(ots) - Für alle, die nicht ganz so auf dem Laufenden sind:
Bei dem Großereignis, das von Freitag an drei Wochen lang in Polen
und der Ukraine stattfindet, handelt es sich keineswegs um den
G-8-Gipfel oder das Jahrestreffen von "Amnesty International".
Sondern - man glaubt es kaum - um eine Fußball-Europameisterschaft.
Beim Studium mancher Zeitungslektüre könnten weniger fachkundige
Leser da glatt etwas durcheinanderbringen. Es ist die Folge einer
Entwicklung, in der wichtig schon lange nicht mehr nur auf'm Platz
ist, wie Fußball-Legende Adi Preisler noch glaubte. Der Sport zahlt
zunehmend den (politischen) Preis für seine ungeheuere Popularität.
Indem von ihm nicht mehr bloß erwartet wird, von den Problemen und
Sorgen dieser Welt abzulenken. Sondern diese gefälligst auch noch zu
lösen. Überspitzt gesagt: Erst versagt die Politik, und dann soll der
Sport die Kastanien aus dem Feuer holen. Wer Sportverbänden - mit
Recht - vorwirft, sich bei der Vergabe von Großveranstaltungen in
erster Linie an finanziellen Aspekten bzw. der Erschließung neuer
Märkte zu orientieren, sollte die Moralkeule auch gegen Regierungen
aus vorgeblich sauberen Staaten schwingen, die Geschäfte mit
Diktatoren machen. Um auf die EM zurückzukommen: Monatelang hatte
Europa Zeit, um Druck auf die Ukraine wegen der Inhaftierung der
erkrankten Oppositionsführerin Julia Timoschenko auszuüben. Begonnen
wurde damit just in dem Moment, da die Menschen begannen, sich für
die anstehenden Fußball-Titelkämpfe zu interessieren. Dass diverse
Politiker die Absicht, ein Fußballspiel nicht zu besuchen, als
Drohgebärde verstanden haben wollten, mutete zuweilen schon grotesk
an. Die unbestreitbare Gefahr, einem Land, in dem nicht nur die
Bälle, sondern auch die Menschenrechte mit Füßen getreten werden,
eine Propagandabühne zu bieten, ist eine Sache. Eine andere die
Chance, auf zu beanstandende Zustände hinzuweisen. Sie bietet sich
heutzutage in dieser Größenordnung vor allem im Sport. Erreicht
dieser doch längst mehr Menschen als alle Fensterreden und schlauen
Analysen auf den politischen Zeitungsseiten. "Europa zu Gast bei
Folterern" hat die linke "Tageszeitung" in dieser Woche getitelt.
Eine Schlagzeile, die - so sie es überhaupt auf die erste Seite
geschafft hätte - ohne den Hintergrund der
Fußball-Europameisterschaft deutlich weniger Resonanz gefunden hätte.
Zur Erinnerung: Tibet, das Thema Nummer 1 vor den Olympischen
Sommerspielen 2008, hat es seit dem Erlöschen der Flamme in Peking
nie mehr in die Schlagzeilen der Massenmedien geschafft. So gesehen
hätte der Sport für seine Rolle eher Anerkennung denn Kritik
verdient. Aber Politikern dient er nun einmal vor allem als Mittel
zum Zweck (größerer Popularität). Die ganze Schizophrenie ihres
Verhaltens hat jetzt der für Sport zuständige deutsche Innenminister
Hans-Peter Friedrich deutlich gemacht, der durch sein Büro verlauten
ließ, auf die ersten drei Partien der deutschen Mannschaft zu
verzichten, weil er "keine weitere Politisierung des Fußballfestes"
wolle. Als Sportminister, hieß es in der Erklärung des Ministeriums
jedoch weiter, sei seine Teilnahme an den Vorrundenspielen auch nicht
erforderlich. "Für das Halbfinale und Finale sieht das anders aus."
So sieht es aus.
Pressekontakt:
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung
Redaktion
Telefon: 0201/8042616