(ots) - Genauer hinsehen
Wer Propaganda für ein Gespenst der Vergangenheit hält oder für
ein Machtmittel repressiver Regime, dem erteilte der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte jetzt eine schmerzhafte Lektion. Denn
über Jahre war für viele Beobachter klar, dass Wladimir Putin der
Böse und Michail Chodorkowski der Gute war. An dieser
Rollenverteilung zu zweifeln wurde mit dem Vorwurf der Naivität
quittiert, so klar schien zu sein, dass staatliches russisches
Handeln nur auf Unterdrückung politischer Gegner hinauslaufen kann.
Wer dieser Argumentation vorbehaltlos folgte, wurde derweil ein
Opfer von Propaganda, aber einer, die sich gegen die russische
Regierung richtete und nicht etwa von ihr, sondern einer Lobby der
Oppositionellen und Menschenrechtsaktivisten betrieben worden war.
Dass ein Unternehmer, der in Russland binnen kurzer Zeit zum
Multimilliardär wurde, steuerlich vielleicht nicht alles so genau
genommen hat, diese Lesart kam Kritikern nicht in den Sinn. Zumindest
im Fall Chodorkowski sind sie nun blamiert. Zwar war das russische
Vorgehen gegen den Oligarchen hart, aber eben in fast allen Teilen
zulässig.
Freilich darf das Urteil nicht Anlass sein zu meinen, es gäbe in
Russland grundsätzlich weder politische Verfolgung noch juristische
Willkür. Natürlich gibt es die. Und sicherlich gibt es weitaus
härtere Schicksale als Chodorkowskis. Umso ärgerlicher, dass sein
Fall zu einem solchen Symbol überhöht wurde, das nun in sich
zusammenfällt.
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