(ots) - Für den 17. September planen amerikanische
Protestgruppen, vorwiegend junge Menschen, in der Wall Street eine
lautstarke Demonstration gegen den Finanzmarktkapitalismus. Spanische
Aktivisten, Studenten die meisten, applaudieren und kündigen
Solidaritätsveranstaltungen in ihrem Land an, dort, wo sie gestern
den Papstbesuch zum Anlass nahmen, um gegen die aus ihrer Sicht
Verschwendung von Steuergeldern für den Heiligen Vater zu
protestieren.
Was haben die Proteste in den USA mit denen in Spanien gemein? Und
gibt es eine Verbindung zum arabischen Frühling? Ist ein Vergleich
mit dem Aufruhr und den damit verbundenen Plünderungen in England
erlaubt oder nicht? Man sollte schon noch vorsichtig sein, aus allem
eine globale Bewegung zu konstruieren. Aber das Internet hat auch
hier die Welt verändert. Jene unzufriedenen bis empörten
Jugendlichen, viele Akademiker aus der Mittelschicht unter ihnen,
sind auf den einschlägigen Plattformen vernetzt, wenngleich es
vielleicht doch verfrüht ist, von einer Internationale des Protests
zu sprechen.
Woraus speist sich die Empörung? In England kürzt Premier Cameron
in großem Ausmaß soziale Leistungen, in den Städten werden
Jugendclubs und Schwimmbäder geschlossen. Der Grund: Großbritannien
will sein AAA-Rating für Kredite erhalten. Die Finanzkrise, die eine
Schuldenkrise ist, zwingt zum Sparen, keineswegs nur England und
Griechenland, sondern im Prinzip überall. In vielen Ländern haben
sich in den vergangenen Jahren die Berufschancen gerade der Jungen
erheblich verschlechtert. Das vielbeschworene Versprechen, Bildung
gegen Wohlstand, ist brüchig geworden. Man kann schon verstehen, wenn
es die spanische Jugend nicht schweigend hinnimmt, dass jeder zweite
von ihnen keine Arbeit hat und nicht einmal eine Aussicht darauf.
Kein Land kann es hinnehmen, wenn, wie in England, Plünderungen
von Flachbildschirmen damit begründet werden, auf diese Weise hole
man sich seine Steuern zurück. Aber kaum bestreitbar ist eben auch,
dass der Abstand zwischen arm (700 Euro) und reich (mindestens 7000
Euro) laut OECD gewachsen ist. Dass der Staat mit Hilfe von
Steuergeldern den Mit-Verursachern der Schuldenkrise, den Banken, aus
der Patsche hilft. Und die Frage: Regieren die Finanzmärkte oder
regiert die Politik, ist heute längst nicht mehr eindeutig zu
beantworten. Also steht in vielen Ländern der "Staatsvertrag"
zwischen Bürgern und Politik zur Debatte und auf bemerkenswert
breiter Front kehrt die Frage sozialer Gerechtigkeit zurück auf die
Agenda. Dieser Unmut ist beileibe kein linkes Phänomen.
Dass hier etwas Ungutes in Bewegung geraten ist, registrieren
nicht nur Studenten. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher fragte, ob
nicht am Ende doch die Linke recht gehabt habe, weil der Staat allzu
sehr einer bestimmten Gruppe diene, den Reichen nämlich. Passend dazu
wies der US-Milliardär Warren Buffet auf die Ungerechtigkeit seiner
persönlichen, viel zu geringen Steuerlast hin. Zu den am heißesten
diskutierten Themen in den Protestforen im Internet gehört ein
gerechteres Steuersystem bis hin zur Forderung, den Mindest- durch
einen Maximallohn zu ergänzen. Fazit: Es ist noch zu früh zu
beurteilen, ob da ein neues 1968 heraufzieht. Aber zu den Folgen der
Finanzkrise gehört, dass die Ruhe dahin ist. Der Gesellschaftsvertrag
zwischen Regierenden und Regierten muss neu austariert werden.
Regierungen, die an diesem Thema scheitern, werden reihenweise
abgewählt werden. Dabei steht ganz sicher fest: In einer
demokratischen Gesellschaft ist Klassenkampf ebenso die falsche
Antwort wie Gewalt.
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