Die „graubehaarte Zistrose“ steht im Ruf, vor Erkältungen und Entzündungen im Mund- und Rachenraum zu schützen. Neuerdings droht sie auch dazu geeignet zu sein, Herstellern und Vertreibern von Medizinprodukten graue Haare wachsen zu lassen.
(firmenpresse) - Denn das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat mit Beschluss vom 15.03.2010 in einem Zistrosenextrakt betreffenden Verfahren die Beweislast dafür, dass es sich bei einem Präparat um ein Medizinprodukt und nicht um ein Arzneimittel handelt, faktisch den Herstellern zugeschoben.
Gegenstand des Verfahrens waren Tabletten und eine Gurgellösung, die im Wesentlichen aus einem Extrakt der graubehaarten Zistrose bestehen und die nach den Angaben des Herstellers der Vorbeugung sowie der begleitenden Behandlung von Erkältungskrankheiten, Viruserkrankungen und bakteriellen Infektionen der oberen Atemwege dienen sollten. Dass diese Produkte nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinprodukte einzustufen seien, begründete der Hersteller damit, dass ihre Wirkung nicht auf pharmakologischem, sondern auf rein physikalischem Wege erzielt würde, indem die Viruszellen mit einer Art Seifenschicht oder Seifenblase umgeben und damit an einem Andocken an den menschlichen Zellen gehindert würden.
Das BfArM stufte diese Produkte dagegen als Arzneimittel ein und wurde darin in erster Instanz vom Verwaltungsgericht (VG) Köln bestätigt. Den gegen diese Entscheidung gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies nunmehr das OVG Münster zurück. Wie schon bei der erstinstanzlichen Entscheidung ist dabei nicht so sehr das Ergebnis – nämlich die Einstufung als Arzneimittel –, sondern vor allem die Begründung der Entscheidung bemerkenswert: denn das VG ging letztlich nicht weiter der Frage nach, ob die Produkte pharmakologisch oder physikalisch wirken. Es begnügte sich vielmehr mit der Feststellung, dass es sich um Präsentationsarzneimittel handele, so dass die nunmehr in § 2 Abs. 3 a AMG kodifizierte Zweifelsregelung zu einer Einstufung als Arzneimittel führe. Das OVG segnete dieses Vorgehen des VG Köln ab. Zwar finde die Zweifelsregelung auf Produkte, die aufgrund ihrer Wirkungsweise eindeutig dem Medizinprodukterecht zuzuordnen sind, keine Anwendung. Die Zweifelsregelung greife jedoch dann ein – mit der Folge, dass es sich um ein Arzneimittel handelt – wenn die vom Hersteller angenommene Hauptwirkung aus wissenschaftlicher Sicht nicht hinreichend gesichert sei, vorrangige arzneiliche Wirkungen aber auch nicht ausgeschlossen seien. In diesem Fall reiche es für die Einstufung als Arzneimittel aus, wenn das Präparat unter die Definition des Präsentationsarzneimittels fällt.
Da Medizinprodukte typischerweise unter den Präsentationsarzneimittelbegriff fallen werden, wenn es sich um stofflich wirkende Präparate und nicht um Geräte handelt, stellt das OVG Münster damit die Beweislast bei der Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten auf den Kopf: Dem Hersteller eines Medizinproduktes wird es nach dieser Logik nur noch dann gelingen, aus dieser „Zweifels-Falle“ auszubrechen, wenn er eindeutig nachweisen kann, dass sein Produkt nicht pharmakologisch wirkt. Ein solcher Nachweis wird allerdings oftmals nur schwierig zu führen sein. Eine solche Interpretation der Zweifelsfallsregelung des § 2 Abs. 3 a AMG, die lediglich die europarechtlichen Vorgaben kodifizieren soll, widerspricht jedoch eklatant dem bisherigen Verständnis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom europarechtlichen Vorbild dieser Zweifelsfallsregelung im Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel. Demnach muss nämlich die pharmakologische Wirkung eines Produktes feststehen, um es dem Arzneimittelrecht zu unterwerfen. Zweifelsfälle gehen also zu Lasten der Behörde und nicht zu Lasten des Herstellers.
Diese aus Luxemburg und Leipzig vorgegebene Beweislastverteilung ausgerechnet bei Medizinprodukten, deren Zweckbestimmung eben typischerweise denjenigen von Arzneimitteln entspricht, in ihr Gegenteil zu verkehren, ist ein starkes Stück, dass nur noch dadurch getoppt wird, dass das OVG Münster mit der Nichtzulassung der Berufung eine Revision beim BVerwG verhinderte und auch eine Vorlage an den EuGH nicht für erforderlich hielt. So bleibt nur zu hoffen, dass diese Entscheidung aus Münster kein Menetekel für zukünftige Abgrenzungsfälle von Arzneimitteln und Medizinprodukten bleibt, sondern bei nächster Gelegenheit die gebotene höchstrichterliche Klärung herbeigeführt wird. Bis dahin ist allerdings erhöhte Vorsicht bei Borderline-Produkten im Medizinproduktebereich geboten.
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