(ots) - Seit 125 Jahren hält sie den Einwanderern dieser
Welt vor den Toren New Yorks ihre imposante Fackel entgegen. Aber nie
war das Leuchtzeichen der Hoffnung von "Miss Liberty" so
heruntergedimmt wie heute. Der amerikanische Traum, der auf
persönlicher Autonomie, politischer Freiheit und der verbrieften
Chance zu Aufstieg und Glück für jeden gründet, hat sich für viele
Amerikaner als Fiktion aus einem schlechten Hochglanz-Prospekt
erwiesen. Während die oberen Zehntausend obszöne Reichtümer
aufhäufen, sind im Kellergeschoss der Gesellschaft Millionen auf
Essensmarken, Suppenküchen und ärztliche Minimalversorgung für lau
angewiesen. Wall Street und Main Street, die teilweise
staatszersetzend vor sich hin zockende Finanzwelt und der nach Luft
schnappende Durchschnitts-Amerikaner begegnen sich zusehends
feindseliger. Ob der soziale Sprengstoff, der politischen wie
religiösen Fundamentalisten in die Hände spielt und die Verachtung
des Staates und seiner Institutionen voranschreiten lässt, dauerhaft
entschärft werden kann, ist noch die Frage. Der Tellerwäscher rückt
dem Millionär - siehe Protestbewegung - immer näher auf die Pelle.
Zumal der Niedergang der nach den Kriegen im Irak und in Afghanistan
ausgelaugten Supermacht immer drastischer zutage tritt. Straßen,
Brücken, Bahnschienen verfallen. Manche Bundesstaaten und Städte sind
zahlungsunfähiger als Griechenland. Das unterfinanzierte
Bildungssystem, das in der privatisierten Spitze Top-Begabungen
ermöglicht, produziert in der Breite Globalisierungsverlierer. Die
Arbeitslosigkeit nistet sich auf Rekordhöhe ein. Staatlich
unterstützte Energiesparmaßnahmen, die der Erderwärmung Einhalt
gebieten und Ressourcen schonen, gelten als Teufelszeug. Im Gegenzug
liegt das öffentliche Leben schnell brach, wenn Mutter Natur einmal
allzu launisch wird. Trotzdem beschwören Politiker aller Lager bei
jeder Gelegenheit noch immer pathetisch die Größe Amerikas herauf.
Ein Selbstbetrug, der lange funktioniert hat, weil für Pessimismus in
einer per Gründungsakte optimistischen Nation kein Platz sein durfte.
Das Modell funktioniert nicht mehr.
Fazit: Die Freiheitsstatue wird 125 Jahre alt. Die Mehrheit der
Amerikaner glaubt heute aber nicht mehr daran, dass es die nächste
Generation einmal besser haben wird, wenn sie nur strebsam und mutig
nach ihrem Glück sucht. Die Erosion dieses Traums ist ein Verlust an
Freiheit, der Amerika in seinem Innersten bedroht.
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion(at)waz.de