(ots) -
- Zurückgehende Margen, steigender Wettbewerbsdruck, sinkende
Kapitalerträge und hohe Kosten bringen Versicherer unter
Zugzwang
- Massiv gestiegene Anforderungen durch wachsende Regulierung
erschweren das Geschäft zusätzlich
- In Zukunft ist eine stärker wertorientierte Strategie gefragt
- Für manche Anbieter kann das eine umfassende Neuausrichtung
notwendig machen
Die deutschen Versicherer stehen vor den größten Herausforderungen
der Nachkriegszeit: Angesichts des Wettbewerbsdrucks sind die
Beiträge vieler Sparten mit geringen Margen kalkuliert, die
Vertriebsprovisionen sind hingegen oftmals sehr hoch. Viele
Versicherer zehren noch von ihren attraktiven Altbeständen,
insbesondere in historisch äußerst profitablen Sparten wie Unfall.
Das Neugeschäft kann damit in aller Regel nicht mithalten - in bisher
lukrativen Sparten hat der gestiegene Wettbewerbsdruck zu sinkenden
Margen geführt. In historisch defizitären Sparten wie
Gebäudeversicherung und Kfz verbessert sich die Margensituation nur
langsam, da das Prämienniveau oft nur für das Neugeschäft angepasst
wird. Das hat zur Folge, dass die Profitabilität der
Versicherungsbestände sinkt. Das Neugeschäft lahmt insbesondere wegen
der unattraktiv gewordenen Lebens- und Krankenversicherungen und der
höheren regulatorischen Anforderungen. Damit Versicherungsunternehmen
auch langfristig profitabel bleiben, müssen sie ihr Geschäft
grundlegend umstrukturieren und konsequenter an
Risiko-Ertragskriterien ausrichten. Dies erfordert eine strategische,
organisatorische und kulturelle Umorientierung - im Unternehmen und
im Vertrieb.
Rahmenbedingungen erschweren das Geschäft
Mit der Lebens- und der privaten Krankenversicherung stecken zwei
Sparten in der Krise, die für die Versicherer wichtige Kostenträger
sind und vielen Vertrieben das Auskommen sichern. Sie leiden unter
den anhaltend niedrigen Zinsen, die PKV krankt zudem an der
überproportionalen medizinischen Inflation, die die Prämien in die
Höhe treibt. Die Finanz- und Eurokrise sorgt mit stärkerer
Finanzmarktregulierung für zusätzlichen Druck. Hohe Kapitalerträge,
die Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung
historisch abfedern konnten und die klassische Lebensversicherung für
Kunden und Versicherer attraktiv machten, gibt es nicht mehr. Die
geplante Richtlinie Solvency II wird die Kapitalanforderungen und
Anlagekriterien zudem verschärfen. Hinzu kommen die grundsätzliche
Marktsättigung, der demographische Wandel und zumindest mittelfristig
die gedämpfte Konjunktur, die Zuflüsse in ein langfristiges Produkt
wie die klassische Lebensversicherung schmälern.
"All das bedeutet empfindliche Einbußen in der Profitabilität der
Versicherer und macht oftmals eine umfassende Neuausrichtung
notwendig und zwar entlang aller Hebel, das heißt strategisch und
operativ", sagt Dr. Christian Kinder, Partner und
Versicherungsexperte bei Bain & Company. "Eine umfassende
Neuausrichtung ist unumgänglich."
Konzentration auf wertorientiertes Geschäft
Um bei anhaltend intensivem Wettbewerb und schwacher Konjunktur
profitabel zu bleiben, müssen zahlreiche deutsche Versicherer ihr
Neugeschäft stärker an finanziellen Erfordernissen ausrichten, also
diejenigen Sparten und Produkte fördern, die nachhaltig Wert
schaffen. Das verschiebt den Angebotsmix bei vielen Versicherern. Die
Anpassung von Preisniveau und Zeichnungskriterien insbesondere in den
traditionell unprofitablen Sparten ist der zweite Schritt. "Dauerhaft
werden sich Versicherer unprofitable Sparten wie Wohngebäudeschutz
und Kfz nicht mehr leisten können. Die Hoffnung von hohen
Cross-Sellingquoten über Ankerprodukte hat sich nur in den seltensten
Fällen wirklich erfüllt. Insofern wird es für die Versicherer auch in
diesen Sparten darum gehen, eine kritische Mindestprofitabilität zu
erreichen und zwar gemeinsam mit dem Vertrieb", sagt Bain-Berater
Kinder.
Mehr Qualität im Vertrieb
Parallel zu diesen Anpassungen gehören Vertriebskanäle,
-strukturen und -mitarbeiter auf den Prüfstand. Die Ziele für das
Neugeschäft werden komplexer: Sie orientieren sich an besseren
Risikoprofilen und Margen. Zudem wird die Bestandskundenbetreuung für
viele Versicherer künftig vor der Neukundengewinnung stehen.
Das alles bedeutet erhebliche Anpassungen im Vertrieb, wo sich
neben den Produktprioritäten auch die Prozesse, Anreizsysteme und
Courtagen ändern. Die Neuausrichtung erfordert daher intensive
Weiterbildung, Steuerung und Motivation der Vertriebspartner und der
Betreuungsorganisation. Darüber hinaus müssen die Vertriebskosten
insgesamt sinken und die Vertriebsproduktivität steigen. Das heißt in
der Regel, dass nicht alle Vertriebspartner gehalten werden können.
"Erfahrungsgemäß führt die Neuausrichtung des Vertriebs zur
Konzentration auf Qualitätsvermittler. Analysiert man die Bestände,
schreiben sie das beste und damit profitabelste Geschäft", sagt Dr.
Henrik Naujoks, Leiter der Praxisgruppe Finanzdienstleistungen von
Bain & Company in Europa. "Doch sich von schwachen Vertriebspartnern
zu trennen, ist äußerst sensibel und verlangt ein balanciertes
Vorgehen sowie präzise Vorbereitung, sonst sind die Schäden größer
als der Nutzen."
Kundenorientierte Kostensenkungen
Da in Zukunft die Wettbewerbsintensität im europäischen
Versicherungsmarkt nicht abnehmen und die Regulierungsanforderungen
steigen werden, müssen die Kosten sinken. Weitere Effizienzgewinne in
den Versicherungsunternehmen sind unumgänglich, denn die
Digitalisierung ist auch in der Versicherungswirtschaft auf dem
Vormarsch. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass
Rationalisierungsmaßnahmen nicht auf Kosten der Kunden gehen dürfen.
Im Zeitalter der Digitalisierung hat sich eine derartige
Herangehensweise ohnehin selbst überholt. "Die Digitalisierung findet
anders als die historische Automatisierung durch die Kunden statt,
mit oder ohne Zutun der einzelnen Versicherer", so Bain-Experte
Naujoks. "Digitalisierung muss für die Neuausrichtung der Versicherer
deshalb ganzheitlich gedacht und genutzt werden - sparten- und
funktionsübergreifend".
Pressekontakt:
Leila Kunstmann-Seik
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