(ots) - Die Orientierung fehlt
Joachim Gauck trat das Amt des Präsidenten unter Erwartungen an,
die kaum größer hätten sein können. Inzwischen zeigt sich, dass auch
er nur ein Mensch ist. So platzierte er vor der heutigen Verhandlung
des Bundesverfassungsgerichtes über den Rettungsschirm ESM wenig
einfühlsam den Hinweis, dass er keine Ersatzregierung sei und es
mithin Kanzlerin Angela Merkel zukomme, ihre Politik doch bitte
besser zu erklären.
Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel hatte Gauck entsprechende
Hemmungen noch nicht an den Tag gelegt. Er sehe keinen Grund, weshalb
die Verfassungsrichter die Gesetzgebung rund um den Rettungsschirm
bremsen sollten, legte er den Juristen im April nahe. Nun, nur wenig
später, muss Gauck auf Bitten eben jener Richter seine Unterschrift
aufschieben, weil Karlsruhe es sich erlaubt, die Verfassungsmäßigkeit
zu prüfen, was Gauck, so seine neueste Wendung, inzwischen ebenfalls
begrüßt.
Mit Verlaub, so sieht Erklärung von Politik und Krise in der Tat
nicht aus und die Stiftung von Identität und Zuversicht erst recht
nicht. Schon deshalb ist es gut, dass heute die Richter mit einem
ungetrübten Blick verhandeln und hoffentlich mehr Orientierung geben
als die Politik. Wenn sonst schon keiner weiß, woran er sich halten
soll, der Bundespräsident und die komplett gespaltene ökonomische
Zunft eingeschlossen, ist das Grundgesetz nicht der schlechteste
Maßstab.
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