(ots) - Der schwache Mann am Bosporus
Die Demonstrationen auf dem Taksim-Platz in Istanbul sind für den
türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Chance, doch
er vermasselt sie gerade gründlich. Statt die Möglichkeit
wahrzunehmen, im Umgang mit den Protestlern Besonnenheit zu zeigen
und Ãœberzeugungsarbeit zu leisten, poltert er herum, erdichtet
abwegige Verschwörungstheorien und lässt die Polizei brutal gegen
Aktivisten vorgehen. Erdogan will sich als starker Mann profilieren.
In Wirklichkeit entlarvt er seine Schwäche.
Denn dadurch, dass er Widerständler niederknüppeln lässt und ein
Ende der Toleranz verkündet, verrät der Premier seinen Unwillen zu
einer politischen Lösung. Auch wenn er Gespräche mit Vertretern der
Demonstranten angekündigt hat: Zu einem echten Dialog scheint Erdogan
nicht bereit. Viel zu offensichtlich versucht er durch die harte
Polizeioffensive auf dem Taksim, seine Gegner einzuschüchtern.
Sein Verhalten diskreditiert ihn als verlässlichen Partner des
Westens am Tor zur islamischen Welt. Diese Rolle kann niemand
glaubwürdig einnehmen, der kritische Bürger gewaltsam bekämpft. Die
Protestler auf dem Taksim bilden keine homogene Gruppe, doch in
erster Linie handelt es sich um westlich orientierte, gebildete,
urbane Türken, die sich ihre Lebensweise nicht von der
islamisch-konservativen Regierung vorschreiben lassen wollen. Erdogan
stellt sie als Kriminelle dar, dabei sind sie die Hoffnungsträger auf
dem türkischen Weg nach Europa.
Franziska Kückmann
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