Die Lage in Japan: weiter dramatisch
Berlin, 12. Juli 2011. Am 11. März 2011 zerstörten ein Beben und ein gewaltiger Tsunami die Küstenregion im Nordosten Japans. Vor kurzem verschaffte sich Reinhard Scheumann, Leiter für den Bereich Internationale Projekte bei Geschenke der Hoffnung e.V., einen Überblick über die Hilfsmaßnahmen der Organisation und die Lage im Katastrophengebiet. Wir sprachen mit ihm nach seiner Rückkehr.
(firmenpresse) - Herr Scheumann, was hat Sie bei Ihrem Besuch in Japan am meisten bewegt?
Ich bin seit über 25 Jahren in der Katastrophenhilfe tätig, war in Krisengebieten in Afrika und Osteuropa und habe nach Naturkatastrophen in Asien geholfen. Aber so einen schweren Grad der Zerstörung der Infrastruktur wie in Japan habe ich noch nie gesehen. Über hunderte Kilometer Küstenlänge hinweg ist sie kaum noch nutzbar. Das hat mich am meisten bewegt und auch geschockt. Gleichzeitig gibt es noch fast jeden Tag Nachbeben – auch wenn die Menschen versuchen, sich an sie zu gewöhnen, sind sie doch zutiefst verängstigt und verunsichert. Schon kleinere Nachbeben oder Stürme und Regenfälle erinnern an das große Beben und den Tsunami. Die Menschen haben Angst, weiter in ihren Häusern in der Nähe des Meeres zu wohnen, aber bis jetzt gibt es für sie keine andere Möglichkeit.
Wie erging es Ihnen bei den Nachbeben?
Ich versuchte, mich von ihnen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, aber es gelang mir nicht. Zugegeben, die meisten Nachbeben, die ich erlebte, waren verhältnismäßig schwach, meist in der Stärke zwischen 5 und 6. Auch sind Experten der Ansicht, dass nach einem Superbeben der Stärke 9.0 die Erde weiträumig zumindest in den nächsten 10 bis 15 Jahren kein großes Erdbeben mehr erfahren wird. Aber was heißt schon schwach und was sind schon Expertenmeinungen, wenn das Haus wackelt, die Türrahmen sich hin- und herbewegen und die Fensterscheiben klirren? Das Beben vom 11. März hatte nicht nur viele direkte verheerende Folgen, sondern pflanzt sich latent in vielen kleineren und manchen größeren Erdbeben fort – und erst recht in den Köpfen vieler Einheimischer, die die Furcht vor weiteren Beben nicht zur Ruhe kommen lässt.
Japan ist eine hochentwickelte Industrienation. Was bedeutet die Katastrophe für das Land?
Ohne Frage – jedes Land, auch wir, wären schwer getroffen, wenn diese unheimliche Naturgewalt in einer Küstenregion bis zehn Kilometer ins Landesinnere hinein einfach alles zerstören würde. Doch eine hochindustrialisierte und vernetzte Gesellschaft, wie Japan sie ist, wird durch so ein Ereignis noch viel stärker zerstört: Die Strom- und Wasserversorgung, die Müllabfuhr, alle zusammenhängenden Systeme sind plötzlich außer Kraft gesetzt.
Wie geht es den Opfern heute?
Die Menschen sind verständlicherweise noch immer sehr betroffen. Die meisten haben Angehörige, Freunde oder Bekannte verloren, häufig auch ihr gesamtes Hab und Gut – und sie hatten oft keine oder nur eine unzureichende Versicherung. Diese enormen Verluste führen zu Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit – und die konnte ich gerade in den Notunterkünften stark spüren.
Dabei wirken die Japaner nach außen hin stark – zumindest lassen das die meisten Bilder vermuten.
Das stimmt. Aber gerade Fremden gegenüber werden Gefühle zurückgehalten – und umso schwerer war es für mich, Ratschläge zu geben und zu trösten: Es sind ja doch nur Worte inmitten großen Leids. Bei unserer Arbeit in Ishinomaki beispielsweise habe ich Youko Yamada kennengelernt. Die 43-Jährige arbeitet dort in der Betreuung einer Notunterkunft mit. Einige ihrer Bekannten kamen durch den Tsunami um. Außerdem ist ihr Haus nicht mehr nutzbar, weil das Wasser bis zum zweiten Stockwerk stand. Aus finanziellen Gründen hatte sie aber keine Versicherung dafür abschließen können. Sie hat mir gesagt, dass sie derzeit nicht an die Zukunft denken kann, sie will nur beschäftigt sein, um sich abzulenken. Und so geht es vielen. Deshalb ist auch die Befürchtung groß, dass die Selbstmordrate ansteigt: Die Menschen haben einfach keine Hoffnung mehr für die Zukunft.
Ist in so einer Situation Glaube nicht von essentieller Bedeutung?
Ja und deshalb freuen wir uns sehr, dass wir in Japan bei unserer Not- und Wiederaufbauhilfe mit einheimische Christen zusammenarbeiten. Wir ermutigen sie, nicht nur materielle Hilfe zu bringen, sondern auch Hoffnung zu vermitteln und von Jesus zu erzählen – denn das ist gerade jetzt sehr wichtig.
Können Sie die Situation in den Notunterkünften beschreiben?
Noch immer leben ca. 110.000 Menschen in Notunterkünften, hauptsächlich Schulen – unter schwierigsten Bedingungen: Durch die Abschaltung einiger Atomkraftwerke ist Strom stark rationiert. Dazu ist es im Sommer mit bis zu 40 Grad stickig und schwülheiß. Außerdem gibt es keine auf so viele Menschen ausgerichtete Wasserversorgung, so dass sie teilweise nur einmal in rund zehn Tagen duschen können. Die Lage ist wirklich nervenaufreibend, eine große Belastung – und etwas, an was ich denke und wofür ich bete.
Das Beeindruckende ist – schaut man sich Bilder aus den Notunterkünften an – wie ordentlich und zivilisiert die Menschen dort miteinander leben.
Es liegt in der japanischen Tradition, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Im Winter tragen die Menschen nicht mehrheitlich weiße Masken, um sich vor Ansteckung zu schützen, sondern um andere nicht anzustecken. Und wenn es in der Metro eng ist, rückt man eben enger zusammen. Man respektiert sich gegenseitig – und das ist für das Zusammenleben in den Notunterkünften von großer Bedeutung.
Wie geht es nun im Katastrophengebiet weiter?
Den Schutt wegzuräumen, der in den wenigen Minuten des Bebens und des Tsunamis zusammengekommen ist, wird Jahre dauern. Jemand hat errechnet, dass an diesem einen Tag der Abfall von 26 Jahren produziert wurde. Alles wieder aufzubauen, wird natürlich noch viel länger dauern, davon abgesehen, dass zu überlegen ist, ob man in unmittelbarer Küstennähe überhaupt wieder bauen sollte. Viele Häuser müssen abgerissen werden, da sie überschwemmt wurden und durch den beginnenden Schimmelbefall die Gesundheit der Bewohner gefährden würden. Das Wichtigste ist deshalb, noch nutzbare Häuser wieder herzurichten. Zwar bekommen die Eigentümer von der japanischen Regierung einen kleinen Beitrag, der reicht aber bei weitem nicht, um ein neues Haus zu bauen.
Wie hilft Geschenke der Hoffnung?
Durch die Verteilung von Hilfsgütern haben wir in Kooperation mit der internationalen Hilfsorganisation Samaritan’s Purse in den ersten Wochen rund 50.000 Menschen versorgt. So haben wir 40.000 Hygienesets verteilt, 8.000 Küchensets und je 15.000 Decken und Wasserkanister. Ich habe immer wieder von Menschen gehört, wie dankbar sie für die Hilfe waren. Ganz besonders wertvoll waren unsere Hygienesets. Bei den zehn am meisten gebrauchten Dinge nach der Katastrophe in Japan standen sie an erster Stelle: Sie beinhalteten solch Banales wie Toilettenpapier, Shampoo, Seife, Binden usw.
Wie sieht Ihre zukünftige Hilfe aus?
Es ist absolut notwendig, die Spendengelder, die wir bekommen haben, sinnvoll einzusetzen. Wir investieren nicht nur in die Bereitstellung von Hilfsgütern, sondern unterstützen damit auch die Arbeit von Freiwilligen im Wiederaufbau. Denn auch wenn es vor meiner Reise schon klar war, ist es jetzt noch offensichtlicher geworden: Wir weiten unsere Arbeit aus und beteiligen uns nach der unmittelbaren Katastrophenhilfe auch am Wiederaufbau.
Bereitet sich Geschenke der Hoffnung auf weitere Katastrophen dieses Ausmaßes vor?
Gemeinsam mit unserem langjährigen Partner Samaritan’s Purse wappnen wir uns für den Katastrophenfall. Um Hilfsgüter zeitgerecht in ein Katastrophengebiet zu bringen, ist es notwendig, sie vorab zu lagern. Von Lebensmitteln sehen wir dabei ab, da diese ein Verfallsdatum haben, ihre Einfuhr zollrechtlich schwierig ist und sie oft auch von Regierungen und UN-Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Aus langjähriger Erfahrung wissen wir aber, dass Menschen daneben auch stets sehr schnell Zelte, Decken, Wasserkanister sowie Hygiene- und Küchensets benötigen. Deshalb brauchen wir dringend Menschen, deren Spende es schon jetzt möglich macht, vorbereitet zu sein – denn leider müssen wir damit rechnen, dass es irgendwo auf der Welt wieder eine Katastrophe geben wird.
Ob mit „Weihnachten im Schuhkarton“, unserem Baby-Not-Projekt, „Dreh den Hahn auf“ oder anderen Hilfsprojekten: Als international tätige, christliche Hilfsorganisation unterstützen wir bedürftige Menschen ganz praktisch und auf vielfältige Weise in derzeit 16 Ländern. Dabei bieten wir auch an, von unserer Motivation zu erzählen: Jesus Christus. Schwerpunkte unserer Arbeit sind die humanitäre Hilfe sowie die Unterstützung von Kindern und Familien im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Unser größter Partner ist die internationale Hilfsorganisation Samaritan's Purse, mit der wir – neben „Weihnachten im Schuhkarton“ – vor allem auch in Katastrophenfällen zusammenarbeiten. Die Unterstützung wird ungeachtet des religiösen, sozialen oder kulturellen Hintergrundes gewährt.
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Anja Wetzel
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