Jugendzeit – Krisenzeit – Wir trauen dir was zu!
Lautstarke Gesten verschleiern, dass sich Jugendliche schutzlos ausgeliefert fühlen
Das Einsiedlerkrebssyndrom
Der Autor des Buches „Jugendliche begleiten- Was Pädagogen wissen sollten“ hat selbst viele Jahre mit seinen Kindern auf der Insel Föhr (Nordsee) Urlaub gemacht und das Wattenmeer auf diese Weise kennengelernt. Irgendwann ist ihm die Parallele des Einsiedlerkrebses zur jugendlichen Lebenswelt aufgegangen und so begann er dieses Bild zu übertragen:
(firmenpresse) - Der Einsiedlerkrebs ist ein schalenloser Krebs, der sich zu seinem Schutz leere Schneckenhäuser sucht. Natürlich sucht sich der kleine Krebs ein kleines Schneckenhaus. Wenn er denn größer wird, wird ihm dieses Schneckenhaus zu klein. Sicher zögert er den Umzug hinaus, solange er kann, aber irgendwann ist es endgültig zu eng geworden und er muss das geliebte und gewohnte Schneckenhaus verlassen, um sich ein neues Heim zu suchen, das ihm den notwendigen Schutz bietet. Das Schlimme dabei ist allerdings, dass er, wenn er das Schneckenhaus verlässt, nicht weiß, ob er ein passendes, neues Schneckenhaus findet, das ihm den erwünschten, geschützten Wiedereinzug ermöglicht.
In der Zwischenzeit, ohne Haus, ist er ein gefundenes Fressen für die Möwen, die den ganzen Tag nichts anderes tun, wie die Ebbe abzuwarten, um nach ebensolchen, ungeschützten Einsiedlerkrebsen zu suchen. Er ist ihnen, sollten sie ihn entdecken, schutzlos ausgeliefert.
Der heranwachsende Jugendliche spürt auch: das Kind sein ist endgültig vorbei, es ist unaufhaltsam verloren. In den Momenten, in denen er sich dessen voll und ganz gewahr wird, fühlt auch er sich schutzlos ausgeliefert. So ist es ihm peinlich, dass alle seine Schutzlosigkeit unmittelbar miterleben können, sogar der kleine Bruder oder die kleine Schwester machen sich lustig.
Deshalb gibt es immer wieder Momente, in denen er sich das Vergessen machen möchte oder sich am liebsten wenigstens verkriechen möchte, dass er vor den Augen der anderen wenigstens einen Moment geschützt ist.
Es ist so schwer, kein richtiges zu Hause mehr zu haben. Das eine bereits verlassen zu haben und das andere noch nicht gefunden zu haben oder zumindest im Neuen noch nicht das vorherige Gefühl von Sicherheit wiedergefunden zu haben.
Da spielt die 14-jährige Katalin noch mit Puppen an manchen Tagen, wie in alten Zeiten, aber wehe, wenn die Freundin ihres drei Jahre älteren Bruders zu Besuch kommt, dann sind die Puppen nirgendwo mehr zu sehen. Es würde sie beschämen, wenn dieses schon etwas ältere Mädchen, sie mit diesem Kinderkram spielen sehen würde. Im Grunde will sie nach außen schon älter wirken, wie sie sich innerlich fühlt.
Oder der 13-jährige Mark packt hin und wieder seine Cowboys und Indianer aus und bringt sie in Stellung und noch am gleichen Nachmittag trifft er sich mit Maike und startet erste Flirtversuche.
Plötzlich fangen die Kinder an, verstärkt über sich nachzudenken und auch darüber, was die anderen über sie denken. Sie fangen auch an, eine Haltung einzunehmen, zu dem, was man Ihnen sagt. Sie befürworten es oder sie weisen es zurück bzw. lehnen es ab, was sie von uns über sich hören. Und das Nachdenken über sich selbst fängt schon sehr früh an. Meine 12-jährige Tochter Emilia fragte mich vor kurzem z.B., was ich denke, was sie einmal werden wird. Ich sagte ganz spontan: „Du wirst bestimmt einmal in deinem Beruf mit Menschen zu tun haben. Ich sehe, dass dir das Zusammensein mit Menschen viel Spaß macht und dass es dir gut gelingt Menschen zu erreichen und von ihnen gemocht zu werden.“ Dann überlegte ich eine Weile und ergänzte: „Und dann glaube ich noch, dass du später einmal Geschichten schreiben wirst.“ Dazu muss man wissen, dass sie schon mit sieben oder acht Jahren angefangen hat, selbst Geschichten aufzuschreiben. Nach meiner Antwort schwieg sie eine kurze Weile, dann sagte sie zu mir, ich wäre schon der dritte Erwachsene, den sie jetzt gefragt hätte und alle hätten das Gleiche gesagt. Plötzlich lachte sie und fragte ganz verwundert, „Woher ihr das alle wissen könnt?“ Damit ließ sie die Sache dann auch auf sich beruhen.
Für die Pädagogen ist an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass „kein Haus mehr zu haben“ ständige Bedrohungsimpulse auslöst und wer sich bedroht fühlt, der wird manchmal zum eigenen Schutz auch sehr deutlich sehr aggressiv …!
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Klaus Hurrelmann
Joachim Armbrust
Jugendliche begleiten
Was Pädagogen wissen sollten
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
März 2011
Ca. 144 Seiten
12.95 €
ISBN 978-3-525-70121-8
Joachim Armbrust
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