PresseKat - Die Marktchancen für Crowdsourcing in Europa

Die Marktchancen für Crowdsourcing in Europa

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Chancen und Probleme von Crowdsourcing in der Wahrnehmung durch die etablierte Wirtschaft.

Frank Puscher, freier Journalist, im Expertengespräch auf der Crowdconvention (15. Juni 2011, Berlin) mit Jasper Masemann, cotent.de; Tommi Koskinen, Audiodraft; Harri Holopainen, Microtask und Nadine Freischlad, Jovoto.

(firmenpresse) - Jasper, Content.de hat 3000 deutsche Texter im Pool. Ist das viel oder wenig?

Jasper Masemann, Content.de: Das ist eigentlich verdammt wenig, wenn man bedenkt, dass es um die Aufgabe des Textens geht. Das kann ja eigentlich jeder, auf unterschiedlichem Qualitätsniveau versteht sich. Der Qualitätsanspruch der Aufgaben auf unserer Plattform ist so breit gefächert, da kann man mindestens das Hundertfache an Autoren haben.


Und warum habt Ihr die nicht? Macht Ihr kein Marketing?

Masemann: Wir machen zwar Marketing aber nur sehr wenig. Vielleicht ist das ein deutscher Weg. Wir wollen langsam wachsen, weil wir glauben, dass Qualität das wichtigste Thema ist. Das nehmen auch unsere Kunden so war. Es ist eben nicht so einfach, gute Autoren zu finden.
Nadine, wenn Du mit Kunden sprichst, fragen die Dich „Was macht Ihr da eigentlich“?

Nadine Freischlad, Jovoto: Ich selbst spreche selten mit den Kunden, aber ich nehme im Unternehmen wahr, dass die Kunden beginnen zu verstehen, was wir tun. Sie haben von Crowdsourcing und Open Innovation gehört und sind experimentierfreudig. Den Unterschied spüren wir vor allem beim Vergleich mit unserem Büro in New York. Während bei uns noch Experimentierphase herrscht, gehört dort Crowdsourcing längst zum Alltag. Was den deutschen Markt anbetrifft, habe ich aber schon das Gefühl, dass das gut angenommen wird.


Dennoch gibt es nur wenige Unternehmen in diesem Bereich. Hat Crowdsourcing in Deutschland ein schlechtes Image?

Freischlad: Wir sind eigentlich gar keine Crowdsourcing-Plattform im engeren Sinne. Eher Community-Sourcing. Wir verteilen keine Aufgaben und warten auf das Ergebnis, sondern ein Projekt auf Jovoto ist ein stetiger Interaktionsprozess. Unsere Crowd ist eben nicht anonym.

Für einige Leute hat Crowdsourcing tatsächlich ein schlechtes Image. Vor allem bei den etablierten Designern, die in Verbänden gut organisiert sind, hat Crowdsourcing einen faden Beigeschmack. Die sagen, dass die Jobs eben von gut ausgebildeten Designern erledigt werden sollten. Die machen schon Stimmung gegen das Grundkonzept.






Das müsste doch für das Thema Audio-Design noch stärker gelten, Tommi. Üblicherweise sind es doch 1:1-Beziehungen zwischen Kunden und Komponist.

Tommi Koskinen, Audiodraft: Und genau das ist das Problem für die Produktionsfirmen. Die Lizenzrechte für Musik sind viel zu teuer. Daher müssen wir keine große Überzeugungsarbeit leisten. AudioDraft bietet den perfekten Weg, die Musik schnell und günstig zu bekommen.


Ihr bedient also eine Marktlücke.

Koskinen: Ja, da ist definitiv eine Lücke. Heute benutzen die Produktionsfirmen meistens noch günstigeres, nicht-exklusives Stock-Material.


Sind die Finnen offener gegenüber derartigen Innovationen?

Harri Holopainen, Microtask: Wir haben ein Jahr gebraucht, um praktisch mit jedem in Finnland zu sprechen, für den unser Konzept interessant sein könnte. Wir haben alle Termine bekommen, die wir wollten und die Idee der verteilten Microtasks wurde wohlwollend begutachtet. Wir mussten überhaupt nicht predigen.

Wenn es aber dann darum ging, konkrete Projekte zu verkaufen, wurden die Dinge schwierig. Gar nicht, weil die Kunden nicht kaufen wollten, sondern vielmehr, weil die internen Prozesse fundamental inkompatibel mit Crowdsourcing sind. In der Praxis wird es erst richtig losgehen, wenn die großen Firmen ihre Prozesse neu definieren. Die letzte Neudefinition ging in Richtung Web-basierte Prozesse und Online-Interfaces. Die nächste Neudefinition wird eine in Richtung Neuverteilung der Arbeit sein.


Ihr werdet nun also zum Beratungsunternehmen?

Holopainen: Wie viele Startups haben wir zuerst den Hammer erfunden und nun suchen wir nach dem passenden Nagel. Das erste Jahr haben wir tatsächlich damit verbracht, herauszufinden, was man mit diesem wunderbaren goldenen Hammer eigentlich machen kann.


Wie viel Zeit verwendet Ihr darauf mit potentiellen Kunden über Sicherheitsthemen und Datenschutz zu sprechen?

Masemann: Datenschutz ist kein großes Thema. Das ist ziemlich überraschend für mich, aber es hat vielleicht damit zu tun, dass das Texten für Websites zum Beispiel ohnehin zu einem öffentlichen Ergebnis führt. In klassischen Prozessen machen das Freelancer für mittelständische Unternehmen. Die Kunden sind es also gewohnt, diese Arbeit auszulagern und mit Partnern zusammenzuarbeiten, die sie gar nicht kennen.


Gibt es keine Neuprojekte, wo der Kunde nicht möchte, dass frühzeitig etwas darüber bekannt wird?

Masemann: Der einzelne Autor erhält nur einen winzigen Bruchteil der Website als Aufgabe und sieht das ganze Projekt ja nicht. Das ist bislang tatsächlich kein Problem.


Was passiert, wenn das Crowdsourcing-Projekt mit internen Ressourcen in Konkurrenz tritt?

Freischlad: Wir positionieren unseren Ansatz als Ergänzung zu internen Prozessen. Wir wollen keine Agenturen ersetzen, sondern nur deren Arbeit ergänzen. Ich glaube nicht, dass wir kannibalisieren. Der Markt für Grafikdesign wächst.


Wenn man das zusammenfasst, bedient Ihr alle vier jeweils eine Marktlücke, keiner wird entlassen und alles geht weiter wie bisher.

Freischlad: Natürlich nicht. Aber die Veränderung ist eine viel größere und wir sind ein Teil davon. Die Demokratisierung des Zugangs zu Produktionswerkzeugen ist eine technische Entwicklung, der sich kaum ein Prozess wird entziehen können. In Zukunft arbeiten mehr Leute von zuhause und nach selbst bestimmten Zeitplänen.


Aus einer Ressourcen-Perspektive zeichnet sich Crowdsourcing dadurch aus, dass es schnell skalieren kann und flexibel ist. Aber brauchen die Unternehmen das überhaupt? Das gilt doch nur für große Firmen.

Harri: Die Skalierbarkeit der Ressourcen ist an unseren Arbeitsmärkten sehr schwierig. Daher gibt es in den meisten Firmen auch keine Ideen dafür und keinen Bedarf. Ohne unsere Plattformen ist der Gedanke ja absurd, dass für die nächsten zehn Minuten 10.000 Menschen weltweit für meine Firma arbeiten könnten.

Die Existenz skalierbarer Produktionskräfte wird ganz neue Angebote hervorbringen. Das gilt auch für CloudComputing oder NetworkStorage. Die Vernetzung und die Technologie reduzieren drastisch die Setup-Kosten. Das wird auch eine neue Experimentierkultur hervorbringen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten einfach zehn Minuten der Arbeitszeit eines Einzelnen kaufen, um damit etwas auszuprobieren.


Betrachten wir kurz die Angebotsseite: Wie reagieren gut ausgebildete Qualitätskräfte auf ein solches Angebot?

Koskinen: In der Szene der AudioDesigner hat AudioDraft einen hohen Bekanntheitsgrad und einen guten Ruf. Ich habe bisher keine Kritik wahrgenommen. Wir versuchen, die Community gut zu behandeln. Beispielsweise haben wir kostenlose Online-Werkzeuge zur Verfügung gestellt, um online zusammen zu arbeiten. Sie können also auch ihre eigenen Musikprojekte crowdsourcen. Erst danach haben wir die kommerziellen Aspekte ins Spiel gebracht.

Und das natürlich international. Derzeit haben wir 20 Prozent Finnen, 25 Prozent Engländer, 25 Prozent Amerikaner und der Rest verteilt sich. Insgesamt sind es 3500 Audio-Designer.


Was muss man tun, damit die Plattformen mehr Zulauf bekommen?

Masemann: Der wichtigste Hebel für uns sind einfache Experimentierphasen. Die Leute wollen das ausprobieren. Sie platzieren ein paar Texte und wollen dann sehen, wie die Plattform funktioniert. Vermutlich wird tatsächlich an der einen oder anderen Stelle im Unternehmen Arbeitskraft eingespart, aber meistens dort, wo das interne Personal ohnehin überqualifiziert ist. Das gilt vor allem für die Idee von Microtasks. Dieses Personal kann sich dann um wichtigere Sachen kümmern.


Was ist mit Werbung?

Koskinen: Wir machen ein bisschen Google-Werbung, wir werben z. B. auf Spieleseiten. Das funktioniert aber nicht besonders.

Holopainen: Ich glaube für viele Szenarien ist das Problem, dass die Leute noch gar nicht so weit sind, nach einer Crowdsourcing-Lösung für ihre Aufgabe zu suchen. Unser Marketing besteht vor allem darin, in den Firmen herumzulaufen und über uns zu erzählen. Eine Arbeit für die finnische Nationalbibliothek hat uns natürlich geholfen. Da haben wir Crowdsourcing spielerisch eingesetzt, um das finnische Kulturerbe zu bewahren. Das hat viel Aufmerksamkeit erzeugt.

Freischlad: Auch wir machen NGO-Projekte und spannende Cases, die den Mehrwert demonstrieren. Dann wird sich das viral verbreiten. Bislang nehmen die Medien ja am liebsten Fälle auf, bei denen Crowdsourcing schlecht lief, wie zum Beispiel den Fall Pril.


Gehen wir dahin, wo es weh tut: Ist das Arbeiten mit Content.de billiger als die traditionelle Arbeitsweise zum Beispiel mit einem PR-Büro?

Masemann: Es kann günstiger sein. Da hat sich bereits ein recht stabiles Preisniveau eingependelt. Die Plattformen unterscheiden sich da gar nicht viel voneinander. Es gibt gute Autoren, die mehr verlangen. Wir wollen eine Art Mindestlohn installieren, um Autoren auf unsere Plattform zu bekommen.

Koskinen: Ja, wir haben auch einen Mindestpreis. Wir unterscheiden zwischen exklusiven und nicht-exklusiven Lizenzrechten. Die exklusiven Rechte beginnen bei 500 Dollar. Darüber kann man seinen Preis selbst setzen. Unsere Empfehlungen, die wir aussprechen, haben wir übrigens vom Freiberuflermarkt.


Harri, euer Konzept ist viel kleiner. Habt Ihr auch Mindestlöhne?

Holopainen: Der Mindestlohn wäre wohl null Euro. Bei der Nationalbibliothek war die Bezahlung der gute Wille und das Schöne daran ist: den guten Willen kann man in zwei Milliarden Stückchen zerschneiden. Unser Ziel ist die Arbeit dorthin zu bringen, wo die Leute sind. Ich weiß, das ist eine Schlangengrube, wenn wir über Steuern und Sozialabgaben sprechen. Aber wir haben für uns herausgefunden, dass man das auch nicht verkomplizieren muss. Durchschnittlich spielen die Leute unsere Crowdsourcing-Spiele sieben Minuten lang. Da verliert doch keiner etwas.


Dennoch erwarten Sie, dass es gewerkschaftsähnliche Organisationen im digitalen Raum geben wird?

Holopainen: Das ist unvermeidlich. Das wird seinen Ursprung nehmen in Foren, wo sich Leute austauschen, die viel für derartige Plattformen arbeiten. Wenn eine Million Leute Clickworking machen, ist es doch klar, dass sich viele davon auch auf anderen Plattformen und mit anderen Zielen vernetzen. Wir werden sehen, was dann passiert.


Werden Regierungen auf die Plattformen zugehen und Sozialabgaben verlangen?

Freischlad: Noch wissen wir das nicht. Aber ich glaube auch, dass das eher aus Richtung der Verbände kommt, wie der Künstlersozialkasse.

Tommi: Die Diskussion wird natürlich kommen, aber sie ist noch nicht da.


Wo wird Crowdsourcing in zwei Jahren in Deutschland stehen?

Masemann: Das wird exponentiell wachsen. Der Kostenfaktor wird es antreiben. Das wird jeder irgendwie ausprobieren.




Kurzinformationen zu den Gesprächsteilnehmern:

Nadine Freischlad, Community Managerin bei Jovoto.de, einer deutschen Plattform für Design-Crowdsourcing.

Jasper Masemann sitzt im Aufsichtsrat von Content.de, einer Plattform, die unterschiedlichste Textaufträge via Crowdsourcing abwickelt.

Harri Holopainen ist einer der Gründer von Microtask in Finnland. Ziel von Microtask ist es, Projekte in winzigste Häppchen zu zerlegen, so dass sie beispielsweise mit dem Smartphone unterwegs zu bearbeiten sind.

Tommi Koskinen ist der Chief Community Officer von Audiodraft. Das Projekt vermittelt Komponisten und Musiker an Unternehmen und schreibt Wettbewerbe zur Erzeugung von Soundlogos und ähnlichem aus.

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Unternehmensinformation / Kurzprofil:

Die Crowdconvention 2011 war das erste europäische Crowdsourcing-Branchentreffen.

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Datum: 22.06.2011 - 14:56 Uhr
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Ansprechpartner: Ines Maione
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Kategorie:

Business Intelligence


Meldungsart: Interview
Versandart: Veröffentlichung
Freigabedatum: 22.06.2011

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