(ots) - Strategie fehlt
Welcher junge Mensch weiß heute, dass der Industrielle und 1922
von Rechtsextremisten ermordete deutsche Außenminister Walter
Rathenau Jude war? Rathenau war einer der angesehensten Politiker der
Weimarer Republik, und er war ein deutscher Patriot. Jude und
deutscher Patriot, liest sich das seltsam? Für viele Menschen in
diesem Lande tut es das.
Wie wenig die deutsche Gesellschaft bis heute die Juden als die
Ihren begreift, als Teil von sich, belegt der gestern vorgestellte
Antisemitismus-Bericht. Juden haben Deutschland stets mitgestaltet
und bereichert, lange bevor es einen deutschen Nationalstaat
überhaupt gab. Dennoch passen die Attribute jüdisch und deutsch nach
dem Empfinden eines Teils der deutschen Gesellschaft offenbar nicht
zusammen. Immer noch schlummert bei uns ein völkisches, von der
Vorstellung rassischer Unterschiede geprägtes Verständnis von Nation.
Regelmäßig, etwa in antisemitischen Gesängen von Fußballfans, bricht
es hervor.
Seit Jahrzehnten versuchen engagierte Menschen in der
Bundesrepublik der Judenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Dennoch
gedeiht sie in unserer Gesellschaft weiter. Deutschland fehlt eine
wirksame Gesamtstrategie gegen Antisemitismus. Wie sehr wir eine
solche brauchen, zeigt auch die Tatsache, dass rechtsterroristische
Mörder über Jahre ihr Unwesen treiben konnten.
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