(ots) - Netz des Grauens
Wissenschaftliche Studien sind immer streitbar; stets hätten
andere Methoden, Definitionen und Grundannahmen zu anderen
Ergebnissen führen können. Doch selbst bei vorsichtiger Lesart ist
die Feststellung der Washingtoner Forscher erschreckend, die
Nationalsozialisten hätten nicht 7000, sondern 42 500 Lager, Gettos,
Folterkammern und Zwangsbordelle betrieben.
Denn augenscheinlich war das Netz des Grauens, das die Nazis über
Europa spannten, deutlich dichter als bislang angenommen. Das lässt
nicht nur die Totalität ihres Herrschaftsanspruchs in neuem Licht
erscheinen, sondern auch die Rolle eines Großteils der Bevölkerung.
Schon zu glauben, sie habe von den bislang bekannten Gräueltaten
wenig mitbekommen, fiel schwer. Angesichts der neuen Zahlen ist es
geradezu unmöglich.
Der Blick zurück sollte allerdings nicht zu einer weiteren Debatte
über Mittäterschaft und Kollektivschuld verleiten, sondern sich auf
die Opfer des Grauens richten, vor allem jene, die noch leben. Denn
wer bislang vergeblich auf Entschädigung wartete, hat nun
möglicherweise neue Belege für sein Leiden. Zugleich muss das
Ergebnis der Studie eine Lehre für Gegenwart und Zukunft sein: Augen
auf, Geschichte kann sich immer und überall wiederholen, auch im
Kleinen, ganz nah.
Constantin Binder
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