(ots) -
Zu oft würden Menschen sich für den Lehrerberuf entscheiden, die
dafür nicht geeignet seien, lautet der eine Vorwurf. Lehrer müssten
Tausendsassas sein, würden mit immer neuen Anforderungen
konfrontiert, auf die das Studium sie gar nicht vorbereite, so der
andere. Wird den Lehrern zu viel abverlangt, und was müssen Lehrer
heute eigentlich können, wissen und umsetzen? Fragen dazu an Gabriele
Bellenberg, Professorin für Schulforschung und Schulpädagogik an der
Ruhr-Universität Bochum.
Schulen und Lehrer werden vor immer neuere Aufgaben gestellt.
Ein paar Stichworte: Bildungsstandards, Kompetenzorientierung,
individuelle Förderung, Inklusion, Integration, Medienkompetenz.
Können sie diesen Anforderungen überhaupt gerecht werden und
bereitet die Universität sie darauf vor?
Gabriele Bellenberg: Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass
die Lehrer all das in der Erstausbildung lernen, sondern wir müssen
darauf setzen, die Lehrer kontinuierlich zu qualifizieren. Ein
Beispiel nur: Inklusion. Was dies für den Schulalltag bedeutet, haben
die allermeisten Lehrer der allgemeinbildenden Schulen gar nicht im
Studium gelernt. Da kann man also nur mit Fortbildungen ansetzen.
Dazu kommt: Die Ausbildung ist immer der Zeit hinterher.
Nordrhein-Westfalen hat 2009 ein neues Lehrerbildungsgesetz
implementiert - Inklusion kommt dort aber nicht vor. Die
Universitäten haben also gar keine Möglichkeiten, dieses Thema zu
vermitteln, weil sie sich ja an das Curriculum des Ministeriums
halten müssen. Sie können dies nur über Zusatzangebote für die
Studierenden versuchen. Man muss sich also darüber im Klaren sein,
dass das Thema Inklusion ganz zentral in den Fortbildungen
angesiedelt werden muss. Auch weil es ja für die Lehrer aktuell ist,
die gegenwärtig im System stehen, und nicht nur für diejenigen, die
jetzt bei uns ihre Ausbildung beginnen.
"Entscheidend ist die Fachlichkeit"
Das heißt also, die Erstausbildung wird all den genannten
Anforderungen nicht gerecht?
Gabriele Bellenberg: Da muss ich auf etwas Entscheidendes
hinweisen: Die Forschungsbefunde, die uns vorliegen, zeigen
eindeutig, dass die Fachlichkeit für einen erfolgreichen Unterricht
ganz wichtig ist. Denn die Fachlichkeit ist Voraussetzung dafür, dass
Lehrer überhaupt fachdidaktisch gute Entscheidungen treffen können.
Deswegen sind die anderen angesprochenen Themen und Anforderungen
erst einmal sekundär.
Und wie sieht es mit den fachdidaktischen Kompetenzen aus?
Gabriele Bellenberg: Studien belegen, dass fachdidaktische
Beweglichkeit erst entstehen kann, wenn die Lehrer ihr Fach wirklich
erschlossen haben. Das heißt nicht, dass wir nur Fachwissenschaftler
ausbilden. Denn beide Bereiche hängen sehr eng zusammen. Man kann
auch nicht einfach nur Fachdidaktik lehren und davon ausgehen, dass
die Lehrer damit in der Lage seien, einen didaktisch anspruchsvollen
Unterricht für die Schüler zu gestalten. Lehrer müssen
Fehlerkonzeptionen von Schülern verstehen, sie müssen wissen, welche
Stoffinhalte anspruchsvoll für Schüler sind - und das setzt eine hohe
Fachlichkeit voraus. Um aber eine didaktische Persönlichkeit zu
werden, sollten sie auch wissen, welche Art des Unterrichts ihnen
liegt und welcher Unterricht gut ankommt. Dazu braucht es eine
Professionsentwicklung über mehrere Berufsjahre.
Das heißt, Lehrer wird man nicht an der Uni, sondern erst im
Beruf?
Gabriele Bellenberg: Das ist genau das, was die Forschungsbefunde
sagen. Weil es darum geht, fachliches, fachdidaktisches und
erziehungswissenschaftliches Wissen aus der Erstausbildung an der
Universität in praktischen Situationen im Unterricht, in der
Zusammenarbeit mit Kollegen, in der Vorbereitung von Unterricht, bei
der Korrektur von Klassenarbeiten fruchtbar zu machen. Und das kann
erst in der Praxis gelingen. Die angehenden Lehrer können dies in den
Praxisphasen im Studium zwar üben, aber das Verschränken entwickelt
sich tatsächlich erst im Beruf. Kollegien müssen diesen jungen
Menschen entsprechende Unterstützungsleistungen geben. Das ist sehr
stark von der einzelnen Schule abhängig, wobei ich glaube, dass die
meisten Kollegien ihre jungen Leute an die Hand nehmen, sie
unterstützen und von ihren Erfahrungen profitieren lassen.
Bislang keine systematische Begleitung der Berufsanfänger
Aber eine systematische ins Referendariat und in den
Berufseinstieg integrierte Begleitung gibt es nicht?
Gabriele Bellenberg: Nein, nicht in dem Maße, wie das notwendig
wäre. Wir haben erste Ansätze in Richtung Berufseingangsphase. In
Nordrhein-Westfalen gibt es eine Veränderung in der Lehrerbildung,
Hamburg arbeitet sehr stark an der Berufseingangsphase und auch
andere Bundesländer beschäftigen sich damit. Es scheint mir ganz
wichtig zu sein, weg von Beurteilungssituationen und viel mehr zu
Beratungssituationen im Referendariat zu gehen, weil wir wissen: Das
erhöht die Reflexionsfähigkeit. Und eigentlich müsste das beim
Berufseinstieg fortgesetzt werden. Das passiert eindeutig zu wenig.
Denn das ist natürlich teuer, bedeutet es doch, dass man für die
Berufsanfänger die Unterrichtsverpflichtung reduzieren müsste.
Dazu auf der didacta 2012
15. Februar 2012
Der Hochschultag am 15. Februar steht unter dem Thema: "Gute
Bildung durch gute Lehrerbildung?"
Dazu diskutieren
- von 11 bis 12.15 Uhr: Prof. Dr. Gabriele Bellenberg,
Ruhr-Universität Bochum; Dr. Rainer Michael Bodensohn,
Universität Koblenz-Landau; Prof. Dr. Kurt Czerwenka, Leuphana
Universität Lüneburg; Dr. Dieter Dohmen, Forschungsinstitut für
Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). Moderation: Birgit
Ufermann.
- von 12.15 bis 13.20 Uhr: Dr. Karl-Ludwig von Danwitz, MdL; Wulf
Homeier, Schulministerium Nordrhein-Westfalen; Prof. Dr. Hero
Janßen, TU Braunschweig; Wolfgang Wulf, MdL. Moderation: Birgit
Ufermann.
18. Februar 2012
Vom Referendar zum Lehrer - Eine Starthilfe für Referendare,
Studenten und Berufsanfänger, Referent: Helgo Mayrberger, 12 bis
12.45 Uhr, Halle 23, Stand A22, Forum didacta aktuell
Pressekontakt:
Ansprechpartnerin für die Redaktion:
Andrea Staude
Tel.: +49 511 89-31015
E-Mail: andrea.staude(at)messe.de
Weitere Pressetexte und Fotos finden Sie unter:
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