dass
es bedeutende Überschneidungen zwischen den drei gedanklichen Zugängen gibt und
sie sich sogar ergänzen.
Klassische, neue Geschlechtlichkeit
"Analysiert man z. B. das Werk von Beauvoir genauer, so erkennt man, dass sie trotz ihres
Gleichheitsanspruches die Notwendigkeit sah, Differenzen anzuerkennen. Die Forderung
nach gleichen Rechten und der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter
bedeutete für sie nicht, dass sich die Geschlechter einander angleichen sollen", führt Dr.
Stoller aus. Auch Irigaray schließt im Rahmen ihrer Differenztheorie nicht aus, dass
sexuelle Differenz mit politischen Gleichheitsforderungen einhergehen kann. So trat sie
selbst dafür ein, dass Frauen eher um eigene Rechte kämpfen sollten, als die Rechte von
anderen kritiklos in Anspruch zu nehmen. Geht man wiederum mit Judith Butlers
konstruktionstheoretischem Ansatz an das Thema heran, dann wird die sexuelle Differenz
als reines gesellschaftliches Konstrukt angesehen. Entgegen der gängigen Meinung
bedeutet das für Dr. Stoller jedoch nicht, dass automatisch das gesamte Konzept des
Geschlechts negiert werden muss.
Dass diese drei Klassiker der feministischen Theoriebildung auch heute noch ihre
Gültigkeit haben, zeigen aktuelle Beispiele: Beauvoirs Forderung nach Gleichheit ist
keineswegs veraltet, da z. B. in vielen Bereichen immer noch ein unterschiedliches
Lohnniveau zwischen Männern und Frauen besteht. Auch erscheint es in unserer
multikulturellen Gesellschaft aktueller denn je nach Anerkennung von Differenzen zu
streben, wie es auch Luce Irigaray forderte. Schließlich müssen die gesellschaftlichen
Konstruktionen von Geschlecht fortlaufend im Auge behalten werden. Sie zeigen die
Normierung von Geschlechtlichkeit auf und bieten Aussicht auf Veränderung. Die
Erkenntnisse dieser drei Ansätze stellen demnach eine bleibende Herausforderung dar.
(K)ein alltägliches Phänomen
Als Methode ihrer nun veröffentlichten Analysen hat die Wissenschafterin ganz gezielt die
Phänomenologie gewählt. Diese begreift die Geschlechtlichkeit als grundlegenden Zug der
menschlichen Existenz. Gleichzeitig erlaubt die Methode die Thematisierung von Existenz,
Differenz und Konstruktion, ohne sich einem der theoretischen Ansätze gänzlich
verschreiben zu müssen, wie Dr. Stoller beschreibt: "Mir war wichtig, eine Art
Querwanderung durch die Tradition anzustellen. Dabei gelingt es mithilfe der
Phänomenologie, die Geschlechtlichkeit zur Sache zu machen, ohne einen der
Standpunkte bevorzugt zu behandeln. So konnte ich die Ãœberschneidungen zwischen den
Theorieansätzen angemessen herausarbeiten."
Um den LeserInnen den Zugang zu ihren Ausführungen zu erleichtern, gliederte die
Autorin ihr Buch in zwei Teile: Im ersten Teil erklärt sie Grundbegriffe und relevante
Theorieansätze. Darauf aufbauend nimmt sie im zweiten Teil ihre Analysen vor. Dabei
widmet sie sich eben allen drei großen feministischen Theoriebildungen. Nur so können
ihrer Ansicht nach die komplexen Phänomene der Geschlechtlichkeit angemessen
behandelt werden. Die Hoffnung, die Dr. Stoller bei ihrer Forschungstätigkeit im Rahmen
ihres FWF-Projekts begleitete, ist, dass davon zukunftsweisende Impulse sowohl für die
phänomenologische als auch für die feministische Forschung ausgehen.
Bild und Text ab Dienstag, 11. Jänner, ab 09.00 Uhr MEZ verfügbar unter:
http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv201101-de.html
Originalpublikation: Silvia Stoller: Existenz – Differenz – Konstruktion. Phänomenologie der
Geschlechtlichkeit bei Beauvoir, Irigaray und Butler. Wilhelm Fink Verlag 2010. ISBN: 978-
3-7705-4907-8
Wissenschaftlicher Kontakt:
Univ.-Doz. Dr. Silvia Stoller PhD
Universität Wien
Institut für Philosophie
Universitätsstraße 7
1010 Wien
M +43 / 699 / 121 77 444
E silvia.stoller(at)univie.ac.at
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Wien, 11. Jänner 2011