(ots) - Executive Letter
Ausgabe 01 | 2011 Mehr Frauen in Führungspositionen? Ist die
Wirtschaft ein Verein störrischer Männer, die Frauen den Zutritt zu
den Spitzenpositionen verweigern? Gibt es jede Menge qualifizierter
Frauen, die sofort geeignet und bereit wären, Vorstands- und Aufsic
Wenn man Stimmen aus der Politik hört, könnte man glauben, dass es so
ist. Da lohnt sich ein Blick auf die Tatsachen. Tatsache ist, dass
die Anzahl gut ausgebildeter Frauen in den letzten 20 Jahren enorm
zugenommen hat. Während der Frauenanteil an den Abiturienten schon
Mitte der achtziger Jahre 50 % erreichte, lag der Anteil der Frauen
unter den Hochschulabsolventen 1987 erst bei 37 %. Heute sind 51 %
der Absolventen weiblich. Diese Tatsache spiegelt sich zunehmend in
den unteren und mittleren Führungsebenen der Wirtschaft. Der
Frauenanteil auf diesen Führungsebenen hat sic in 2010 mehr als
verdoppelt. In der Gruppe der 30- bis 34-Jährigen liegt der
Frauenanteil schon bei 30 %, und bei den unter 30-Jährigen sind es 42
%. Die Zahlen zeigen ein rasantes Aufholen der Frauen in
Führungspositionen in den jüngeren Jahrgängen. In Vorständen und
Aufsichtsräten steht eine vergleichbare Entwicklung noch aus. Ein
Grund dafür dürfte im Durchschnittsalter in den obersten
Führungsgremien liegen. Das Durchschnittsalter der Aufsichtsräte
liegt bei gut 60 Jahren. Frauen der gleichen Altersgruppe folgten
vielfach noch einem anderen Lebensentwurf, der nicht unbedingt auf
eine berufliche Karriere in der Wirtschaft ausgerichtet war. Von
denjenigen, die ein Hochschulstudium absolvierten, wählte nur ein
kleiner Teil ein wirtschaftsnahes oder technisches Fachgebiet.
geschlossen. Der Anteil der weiblichen Hochschulabsolventen im
Studiengang Wirtschaftswissenschaften betrug 1980 19 %. Bei den
Ingenieurwissenschaften waren es gerade einmal 6,6 %. Heute sind
unter den Absolventen mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium
45 % weiblich, bei den Ingenieuren sind es 24 %. Auch wenn die
Entwicklung hin zu einem höheren Frauenanteil in den
Führungspositionen bei den jüngeren Jahrgängen nachweislich längst
positiv verläuft, zeigt sich die Politik fest entschlossen, die
Beteiligung von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten jetzt zu
forcieren. Die Wirtschaft sieht sich konfrontiert mit Forderungen,
die sich realistischerweise kaum erfüllen lassen, zumindest nicht in
der kurzen Frist, wie die Politik es Bundesverband der Deutschen
Industrie e.V. Executive Letter Ausgabe 01 | 2011 02 sich vorstellt.
Das gilt insbesondere für feste, einheitliche Quoten für alle
Branchen und Unternehmensgrößen. Die in der Politik kursierenden
Zielvorstellungen dürften für Unternehmen aus Branchen mit hohem
technischen Fertigungsanteil (z.B. Bauindustrie, Bergbau, chemische
Industrie, Maschinen- und Anlagenbau, Metall- und Elektroindustrie)
kurzfristig kaum oder gar nicht erreichbar sein. Die deutsche
Wirtschaft hat ein hohes Interesse daran, die Beteiligung von Frauen
in Führungspositionen, insbesondere auch in Vorständen und
Aufsichtsräten zu erhöhen. Frauen zu fördern und zu qualifizieren ist
im Sinne der Chancengleichheit selbstverständlich. Eine stärkere
Repräsentanz von Frauen in der Unternehmensführung liegt nicht nur
unter demografischen Gesichtspunkten, sondern auch aus
wirtschaftlichen Gründen im ureigenen Interesse der Unternehmen. Die
Wirtschaft kann auf keine qualifizierte Führungskraft verzichten -
gleichgültig ob Mann oder Frau. Die eigentliche Aufgabe lautet daher,
die gesellschaftlichen und betrieblichen Bedingungen so zu gestalten,
dass Führungsaufgaben auch tatsächlich von beiden Geschlechtern
wahrgenommen werden können. Der Gesetzgeber sollte die
Unternehmensführung und die Personalpolitik in der Wirtschaft nicht
überregulieren. Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält
bereits Empfehlungen zur angemessenen Berücksichtigung von Frauen in
Vorständen, Aufsichtsräten und in Führungspositionen des Unternehmens
seit 2010. Der Aufsichtsrat soll sich selbst zudem diesbezüglich
konkrete Ziele setzen und über diese sowie deren Umsetzung berichten.
Diese Empfehlungen sollte man jetzt erst einmal wirken lassen. Das
setzt eine politische Flankierung durch die Familien- und
Bildungspolitik voraus. Bislang ist vor allem das Bildungssystem
nicht darauf ausgelegt, Beruf und Familie besser mit einander zu
koordinieren. Das Gegenteil ist der Fall. Es fehlt an
Kindertagesstätten mit kompatiblen Öffnungszeiten und an
Ganztagsschulen. Ein entsprechendes flächendeckendes
Betreuungsangebot ist eine der Grundvoraussetzungen für mehr Frauen
in Führungspositionen. Hier sind Bund, Länder und Gemeinden
gefordert. Die Unternehmen müssen sich ihrerseits aktiv mit der Frage
auseinandersetzen, was sie tun können, um den Anteil von Frauen in
Führungspositionen zu erhöhen. Werden Frauen ausreichend ermuntert,
an qualifizierenden Maßnahmen teilzunehmen und Führungspositionen zu
übernehmen? Ist die Unternehmenskultur offen für neue (Arbeitszeit-)
Modelle und Denkweisen? Oder lassen sich Engagement für Beruf und
Familie nur schwer vereinbaren? Sind Frauen tatsächlich weniger
interessiert an einem beruflichen Aufstieg? Executive Letter Ausgabe
01 | 2011 03 Die Fragen zeigen bereits, dass es eine einheitliche
Antwort nicht gibt. Es gibt viele Stellschrauben, die je nach
Unternehmen unterschiedlich relevant sind. Einiges lässt sich relativ
kurzfristig ändern, zum Beispiel eine stärkere Beteiligung von Frauen
an Förderungsmaßnahmen. Es gibt aber auch eine Reihe von Faktoren,
die man höchstens mittelfristig ändern kann. So bestehen zum Beispiel
bei den Hochschulabsolventen nach wie vor erhebliche Unterschiede
zwischen den einzelnen Studienfächern. Der Anteil der weiblichen
Absolventen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaften, Technik) ist zwar in den letzten Jahren
gestiegen. Mit circa einem Drittel in allen MINTFächern ist der
Frauenanteil aber immer noch deutlich geringer als der Männeranteil.
Hier sind weitere Anstrengungen nötig um mehr Frauen zu einem
MINT-Studium zu ermuntern. Das gilt besonders für den mit 24 % immer
noch relativ geringen Anteil in den Ingenieurwissenschaften. Die
Sensibilität der Unternehmen für die Frage, wie man den Frauenanteil
in Führungspositionen erhöhen kann, hat bereits deutlich zugenommen.
Und sie wird zwangsläufig weiter zunehmen. Die entscheidenden
Faktoren sind der demografische Wandel und der Fachkräftemangel.
Während der Fachkräftemangel sich in einigen Bereichen schon akut
bemerkbar macht, wird der demografische Wandel erst ab 2015 deutlich
spürbar werden. Wie Unternehmen das bislang längst nicht
ausgeschöpfte Potenzial gut ausgebildeter Frauen dabei verstärkt
nutzen, dürfte zu den vorrangigen Fragen gehören. Umsichtige,
vorausschauende Personalpolitik stellt sich schon jetzt darauf ein.
Denn in nicht allzu ferner Zeit wird es sich auszahlen, einen guten
Ruf zu haben in Sachen Frauenförderung und Unternehmenskultur. Wir
unterstützen es, wenn Unternehmen sich dabei selbst verbindliche
Ziele setzen. Einheitlich vorschreiben oder definieren kann man diese
Ziele nicht, dafür sind die Umstände und die erforderlichen Profile
für Führungspositionen in den einzelnen Unternehmen zu
unterschiedlich. Die Beteiligung von Frauen in höheren
Führungspositionen wird sich schrittweise über die verschiedenen
Ebenen des Aufstiegs vollziehen, sie wird organisch wachsen müssen.
In absehbarer Zeit wird sich das auch in den Vorständen und
Aufsichtsräten niederschlagen. Doch die Wirtschaft kann nicht der
alleinige Adressat dieser sehr vehement vorgetragenen politischen
Forderungen sein. Auch Verwaltung und öffentliche Institutionen
müssen sich dieser Herausforderung konsequent und messbar stellen.
Beispielsweise sind derzeit in den Bundesministerien nur 3 von 25
beamteten Staatssekretären (12 %) bzw. 5 von 27 Parlamentarischen
Staatssekretären (18,5 %) Executive Letter Ausgabe 01 | 2011 04
weiblich. Entsprechendes gilt für Unternehmen der öffentlichen Hand
bzw. mit öffentlicher Beteiligung. Der Frauenanteil in den
Aufsichtsorganen der Unternehmen des Bundes beträgt lediglich 14 %.
Die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen ist daher
eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Auch wer der Meinung
ist, das Drängen der Politik sei nicht angebracht, sollte die Auf
forderung der Kanzlerin im Ohr behalten. Was schrieb sie allen
Unternehmen beim Spitzengespräch zur Initiative »Familienbewusste
Arbeitszeiten« am 8. Februar 2011 zu dem ihrer Ansicht nach
»skandalös« geringen Frauenanteil in Vorständen ins Stammbuc »Seien
Sie kreativ. Je schneller Sie kreativ werden, umso weniger muss der
Gesetzgeber kreativ sein.« Diese Mahnung ist durchaus ernst zu nehmen
und sie ist auch mit einer ganz konkreten Jahreszahl verbunden: 2013.
In diesem Jahr stehen nicht nur viele Auf sichtsratswahlen an,
sondern dann ist auch die nächste Bundestagswahl. Zudem hat ab August
2013 jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres einen
Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Wenn
die Wirtschaft 2013 nicht am statistischen Frauenanteil in
Aufsichtsräten und Vorständen gemessen will, dann muss sie die
Inhalte ernst nehmen. Also: Die Zeit drängt! Prof. Dr.-Ing.
Hans-Peter Keitel
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