(ots) - Der Antritt technokratischer Regierungen
in Griechenland und Italien hat die Staatsanleihenmärkte in der EWU
(Europäische Währungsunion) bislang noch nicht beruhigen können. Die
Risikoaufschläge sowie die Spreads zwischen AAA-gerateten
niederländischen und finnischen Papieren zu Bundesanleihen steigen
weiter. Auf der EWU lasten nach wie vor Liquiditätsprobleme, die
zuallererst bewältigt werden müssen.
Risikozuschläge steigen weiter
Die Eurokrise bestimmt Märkte und Politik. Die Bevölkerung
reagiert zunehmend mit Überdruss, Unverständnis und Verwirrung. In
einigen Segmenten des Finanzmarktes scheint sich ein falsches Gefühl
der Sicherheit auszubreiten, da Aktien- und Rohstoffmärkte die
Risiken aus der anhaltenden Eurokrise nicht so rasch einpreisen wie
die Anleihemärkte. Die Staatsanleihenmärkte der Eurozone erreichten
dagegen neue Extreme: Auf zehnjährige italienische Staatsanleihen
zahlen Anleger jetzt ca. 7% Zinsen und die Spreads für Spanien (530
Bp.), Belgien (455 Bp.) und Frankreich (190 Bp. - höchster Stand seit
21 Jahren) gegenüber Bundesanleihen kletterten auf ein neues Hoch.
Das bedeutet, dass der Markt die Ausfallwahrscheinlichkeit dieser
Länder höher einschätzt, als ihre Ratings vermuten lassen.
Das heißt aber nicht, dass die Ratingagenturen geschlafen haben,
sondern spiegelt ein irrationales Marktverhalten wider, das
weitgehend vom Herdentrieb der institutionellen Investoren ausgelöst
wird. Derzeit bestimmen weniger die Fundamentalanalyse der
Wachstumsaussichten und Solvenz der jeweiligen Länder die
Anlageentscheidungen, sondern das Bemühen um Absicherung gegen
Kursrückgänge sowie die Steuerung des Reputationsrisikos.
Der Markt schafft hier seine eigenen Realitäten: Die selbst
auferlegte Liquiditätsverknappung könnte spekulativen Angriffen den
Weg bahnen. Zu betonen ist jedoch, dass diese Entwicklung recht
unkoordiniert verläuft und jedenfalls nicht von zentraler Hand durch
einzelne Spekulanten gesteuert wird.
Angesichts des "Run" auf Staatsanleihen jener EWU-Staaten, die als
Wackelkandidaten gelten, schwindet die Bedeutung von Fundamentaldaten
für den Markt. Tatsächlich scheinen die Fundamentaldaten vom Markt
abzuhängen und nicht umgekehrt.
Negativspirale dreht sich weiter
Deshalb konnten die neuen technokratischen Regierungen in
Griechenland und Italien der Schuldenkrise bisher keinen Einhalt
gebieten. Zudem deuten die schwachen BIP-Zahlen der Eurozone in Q3
darauf hin, dass sich die Negativspirale aus Schuldenproblemen,
getrübter Stimmung, verschärfter Kreditvergabe, öffentlichem
Sparkurs, rückläufigem Wachstum und weiterem Schuldenstress immer
schneller dreht.
Genau darin besteht die akuteste Gefahr eines Run auf
Staatsanleihen: der Kombination von höheren Kosten für die
Privatwirtschaft mit einer erheblichen Verschärfung der
Kreditvergabekriterien. Die kurzzeitigen Folgen für die staatlichen
Finanzierungskosten sind dabei eher zweitrangig. Zusammen mit den
negativen Auswirkungen auf die Marktstimmung könnte das reichen, um
das Wachstum wieder in den negativen Bereich zu drehen. Das würde die
Finanzlage der betroffenen Länder noch weiter belasten; drastischere
Sparmaßnahmen wären die Folge. Aber auch ein strikter Sparkurs ist
schließlich kontraproduktiv, da Wachstum und Steuereinnahmen weiter
gedrosselt werden.
Glaubwürdiger Lender of Last Resort dringend gefragt
Derzeit ist die Stabilisierung des "Patienten" Europa am
dringendsten geboten. Das bedeutet, dass zuerst die
Liquiditätsprobleme bewältigt und zeitgleich stringente Maßnahmen zur
Solvenzsicherung umgesetzt werden müssen. Insofern ist die Schaffung
einer Liquiditätsreserve für Banken und fiskalpolitische Instanzen
der Eurozone geboten. Ohne ein solches Instrument wären Banken und
Regierungen in der EWU dem Risiko spekulativer Attacken auf den
Finanzierungsmärkten ausgesetzt. Diese Reserve sollte jedoch nur zur
Bewältigung von Liquiditätsklemmen und nicht zur Lösung von
Solvenzproblemen eingesetzt werden, denn das käme der Finanzierung
staatlicher Defizite durch geldpolitische Instrumente gleich.
Länder wie Spanien und Italien sowie das leistungsfähigere Segment
des europäischen Bankensektors sehen sich weniger einem
Solvenzproblem als vielmehr einem Liquiditätsproblem gegenüber. Ein
vollwertiger Lender of Last Resort (LOLR) für Regierungen und Banken
würde sicherlich einen Beitrag zur Lösung der anhaltenden Eurokrise
leisten. Bislang erfüllt die EZB über ihr Securities Markets Program
(SMP) und die Bereitstellung unbegrenzter Liquidität für Banken eine
Überbrückungsfunktion. Doch die vorübergehende Natur dieser
Programme, die von der EZB öffentlich angemeldeten Bedenken und der
massive Widerstand vonseiten Deutschlands beeinträchtigen ihre
Wirksamkeit in der Praxis. Die zentrale Funktion eines LOLR besteht
darin, sich selbst erfüllende Prophezeiungen zu verhindern. Sofern
die EZB sich mit der gebotenen Entschlossenheit zur Ãœbernahme der
Funktion einer letzten Instanz verpflichtet, könnte die Zentralbank
ihre Anleihekäufe zurückfahren und Verluste weitgehend vermeiden.
Die genaue Ausgestaltung eines LOLR, ob als eigenständige Stelle
oder im Rahmen einer neu strukturierten EFSF, sowie die
Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die EZB diese Rolle
übernimmt, wären zu diskutieren. Hier geht es vor allem darum, einen
EWU-weiten Lenkungsmechanismus zu schaffen, der Moral-Hazard-Effekte
aufseiten von Regierungen und Finanzinstituten wirksam unterbindet.
Wir bleiben bei unserer vorsichtigen Haltung
Doch bis die EZB diese Rolle übernehmen kann, wird die
Ansteckungsgefahr weiter steigen und die Krise anhalten. Die Krise
ist noch lange nicht überwunden und wir bleiben bei unserer
vorsichtigen Haltung gegenüber Spread-Produkten und Staatsanleihen
von der Euro-Peripherie. Ãœber kurz oder lang wird der "Leidensdruck"
sicherlich so hoch, dass die EZB sich nicht mehr gegen die Rolle als
LOLR sträuben kann. Dann wird wahrscheinlich auch unser Risikoappetit
steigen. Das richtige Timing ist zurzeit die größte Herausforderung
für Investoren.
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