(ots) - Reformen sollten von Konjunkturhilfen begleitet
werden / Internationaler Währungsfonds misst bei Südeuropa und den
USA mit zweierlei Maß / "Irgendwie drängt sich der Verdacht auf, man
will Griechenland an die Wand drücken" / Potenzial für Griechenland
liegt in großen Erdgas- und Rohölvorkommen / Angst vor Inflation
übertrieben: "Eine kontrollierte Rate zwischen sieben und acht
Prozent wäre sogar dringend vonnöten, um unsere Systeme wieder in
Gang zu bringen"
Der Börsenexperte Dirk Müller kritisiert das Krisenmanagement in
Europa. "Die Verabschiedung immer neuer Sparpakete läuft in die
falsche Richtung", warnte Müller im Interview mit dem Anlegermagazin
'Börse Online' (Ausgabe 49/2012, EVT 29. November). Reformen seien
zwar notwendig, sollten aber von Konjunkturhilfen begleitet werden.
Mit dem Internationalen Währungsfonds ging der Geschäftsführer der
Finanzethos GmbH besonders hart ins Gericht. Dieser würde einerseits
Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland drakonische
Sparmaßnahmen aufbürden und andererseits dem global größten Schuldner
- den USA - von Sparmaßnahmen abraten und zum Investieren anregen.
"Ein unglaublicher Fall von Doppelzüngigkeit", ereiferte sich Müller,
der auch als Mister DAX bezeichnet wird. "Europa zerschlägt seine
industriellen Strukturen, obwohl klar ist, dass die
Schuldenproblematik dadurch nicht gelöst wird. Dagegen sanieren die
USA ihre Industrien, weil sie wissen, dass Inflation kein Dogma ist."
Chancen für Griechenland sieht Müller vor allem aufgrund der
großen Erdgas- und Rohölvorkommen. Mit Hilfe von europäischen
Fördermitteln und privatem Kapital könnten Unternehmen wie
Wintershall oder Eni gemeinsam mit griechischen Firmen diese
Reservoirs anzapfen. Warum dies nicht passiert, ist für den
ehemaligen Kursmakler nicht nachvollziehbar. "Ich will keine neuen
Verschwörungstheorien aufstellen, aber irgendwie drängt sich der
Verdacht auf, man will Griechenland an die Wand drücken, bis kein
Ausweg mehr bleibt, als die Förderrechte zu verramschen", mutmaßte
Müller. Weiteres Potenzial für Südeuropa berge zudem die europaweit
beschlossene Energiewende. "Denn weitere Produktivitätssteigerungen
sind nur umzusetzen, wenn die Energiekosten dauerhaft sinken."
Die Angst vieler Menschen vor der Rückkehr hoher Inflationsraten
hält Müller für übertrieben. "Teuerung ist ja nicht per se schlecht
oder schädlich", begründete er gegenüber 'Börse Online'. "Im
Gegenteil: Eine kontrollierte Rate zwischen sieben und acht Prozent
wäre sogar dringend vonnöten, um unsere Systeme wieder in Gang zu
bringen, begleitet von steigenden Löhnen und Renten." Das Risiko,
dass die Inflation vor lauter Sparpaketen nicht bis zur Ladentheke
vordringt, sei aber groß. "Ein Stagflationsszenario wie in
Griechenland, wo die Unternehmen zunehmend in die Zange zwischen
steigenden Rohstoffkosten und einer fehlenden Preisverhandlungsmacht
geraten, wäre allerdings eine echte Katastrophe."
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