(ots) - Problem einer ganzen Gesellschaft
Selbst die stichwortartige Schilderung der Tat reicht aus, um
vorübergehend an der Menschheit zu verzweifeln: Ein Bus. Sechs
Männer. Eine Frau. Vergewaltigung, eine Stunde lang. Eisenstange. Aus
dem Fenster geworfen wie Müll.
Dass dieses Verbrechen die Welt auch noch zwei Wochen später
beschäftigt, liegt aber nicht nur daran, dass es so bestialisch und
verachtenswert war. Jeden Tag werden überall auf der Welt Menschen
vergewaltigt, auch in Deutschland. Meistens Frauen, meistens von
Männern. Aber nicht jeden Tag gehen deswegen Menschen auf die Straße.
Es sind junge Inder der Mittelschicht, die die Erinnerung an die
Studentin und das an ihr verübte Verbrechen wachhalten. Ihre Wut
lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Gesellschaft, in der Frauen wenig
gelten. In der sie sich nicht sicher fühlen können. Und in der immer
mehr Menschen genau dagegen aufbegehren. Darin steckt ein Fünkchen
Hoffnung. Dass Veränderungen möglich sind, ist an Deutschland leicht
zu erkennen. Denn auch hier ist es nur wenige Jahrzehnte her, dass
Frauen "sich nicht so zieren sollten", wenn ein Mann sie anzufassen
wünschte. Oder dass vergewaltigten Frauen eine Mitschuld gegeben
wurde, wenn ihr Rock "zu kurz" gewesen war. Denkweisen, die Frauen
ihre Selbstbestimmung absprachen und sie nicht respektierten, ähnlich
wie in Indien heute.
In Kriegen gilt Vergewaltigung als Waffe. Menschen können einander
kaum etwas Schrecklicheres antun. Auch deshalb sind die Proteste in
Neu-Delhi wichtig. Sie zeigen der Welt, dass Vergewaltigung nicht nur
ein privates Unglück ist, sondern das Problem einer ganzen
Gesellschaft.
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