(ots) -
Das Internet hat die Voraussetzung für eine grenzenlose, radikal
offene wie ungefilterte Kommunikation geschaffen. Diskussionen,
Meinungen und Selbstdarstellungen von jedermann sind im Netz für
jeden einsehbar. In Foren, Chats, Blogs, auf Twitter und Facebook
kann heute jeder alles posten, liken oder Shitstorms gegen andere
entfachen. Die Durchmischung von Intimität und Öffentlichkeit hat ein
neues Verständnis von Gesellschaft erzeugt, das viele nun nicht mehr
nur auf die Netzwelt beziehen wollen.
Transparenz heißt das Gebot der Stunde, totale Offenheit im
Politischen wie im Privaten. Ãœber diesen vielschichtigen Begriff
diskutiert der Philosoph und Erfolgsautor Richard David Precht in
seiner ZDF-Philosophiesendung mit einer Expertin, die mit dem Thema
bestens vertraut ist: Marina Weisband, Ex-Geschäftsführerin der
Piratenpartei und Autorin.
Besonders die junge Generation fordert heute Transparenz: in der
Arbeitswelt, der Wirtschaft und vor allem in der Politik. Was bisher
hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, daran soll nun jede
Bürgerin und jeder Bürger teilhaben können. Und in immer stärkerem
Maße auch mit entscheiden dürfen. Mehr Teilhabe soll auch mehr
Akzeptanz erzeugen. Aber ist die Forderung nach mehr
gesellschaftlicher Transparenz das Heilmittel gegen Polit-Affären,
Korruption, Machtmissbrauch und Politikverdruss? Brauchen wir, so
fragt Precht, ein Update auf eine Demokratie 2.0? In der mit offener
Kommunikation, einschließlich der Offenlegung aller Privatvermögen,
wieder ein stärkeres Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten
geschaffen wird? Oder ist die Vision einer Transparenzgesellschaft in
Wahrheit der Albtraum einer Kontrollgesellschaft, in der dann, laut
Karl Marx, Vertrauen gut, Kontrolle aber eben besser ist?
Wie ist es überhaupt um das tatsächliche Bedürfnis der Menschen nach
Einblick und Mitbestimmung bestellt? Marina Weisband beklagt in ihrem
Buch "Wir nennen es Politik" den Widerspruch zwischen dem
Desinteresse der Bevölkerung an politischer Einflussnahme aber der
gleichzeitigen Lust am Shitstorm. Auch sie kommt, wie schon der
Berliner Philosoph und Transparenz-Kritiker Byung-Chul Han, zu dem
Schluss, dass das Instrument der simplen Machtausübung wohl kaum aus
der Politik zu entfernen ist. Das aber schafft jene Politiker mit dem
"Scheißegal-Gen", wie es Weisband nennt, die sich eher durch
Durchsetzungskraft und Stehvermögen auszeichnen als durch gute
politische Ideen. Hat Weisband ihren Traum von einer besseren Politik
durch Transparenz bereits aufgegeben?
Die nächste Ausgabe von "Precht" präsentiert das ZDF am Sonntag 1.
September 2013.
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