(ots) - Die Münchener Trovicor GmbH und die
britisch-deutsche Gamma Group produzieren Ãœberwachungssoftware, die
von autoritären Staaten zu Menschenrechtsverletzungen eingesetzt
werden kann. Privacy International, Reporter ohne Grenzen, das
Bahrain Center for Human Rights (BCHR), Bahrain Watch (BW) und das
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) haben
deshalb OECD-Beschwerden gegen beide Unternehmen eingereicht. Der
entsprechende Schriftsatz zu Trovicor wurde heute der deutschen
Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale
Unternehmen in Deutschland übergeben, der Schriftsatz zu Gamma am
vergangenen Freitag der Nationalen Kontaktstelle in Großbritannien.
Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind
insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in
dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten
festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.
"Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in
vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten", sagte Maryam
al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for
Human Rights. "Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf
breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets gegen
Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen
auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen
beigetragen haben."
Erleichtert werden solche Übergriffe durch leistungsfähige
Technologie, deren Einsatz allenfalls unter strengster
rechtsstaatlicher Kontrolle zu rechtfertigen wäre: Den
Beschwerdeführern liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Trovicor unter
anderem in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe
Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon-
und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können.
Zudem gibt es Indizien, dass Trovicors Technologie auf das
Zusammenwirken mit sogenannten Trojanern ausgelegt ist, die eine noch
umfassendere Ãœberwachung bis hin zur Manipulation von Daten erlauben.
Ein solches invasives Programm, Gammas FinFisher, wurde auch auf den
Rechnern bahrainischer Oppositioneller gefunden.
"Da die Regierungen Exporte von Ãœberwachungstechnologie nicht
ordentlich überwachen, werden Firmen wie Gamma und Trovicor
ausschließlich durch ihren eigenen moralischen Kompass reguliert",
sagte Eric King, Forschungsdirektor von Privacy International. "Wir
hoffen sehr, dass der OECD-Prozess die Unternehmen dazu bringt, ihre
aktuellen und künftigen Kunden sehr genau unter die Lupe zu nehmen
und die Rolle zu hinterfragen, die ihre Produkte dabei spielen,
Aktivisten ins Visier zu nehmen und zu foltern sowie Fürsprecher der
Demokratie zu unterdrücken."
Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen halten Firmen
aus den Unterzeichnerstaaten dazu an, bei ihren Auslandsgeschäften
internationale Menschenrechtsstandards zu wahren und entsprechende
negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu vermeiden oder zu
vermindern. Aufgrund der internationalen Berichterstattung über die
Proteste der Opposition in Bahrain und deren gewaltsame
Niederschlagung müssen sich Trovicor und Gamma seit spätestens Sommer
2011 über die dortigen Menschenrechtsverletzungen im Klaren sein.
Dennoch halten Sie nach Kenntnis der Beschwerdeführer an ihren
Geschäftsbeziehungen fest.
"Die Firmen laufen Gefahr, Beihilfe zu Folter und anderen schweren
Menschenrechtsverletzungen zu leisten, wenn sie ihre
Ãœberwachungssoftware in Staaten wie Bahrain warten und instand
halten, obwohl glaubhafte Untersuchungen belegen, dass die
bereitgestellte Software durch bahrainische Behörden missbraucht
werden kann", kritisierte Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des
European Center for Constitutional and Human Rights. "Sollten sich
die vorliegenden Verdachtsmomente bewahrheiten, verstoßen die
Unternehmen aus unserer Sicht gegen die OECD-Leitsätze."
Auf wiederholte Anfragen von Medien und
Menschenrechtsorganisationen haben beide Firmen bislang weder
umfassend Stellung zu den kritischen Aspekten ihrer Tätigkeit in
Bahrain bezogen noch Konsequenzen aus den dortigen
Menschenrechtsverletzungen gezogen. Deshalb wenden sich die
Organisationen nun im formalen Beschwerdeverfahren an die
OECD-Kontaktstellen in Deutschland und Großbritannien.
Ziel der Beschwerden ist, dass Trovicor und Gamma ihre Verträge
mit Bahrain und anderen autoritären Staaten offenlegen und auf ihre
Menschenrechtsverträglichkeit prüfen. In Ländern, in denen es
ausreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass ihre Technologien zu
Menschenrechtsverletzungen beitragen können, müssen die Firmen ihre
Lieferungen und Dienstleistungen einstellen. In neue Verträge müssen
entsprechende Vertragsklauseln eingefügt, Altverträge sollten
nachverhandelt werden. Mit Blick auf künftige Vertragsabschlüsse
sollten sich die Unternehmen verpflichten, die
Menschenrechtsverträglichkeit sowohl vorab als auch fortlaufend zu
überprüfen. Ferner sollten sie mit technischen Vorkehrungen einem
Missbrauch ihrer Technologien effektiv vorbeugen.
Die Regierungen Deutschlands und Großbritanniens sind
völkerrechtlich verpflichtet, Menschenrechtsverstöße der auf ihrem
jeweiligen Territorium ansässigen Unternehmen zu verhindern.
Dementsprechend sollten die OECD-Kontaktstellen in beiden Ländern
Empfehlungen an Trovicor und Gamma aussprechen und regelmäßig über
deren Einhaltung informieren. Beide Regierungen sollten darüber
hinaus Empfehlungen an staatliche Stellen und Unternehmen entwickeln,
wie Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Produktion und
Handel von Überwachungstechnologie verhindert werden können.
"Der unregulierte Handel mit Ãœberwachungstechnologie in
autoritären Staaten ist eine der größten Bedrohungen für
Pressefreiheit und Menschenrechtsarbeit im Internet", sagte Christian
Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. "Exporte solcher
digitalen Waffen müssen den gleichen Beschränkungen unterworfen
werden wie Auslandsgeschäfte mit traditionellen Rüstungsgütern."
Das Hintergrundpapier zu Ãœberwachungstechnologie in repressiven
Regimen finden Sie unter http://bit.ly/X2eb6p.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska/Christoph Dreyer
Pressearbeit
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de
T: +49 (0)30 60 98 95 33 55
F: +49 (0)30 202 15 10 - 29