... und der Weg in eine soziale zukunftsfähige Gesellschaft
Brain-Food aus Indien, hörbare Stille und kraftvolle Lebendigkeit
30 Jahre Bildung – 30 Jahre Perspektive Leben und der Weg in eine soziale zukunftsfähige Gesellschaft
Wald-Michelbach – Ende Juni feierte das Odenwald-Institut sein 30-jähriges Bestehen mit Fachreferenten zu den Themen Bildung, gesellschaftliche Entwicklung und Lernen. Eine Schlussfolgerung aus dieser Veranstaltung ist die Aktualität der Fragen, aus denen sich vor rund 30 Jahren die Bildungspolitik in Deutschland entwickelt hat.
(firmenpresse) - Wald-Michelbach – Ende Juni feierte das Odenwald-Institut sein 30-jähriges Bestehen mit Fachreferenten zu den Themen Bildung, gesellschaftliche Entwicklung und Lernen. Eine Schlussfolgerung aus dieser Veranstaltung ist die Aktualität der Fragen, aus denen sich vor rund 30 Jahren die Bildungspolitik in Deutschland entwickelt hat.
Das verbindende Element der breitgefächerten Arbeit im Institut sowie auf der Jubiläumsveranstaltung ist die „Beziehung“. Soziale Bindung, Liebe, Beziehungsfähigkeit entscheide über Lernfähigkeit und die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft – lautet die Botschaft aller Referenten, die jeweils aus ihrem Fachgebiet heraus die aktuellen Herausforderungen skizzierten: Professor Peter Gross als Mitglied von PEN-International über die heutigen Wahlmöglichkeiten in einer Multioptionsgesellschaft, Professorin Erika Schuchardt als Bildungsforscherin und Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Gremien über Chancen, die aus Krisen entstehen, Professor Gerald Hüther als Neurobiologe über die Bedeutung von sozialen Beziehungen bei der Entwicklung insbesondere von Kindern sowie Professor Hans Bertram als Mitglied der Impulsgruppe „Allianz für die Familie“ über die notwendige Neuorganisation von persönlicher und beruflicher Lebenszeit, damit Raum für Familien, Beziehung und notwendige Bildung entsteht. Bei der von den beiden Moderatorinnen Dörthe Verres und Barbara Brink gestellten Frage, wann Bildung in schwierigen Situationen helfen könne, wurde über unterschiedliche Bildungsverläufe bei Männern und Frauen gesprochen. Die Beiträge bestätigten die Feststellung von Bertram, dass Männer vorwiegend noch immer auf eine ausgeprägte Erstausbildung setzen, während Frauen aufgrund von Kinder- und Familienphase mehr Fortbildungen in Anspruch nehmen.
Es gibt keine Wahl ohne Auswahl
„Selber sehen, selber wissen, selber entscheiden“, brachte der Schweizer Peter Gross in seinem Schwitzerdütsch Chancen und Risiken unserer heutigen Multioptionsgesellschaft auf den Punkt. Die freie Wahl benötige autonomes Denken und Vertrauen, da keiner mehr alles überblicken könne. Konsequenzen seien Orientierungslosigkeit („Suchen sie mal eine Socke bei 100 Paaren im Schrank“) und Versagensängste: „Die Wahl einer Option ist immer riskant, weil man nicht mehr alles prüfen kann“, sagt Gross. Beziehungen und soziale Bindungen seien heute nicht mehr so vorgegeben wie früher, sondern wählbar. Die Zukunft werde zunehmend ungewiss und es entstehen Kältezonen: „Es gibt immer welche, die nicht gewählt werden.“
Lebenskrisen sind Lebenschancen
Für Erika Schuchardt lernen wir in der Gemeinschaft: „Es nützt nicht das Individuum allein, es muss die ganze Gesellschaft mitgehen.“ Kinder lernen am besten durch Rollenspiele, Fallgeschichten und Begegnungen. Ohne Beziehung seien Inhalte nichts wert. Ob Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Unfall, Krankheit oder Partnerverlust – wir können uns nicht vor Krisen schützen, wir können nur in wechselseitigem Austausch miteinander lernen, wachsen und entscheiden, ob wir Krisen als Drama oder als Chance wahrnehmen. „Die Kreuze im Leben sind wie die Kreuze in der Musik – sie erhöhen“, zitiert Schuchardt Ludwig von Beethoven, der viele Jahre gerungen hat, bis er am Ende seine neunte Sinfonie „Freude schöner Götterfunken“ komponierte.
Lernen ohne Begeisterung ist kontraproduktiv
„Jetzt können die Hirnforscher zeigen, dass Lernen direkt mit Erfahrung gekoppelt ist. In der Schule werden nur Inhalte vermittelt, oft mit negativen Gefühlen – Angst, Druck, Stress. Wenn sie dann später in ähnliche Situationen kommen, werden die dabei empfundenen Gefühle aktiviert – und plötzlich kann es passieren, dass Eltern beim Elternabend wieder das Bohnerwachs von früher riechen und weiche Knie beim Betreten eines Klassenzimmers bekommen.“ Das sagt der Neurobiologe Gerald Hüther, der sich als Leiter eines Forschungszentrums in Göttingen und Mannheim mit den Auswirkungen von Angst und Stress auf das Gehirn beschäftigt. An einfach nachvollziehbaren Beispielen erklärt er, wie unser Gehirn beim Lernen funktioniert und wie wichtig soziale Beziehungen dafür sind. Der Prozess des Lernens ist wichtiger als der Inhalt. Wenn das Lernen mit positiven Gefühlen gekoppelt ist, verwandelt es sich in eine Erfahrung, die mit Bekanntem verknüpft und behalten wird. Das Gehirn verändert sich selbst ständig. Bis ins hohe Alter lässt sich dazu- oder umlernen. „Selbst ein 80-Jähriger lernt Chinesisch. Ich garantiere Ihnen, wenn er sich in eine Chinesin verliebt und mit ihr nach China geht, kann er in sechs Monaten Chinesisch“, verdeutlicht Hüther. Die Aufgabe der Erwachsenen sieht er darin, Kinder zu unterstützen, ihnen positive Erfahrungen zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass sie sich wohl und sicher fühlen. „Supportive Leadership“ heißt der Fachbegriff. Er gratuliert dem Odenwald-Institut als Ort, an dem persönliche und zwischenmenschliche Erfahrungen möglich sind und bringt ein Gastgeschenk aus Indien für Institutsleiter Dr. Wolfgang Greiner und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit. Darauf steht: “God Shiva says, as the food, so the mind, as the company, so the person.”
Wir müssen unsere Zeitstruktur ändern
„Die nachwachsende Generation muss viel mehr in Ausbildung investieren, sie muss extreme Aufwendungen machen, um ihren Platz in der Gesellschaft zu sichern.“ Hans Bertram sieht sowohl für die Zukunft von Familien als auch von Bildung den Schlüssel in der Neuorganisation unserer sowohl beruflicher als auch persönlicher Lebenszeit. So haben heute Paare ungefähr fünf Jahre Zeit, um einen Job auf Dauer, einen Partner zu finden und eine Familie mit Kindern zu gründen. Rushhour nennt Bertram diese Zeit. Es gebe keine Zeit mehr für Liebe, weil die Zeit für die Ökonomie immer größer werde. In den 70er Jahren bekamen Frauen im Durchschnitt das letzte Kind mit 35, heute mit 32 Jahren. Den Zusammenhang zwischen Qualifikationszuwachs und Kindern verdeutlicht er an der Stadt Heidelberg, die ein sehr hohes Qualifikationsniveau habe und gleichzeitig mit den geringsten Kinderzuwachs in Deutschland. Hier bekommen 1000 Frauen gerade mal 800 bis 1000 Kinder. Andere Länder, beispielsweise Finnland oder Dänemark würden die Kluft zwischen Qualifikationszuwachs und Familien besser überbrücken. In Frankreich oder den angelsächsischen Ländern gibt es ein anderes Bildungsmuster. Hier sei das Aussteigen kein Nachteil für das berufliche Fortkommen. „Bei uns ist man draußen, da ist Aussteigen ein Diskriminierungsmerkmal. Es gilt immer noch das Bismarcksche Grundprinzip, nach dem zunächst in die Erstausbildung investiert wird. Wir sind aus dem bisherigen System herausgewachsen und müssen die Struktur so ändern, dass wir nicht immer zu Anfang lernen, sondern immer wieder die Chance haben. Alle müssen aussteigen und einsteigen können“, erklärt Bertram. Das würde auch die Vorfamilienphase entlasten. Wenn Paare eher in die eigene Familiengründung einsteigen könnten, würde das außerdem die sogenannte Rushhour des Lebens entlasten. So ziehen junge Männer in anderen Ländern bereits früher von zu Hause aus, bei uns erst mit 25 Jahren. Lediglich in Italien bleiben sie mit einem Auszugsalter von 32 Jahren noch länger zu Hause. Er stellt die Frage: Wie schaffen wir es, klassische berufliche Lebensläufe zu unterbrechen, damit Zeit für Fürsorge und Bildung bleibt. Unter Fürsorge versteht er mehr als Kindererziehung - Fürsorge insgesamt für andere Menschen. Dafür allerdings müssten wir unsere Zeitstruktur ändern. Bertram schließt mit der Frage von Charles Dickens: „Sind Kinder für uns nur Nutzwert oder entwickeln wir sie?“
Liebe als Weltbaugesetz
„Warum kommt die Naturwissenschaft plötzlich auf das Wort Liebe“, fragt Pater, Benediktinermönch und Zenmeister Willigis Jäger vom spirituellen Zentrum Benediktushof in Holzkirchen und antwortet gleich selbst: „weil es unser Überleben ist. Liebe ist Verbundenheit.“ Er knüpft an die Aussage von Gerald Hüther an, dass wir als Spezies nur überleben können, wenn wir eine Gemeinschaft bilden. Jäger beginnt mit „Wir können derzeit keine Gemeinschaft bilden.“ Der Wachstum des Wohlstands in den letzen Jahren habe uns nicht glücklicher gemacht. „Zu uns kommen – und ich nehme an, das ist im Odenwald-Institut ähnlich – immer mehr Menschen zwischen 45 und 60 Jahren, die der Meinung sind, eigentlich alles zu haben und nun nach dem Sinn fragen“, eröffnet er seinen Vortrag, den er von Arbeit und Spiritualität in Leben und Spiritualität umbenannt hat. „Das ganze Leben habe ich nach einer Antwort gesucht, erklärt er seine Sinnsuche. Heute müsse der Mensch erkennen, dass nicht der Mensch der Mittelpunkt der Erde sei.“ Er zeichnet das Bild von der Welle und dem Meer: „Wir sind die Welle und schauen von oben auf das Meer. Wenn wir von innen heraus sehen würden, könnten wir sehen, dass wir das Meer – der Ozean sind.“ Willigis Jäger kommt zu dem Schluss, dass die heutige kosmische Weltsicht eine zeitgemäße globale Spiritualität erfordert: „Gott möchte nicht verehrt werden, er möchte gelebt werden.“ Nach Willigis Jäger übersteigt die mystische Spiritualität jede konfessionelle Richtung, deshalb ist sie nicht religionsgebunden. „Das nächste Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Metaphysik werden und die Vorreiter werden diesmal nicht die Theologen sein. Veränderung braucht keine Revolution, sondern Transformation. Alle Veränderungen kamen bisher von sogenannten Ketzern, und so hoffe ich, dass wir genug Ketzer in der nächsten Zeit bekommen“, schloss Willigis Jäger, bevor er mit einer Kontemplation zum Wahrnehmen der Stille einlud. „Die Stille hinter den Geräuschen war trotz der knapp 300 Teilnehmenden richtig spürbar. Es gab ein nachhaltiges Gefühl von Weite, Geborgensein und Frieden. Faszinierend, wie jemand mit klaren, einfachen Alltagsworten in einem prall gefüllten Raum bei rund 30 Grad Außentemperatur so viel Platz für Besinnung ermöglicht“, beschreibt eine Teilnehmerin ihr Erleben.
Nahrung für Kopf, Geist und Körper
Der Kopf stand bei der Fachtagung mit rund 160 Teilnehmenden im Mittelpunkt, Körper und Herz wurden bei 28 verschiedenen Workshops angesprochen, die das Spektrum des Odenwald-Instituts aufzeigten. An zwei Tagen konnten jeweils rund 300 Gäste ganz unterschiedliche Bildungsangebote kennen lernen und testen. Da gab es Kurzseminare die gleichermaßen Jugendliche, Familien und Fachleute ansprachen wie Jugendliche: Kämpfen anders, Familien-Streit-Training oder Bogenschießen im Freien; Workshops für Beratende und Führungskräfte wie „Systemische Prozessbegleitung“, Systemisches Coaching, Kommunikation mit NLP, Systemaufstellung, Gesundheitscoaching, Stressbewältigung oder Projektmanagement; Angebote für Pädagogen und Multiplikatoren, darunter Themenzentrierte Interaktion und Familienpädagogik; therapeutische Workshops wie Paarsynthese, Traumatherapie, oder Transaktionsanalyse. In gestaltorientierten Seminaren wie Ausdrucksmalen konnten Interessierte selbst gestalten. Beim Seminar Jeux Dramatique lernten rund 40 Teilnehmende die Welt der Farben spielerisch kennen, in dem sie farbenfroh das Märchen „Die Königin der Farben“ im Ausdrucksspiel darstellten.
Gründungsidee und Ziele des Odenwald-Instituts
Daniela Kobelt Neuhaus aus dem Vorstand der Karl Kübel Stiftung war nach einem Tag „Kopfnahrung“ und zwei Tagen Körper- und Beziehungserfahrung von der Arbeit begeistert und versprach dem Institut ihre Unterstützung. „Als ich vor anderthalb Jahren kam, war ich über das Angebot verblüfft. Ich musste oft um die Ecke denken, um zu erkennen, was diese vielfältigen Angebote mit den Zielen der Karl Kübel Stiftung gemeinsam haben. Ich habe in diesen Tagen viele Gespräche führen können, einige Workshops selbst ausprobiert und die Qualität kennen gelernt. Für mich gibt es nicht nur eine Art von Bildung. Wichtig finde ich das Wissen und die Erfahrung, wie ich mit anderen in Kontakt kommen kann“, erläutert sie.
Mary Anne und Karl Kübel formulierten bereits sechs Jahre vor der Gründung exakt die Herausforderungen, denen sich das Institut heute mehr denn je stellt: erstens Familien stärken und Begleiter in der Erziehung wie Pädagogen, Institutionen und Multiplikatoren so zu fördern, damit Kinder sich entwickeln können; zweitens Bildungsangebote für Führungskräfte, damit sie sich in Unternehmen entwickeln können. „Könnte man jetzt, 36 Jahre später, die Zielsetzung besser formulieren?“, fragte Mary Anne Kübel in ihrer Rede, die sie Wurzel-Geschichten nannte. Die Moderatorin Dörthe Verres dankte der Gründerin mit den Worten: „Mary Anne, wir wussten, dass du eine kluge Frau bist. Das aber war die Rede einer weisen Frau.“
Institutsleiter Dr. Wolfgang Greiner sieht den Ansatz des Instituts darin, Teilnehmenden zu ermöglichen, sich selbst und Neues zu erfahren, auszuprobieren und Wissen emotional zu verankern. „Das Institut lebt und entwickelt sich mit den Menschen, die sich hier begegnen, zusammen arbeiten und lernen. So ist das Institut ein wunderbarer Ort, um Beziehungen in Familien, in Kindergärten, Schulen und in Unternehmen zu stiften. Unsere besondere Qualität ist neben der einzigartigen Lage, dass wir die unterschiedlichen Lebenssituationen und –zeiten verbinden. Das Leben besteht aus Vielfalt. Beim Jubiläum konnten wir das spüren und erleben - mit lauten kraftvollen Tönen beim Theater „Neruda im Herzen“ sowie dem leiseren doch genauso kraftvollen spontanen Gesang aus dem Herzen, erklärt Greiner. Die Gruppe Stimmpuls bestehend aus der Kursleiterin Ursula Greven, Sabine Essich und Joachim Koch leitete mit ihren Tönen und Vokalen den Vortrag von Willigis Jäger ein, der mit einer Mediation abschloss, in der die tragende Stille zu spüren war.
Die nächste Tagung ist für Frühsommer 2009 zum Thema „Arbeit und Lebensqualität“ geplant. Informationen gibt es unter www.odenwald-institut.de oder unter Telefon 06207 605-0. Das Jubiläum wird unter www.bildung-und-begeisterung.de dokumentiert.
Personen auf dem Bild:v on links nach rechts:
Daniela Kobelt Neuhaus, Vorstand Karl Kübel Stiftung,
Willigis Jäger, Benediktushof,
Mary Anne Kübel, Gründerin des Odenwald-Instituts,
Ursula Greven, Sopran, Stimmpuls,
Dr. Wolfgang Greiner, Institutsleiter,
Achim Koch, Bariton, Stimmpuls,
Sabine Essisch, Alt, Stimmpuls.